Probleme eines aufgeklärten Mannes

Kopftuchdebatte Warum ich keine Kopftücher, Schleier und Hijabs mag - genauso wenig wie andere öffentlich gezeigte religiöse Symbole. Eine persönliche und theoretische Betrachtung.

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Ich beziehe mich in diesem Beitrag auf den Artikel von Rameza Bhatti vom 23.12.2015 hier in der community und möchte ihr auf diesem Weg antworten bzw. einen Meinungsbeitrag zu dem ihren schreiben.

Ich verstehe mich als Anhänger der Aufklärung, deren Wertvorstellungen zum Menschen, zum menschlichen Zusammenleben und zu gesellschaftlichen Fragen nach wie vor für uns in Mitteleuropa von Bedeutung sind und unsere Gesellschaften prägen und deren Kernaussagen ich für wichtig und richtig halte.

Stichworte, die für die Aufklärung stehen sind unter anderem: Freiheit, Gleichheit und Menschlichkeit; Vernunft, Bürgerrechte, ein wissenschaftliches Weltbild, ein dem Gemeinwohl verpflichteter Staat, Emanzipation der Bürger/Menschen, freier Wille.

Ein nicht unwichtiges Thema der Aufklärung war schon früh die Frage nach der Rolle der Religion/en in der Gesellschaft. Gestritten wurde über die Frage, ob es überhaupt einen Gott gebe und wenn ja, dann könne seine Existenz nur möglich sein, wenn die Welt infolge des komplizierten Prozesses der Aufklärung Vollkommenheit erreiche und dadurch erst Gott ermöglicht würde (nach Wikipedia: Aufklärung, Theodizee und Deismus); Gott also ein Produkt einer wissenschaftlichen Beweisführung und von Vernunft gesteuerten Vorgehensweise. Weitgehend ungeklärt blieb allerdings die Frage nach der Existenz (eines) Gottes. Dieser Frage widmeten sich spätere Denker - Antworten wurden allerdings immer noch keine gefunden – die Beibringung von Beweisen ist ja auch reichlich schwierig.

Das Aufklärungsprojekt wurde fortgeführt von den Denkern Hegel, Nietzsche, Marx und Engels, Horkheimer, Adorno, Hannah Arendt, Jürgen Habermas u.a.m. Vergessen werden sollten allerdings auch nicht die Vertreterinnen des Feminismus (der Begriff ist hier sehr weit gefasst und benennt nicht die Zugehörigkeit der hier aufgezählten Vertreterinnen zu einzelnen Richtungen des Feminismus): Simone de Beauvoir, Kate Millett, Clara Zetkin und Rosa Luxemburg, Judith Butler, Susan Sontag und viele andere mehr.

Diese Vorbemerkungen stecken in etwa den Rahmen meiner Argumentation ab (und sind beileibe nicht vollständig – also Mut zur Lücke).


Begegnungen der besonderen Art
Begegne ich bei meinen Gängen durch die Stadt (egal welcher) Frauen mit Kopftuch, Gesichtsschleier, Hijab oder anderen körperverhüllenden Stoffen, erlebe ich eine Mischung aus ganz unterschiedlichen Reaktionen bei mir. Zuallererst fühle ich mich belästigt; belästigt durch die Zurschaustellung einer Religion, deren Zurschaustellung ich mich nicht entziehen kann. Ich will eigentlich nicht wissen, welcher Religion diese Frauen folgen. Genauso wenig will ich allerdings auch bedrängt werden durch die Zurschaustellung anderer Religionszugehörigkeiten, sei es durch das öffentliche Tragen eines Kreuzes oder einer Kippa oder durch die öffentliche Zusammenrottung von Kirchenliedern singenden Abtreibungsgegnern. Ich will auch nicht gezwungen werden zur Kenntnis zu nehmen ob jemand SPD-, CDU-, AfD- oder NPD-Mitglied ist (was in Wahlkämpfen ja durchaus seine Berechtigung hat).

Ich will auch, dass religiöse Symbole aus öffentlichen Räumen wie Klassenzimmern, Gerichtssälen und Büros verschwinden.

