Widerstand kann man nicht outsourcen

Datenschutz Daniel Domscheit-Berg titelt in einem Beitrag für die Technology Review (20.9.2013) "Verantwortung kann man nicht outsourcen". Wandelt er auf der Spur von Friedrich?

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Widerstand kann man nicht outsourcen

Foto: Sean Gallup / AFP / Getty Images

In einem Beitrag der Technology Review (TR) vom 20.9.2013 sieht Daniel Domscheit-Berg, Pirat und ehemaliges Mitglied von Wikileaks die Möglichkeit eines „gerechten Miteinanders“ in einer „Gemeinschaft von Gleichen“, welche sich aus den Chancen der digitalen Globalisierung ergäbe. Er setzt voraus, dass die politisch Teilhabe des Einzelnen sowie Regierungs- und Verwaltungsarbeit unbedingt die Instrumente des Open Government zu nutzen hätten. Wenn jeder nur aktiv an dem Prozess teilnähme, ein notwendiges Maß an Verantwortung aufbringe und auch sonst alles getan werde um persönliche Daten zu schützen, dann stelle sich der erwünschte Zustand schon ein.

Der Wunsch und die Ideale in Ehren, es scheint jedoch als würde Domscheidt-Berg wichtige Erkenntnisse, zu denen uns die Snowden-Dokumente geführt haben, ausblenden.

Die „Gruppe der Gleichen“ meint ähnlich in gerade einmal einer Hinsicht

Die Annahme, durch einen für alle Erdbewohner gegebenen schnellen Zugriff auf Daten unabhängig von Tageszeit und geographischer Lage, dem Ideal einer „Gemeinschaft von Gleichen“ näher zu kommen, ist vermessen. Bestenfalls entsteht dadurch eine Gruppe aus Menschen mit vergleichbar schnellem Internetzugang. Bereits die Überlegung, welche wirtschaftlichen und sozialen Folgen die Realisierung dieser „technischen Globalisierung“ haben könnte, sollte uns der gegenwärtige Preis, den andere für die Schaffung unserer Gadgets zahlen, einfallen. Der Preis wird festgelegt aus der katastrophalen Ausbeutung der Natur und von Menschen durch Staaten, Unternehmen und schliesslich durch uns. Die gegenwärtig zum Vorteil der technischen Nomaden und zum Nachteil derer, die in keiner Weise profitieren. Wie steht es um die Möglichkeit des „gerechten Miteinanders“? Es scheint notwendig an ganz andere Stelle anzusetzen. Der brutale Kapitalismus setzt eine geknechtete Masse an Produktionssklaven voraus, unabhängig ob diese Rechte, Träume oder einen schnellen Internetanschluss haben.

Open Government – der eben gestorbene Traum

Sollte die Gesellschaftsplattform Open Government, deren Erfolg der Domscheidt-Berg streng von einem hohen Datenschutzniveau abhängig macht, nicht lieber gänzlich eingemottet werden? Wir haben heute die Klarheit darüber, dass für viele hundert Milliarden Dollar kaum kontrollierte Sicherheitsorgane diverser Staaten einen monströsen Apparat der Überwachung geschaffen haben mit dem klaren Ziel, den Datenschutz fortlaufend zu schwächen oder zu umgehen, technisch und rechtlich. Daraus resultiert ein gewaltiges Machtgefälle zum Vorteil dieser Sicherheitsorgane, dem zum heutigen Zeitpunkt demokratisch weder politische Akteure noch Gesetze entgegentreten können. Die aktuelle Diskussion weist nach, dass das Funktionieren des Apparates weitgehend unabhängig von demokratischen Strukturen gesichert ist. Erst recht können solitäre europäische Gesetze keiner europäischen Privatperson die notwendige Datensicherheit verschaffen, so bedacht diese im Umgang mit Ihren Daten auch ist und so aufrichtig die weniger Verfechter solcher Gesetze auch sein mögen. Längst ist unsere umfassende und permanente Datenspur, welche uns bestenfalls noch in Bruchteilen bekannt ist, keiner einzelnen regionalen oder kontinentalen Hoheit mehr unterworfen. Gegenwärtige Initiativen wie Untersuchungsausschüsse oder Gesetzesinitiativen ersticken in der Unwissenheit und Unfähigkeit, dem nur schemenhaft bekannten Monsterapparat zu begegnen. Auf diplomatischer Ebene geschlossene No-Spy Abkommen (wie zwischen Deutschland und der USA kürzlich angekündigt) sind blanker Hohn für den Datenschutz. Wenn also Open Government den funktionierenden Datenschutz des Einzelnen voraussetzt, dann ist Open Government gegenwärtig nicht denkbar.

Aktive Verantwortung – Floskel mit Unmöglichskeitsgarantie

Es ist nicht absehbar, dass Sicherheitsorgane die gewaltige Macht über Gesellschaften freiwillig aufgeben werden. Der Ruf nach mehr verantwortungsvollem Handeln des Einzelnen ist Ausdruck schierer Verzweiflung. Was soll diese eigentlich genau Verantwortung sein? Weniger Daten zu erzeugen in einem System, welches bis in die untergeordneten Subsysteme der Gesellschaft durchgedrungen ist? Anonymität schaffen durch Zurückhaltung und Verweigerung? Bedeutet Verantwortung sich selber um den Schutz der eigenen Datenspur zu kümmern, genauso wie es der Innenminister zwischenzeitlich gefordert hat? Nein, das kann es nicht sein. Die technische Komplexität und Dynamik der Systeme die wir nutzen und die schiere Abhängigkeit die große Teile der Gesellschaft eingegangen sind, torpedieren nahezu jeden Versuch des Selbstschutzes. Die große Masse der Internetnutzer kann durch verantwortungsvolles Handeln des Staates gib es nicht. Der Kampf um den Datenschutz ist heute verloren.

Es bleibt nur Notwehr und die Hoffnung auf eine Strategie

Wir werden und fragen, wie wir uns verhalten wollen. Grundrechte werden ausgehebelt, Staatsorgane sind nicht Willens oder nicht fähig diese zu verteidigen. Die demokratischen Kontrollmechanismen versagen. Kontrolle durch die Medien versandet. Der Apparatus ist allgegenwärtig und kopiert (bald) jeden Atemzug des Souveräns.

Was ist los, wenn wir in einem Shitstorm ein grundsätzliche geeignetes Mittel der Notwehr zu erkennen glauben? Schlafwandeln wir, wenn wir im Shitstorm einen möglichen Ansatz zur Restaurierung von Grundrechten sehen?

Eher scheint die Besinnung auf alte Tugenden des Widerstandes angebracht. Das Ziel dessen scheint klar; die Kontrolle über den Überwachungsapparat und die Zerschlagung überall dort, wo er nicht mehr unter Kontrolle zu stellen ist. Das Mittel ist der Ungehorsam in allen erdenklichen Formen. Es gilt den Gehorsam der Herrschaft dem Überwachungsapparat und denen, die ihn schützen aufzukündigen und zu versuchen, uns im solidarischen Gehorsam mit denen, welche die Grundrechte neu erkämpfen wollen zu üben.

Es scheint an der Zeit, die wichtigen Fragen zu stellen und nachzudenken, abzuwägen und zu streiten und schließlich einen angemessenen Widerstand zu organisieren. Dies Bedarf strategischer und taktischer Arbeit. Die Legitimation für den Widerstand ergibt sich aus der so klaren Verhinderung von Grundrechten.

Die Träumerei eines Open Government als Grundpfeiler der Transparenz und als Hebel zu mehr Gerechtigkeit – der darf dann neu geträumt werden wenn der Widerstand Erfolg haben wird. Nur müssten wir dann auch die Diskussion aushalten, was ein erfolgreicher Widerstand sein soll.

Zoe
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Geschrieben von

MaxStein

Sonne, Wolken und mehr

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