Umkehrschluss dieser meiner Haltung: Ich belästige auch niemanden durch die Zurschaustellung meiner Haltung, trage kein T-Shirt mit einer Losung die meinen Atheismus raus schreit! Mich so zu verhalten ist mir ein Gebot der Rücksichtnahme.

Aber als aufgeklärter Citoyen kommen mir oft Zweifel, ob diese meine Haltung so richtig ist. Zuallererst ist da die Frage: wieso sollten andere nicht ihre Meinung, Geisteshaltung oder Religionszugehörigkeit nach außen zeigen, wir leben schließlich in einer freien Gesellschaft, deren Stärke es ist/sein sollte, unterschiedliche Meinungen und Auffassungen und deren Kundtun zulassen und aushalten zu können.

Als nächstes dann: ist es denn richtig, wenn bei uns in der Öffentlichkeit Symbole antiaufklärerischer Geisteshaltungen – und hierunter zähle ich alle Religionen zunächst einmal, bis sie mir etwas anderes bewiesen haben – gezeigt werden? Dann ist da wieder ein NEIN, dass ist nicht in Ordnung. Denn, so meine Gedanken weiter, wir haben schließlich nicht einen Prozess der Aufklärung in der Vergangenheit durchlaufen (der im Übrigen auch heute noch nicht abgeschlossen ist) um sich widerspruchslos tagtäglich und in allen möglichen und unmöglichen Zusammenhängen konfrontiert zu sehen mit Symbolen, die Ausdruck für antiaufklärerische Positionen sind (dies ist kein Aufruf zu Gewalttaten, sondern nur meine Meinung!).

Genauso wie meine atheistische Haltung meine Privatsache ist, soll jeder die seinige doch bitte in seinem privaten Umfeld praktizieren – oder in der Kirche oder der Moschee! Bitte nicht missverstehen: Es geht nicht darum, irgendjemandem vorzuschreiben, was er/sie glauben soll oder jemandem gar die Religionsausübung zu verbieten.


Kopftuch als „Körperpanzer“
Die freie Verfügbarkeit des männlichen und weiblichen Körpers, dessen öffentliche Zurschaustellung und die Sexualisierung unseres Alltags sind Tatsachen, die wir nicht leugnen können. Dadurch erfährt der Körper, der eigentlich der privateste Bereich eines Menschen ist, eine Entblößung die auch zu einer Entprivatisierung führt – der menschliche Körper wird zu einer öffentlich verhandelbaren Sache – man begutachtet ihn und weist ihm einen Wert zu, in diesem Fall ist es ein Tauschwert. Der Körper wird zur Ware der mit anderen Waren in Austausch tritt. Ist diese Ware verbraucht, wird sie weg geworfen. Ich verstehe, dass es Menschen, vornehmlich Frauen, gibt, die sich davor schützen wollen. Durch Verhüllung der Ware „Körper“ wird diese – so hoffen diese Frauen - vom Markt genommen.

Mehr noch, das verhüllende Tuch wird zum Körperpanzer, der diesen Körper vor der Umwandlung in eine Ware schützen soll. Also ein Argument pro Kopftuch? Ich glaube nein! Eher die Vermutung, dass es mit diesem Körperpanzer so ist wie mit jedem Panzer: Frau wird unbeweglich und er engt die Sicht ein.

So ganz nebenbei will ich auch eine weitere Beobachtung hier wieder geben, die ganz andere Schlüsse zulässt: nicht selten ist in Großstädten zu sehen, dass junge Frauen, deren Herkunftsfamilie offensichtlich aus dem arabischen oder nordafrikanischen Raum stammt, zwar mit Kopftuch angetan sind, dazu dann aber tief ausgeschnittene Blusen und engst sitzende Jeans tragen. Wo bleibt da die behauptete Schutzfunktion des Kopftuchs, mit dem anzügliche Blicke von Männern abgewehrt werden sollen? Fragen über Fragen, die schlüssig zu beantworten sicher nicht einfach ist.


„Alte“ und „neue“ Warenverhältnisse
Die Körper- oder Teilverhüllung ist auch Ausdruck von Warenverhältnissen. Nämlich solchen, wie sie in der islamischen Welt oder unter der Mehrzahl der Muslime im Umgang mit Frauen tagtäglich praktiziert werden. Die Frau erlangt ihren Wert ja erst dadurch, dass sie „unbeschädigt“ in die Ehe geht. Diese Ehe, in konservativen muslimischen Familien auch heute noch oft für ihre Kinder arrangiert, führt zu einer weiteren Einschränkung der Freiheit der Frau: sie ist Eigentum des Ehemannes und als solche seinem Wollen unterworfen. Verweigert sie sich diesem Diktum, verliert sie an Wert.

An Wert verliert sie auch, wenn die muslimische Frau von ihrer Sexualität in einer Weise Gebrauch macht, die den islamischen Dogmen widerspricht und dem Ehrenkodex der Familie/n zuwider läuft. Sie kann dann entsorgt werden – durch Wegwerfen (= Verstoßen) oder durch Vernichten (= sog. Ehrenmord).

Es ist des Teufels – oder soll ich besser sagen des Sheitans – bleibt Rameza Bhatti weiter bei ihrer Auffassung wird sich kein Weg für sie aus dem Dilemma finden!


Kein Weg aus der Zwickmühle?
Erleben wir aktuell in aufgeklärten Gesellschaften, sprich: Gesellschaften, die sich im Prozess der Globalisierung aller Verhältnisse befinden, wie der Warencharakter in alle Lebensbereiche vordringt, in unserem Fall hier betrachten wir die Warenwerdung des Körpers, so besteht zu religiös-konservativen Gesellschaften noch immer ein Unterschied. In Deutschland sowie in anderen kapitalistischen Ländern sind die Frauen insofern emanzipiert, als sie nicht mehr nur Warenkörper sind, sondern zunehmend auch als Käuferinnen auf dem Markt auftauchen. Es ist nicht mehr das Privileg der Männer alleine, den weiblichen Körper zu beurteilen und zu konsumieren, auch den Frauen eröffnen sich immer mehr die Märkte; gestärkt durch eine eigene Berufstätigkeit können sie es sich heute leisten, Männerkörper zu konsumieren und bei Nichtgefallen, sich von diesen wieder zu trennen – sozusagen den Gebrauchtmann billig abgeben. Das ist der konservativen Muslima nicht möglich, es ist nach wie vor das Recht des konservativen muslimischen Mannes, von anderen Körpern – vornehmlich weiblichen – Gebrauch zu machen, sie selbst bleibt Objekt, über das andere bestimmen.


Fragmentierte Verhältnisse
Und hier nähern wir uns dem eigentlichen Grund für die Warenwerdung der Frau, egal ob im entwickelten Kapitalismus oder in konservativen islamischen Lebenszusammenhängen. Es sind die patriarchalischen Verhältnisse, die derartige Entfremdungen vom Menschlichen hervorbringen (im Kapitalismus ist das trotz der angeblichen Fortschritte bei der Emanzipation der Frau auch immer noch so!).

Das Patriarchat ist Ausdruck von alle gesellschaftlichen und privaten Bereiche durchdringenden Machtverhältnissen. Es fußt auf der Macht des nicht voll entwickelten Mannes (hier als gesellschaftliches Phänomen gemeint) über alle Lebensbereiche einer Gesellschaft. Nicht voll entwickelt meint, dass es diesem Mann nicht gelungen ist, alle zu ihm gehörenden psychophysischen Leerstellen im Zuge seiner Entwicklung vom Kind bis zum Erwachsenen derart zu füllen, dass aus ihm ein liebevoller, achtsamer, sozialverträglicher, gewaltfreier Mensch wird; er verharrt im Zustand eines Fragmentkörpers (siehe hierzu auch: Klaus Theweleit, Das Lachen der Täter: Breivik u.a. - Psychogramm der Tötungslust; Residenz Verlag St. Pölten – Salzburg – Wien, S.81 ff) und alle ihn umgebenden Verhältnisse werden fragmentiert – teile und herrsche. So auch werden Frauen dergestalt fragmentiert, dass sie eben nicht mehr in ihrer Ganzheit wahrgenommen werden, sondern sie werden nur noch anhand ihrer Verwertbarkeit zur Befriedigung des männlichen Sexualtriebs oder als Verkaufsförderinstrument gesehen, zur männlichen Statusaufwertung oder als kostengünstige Arbeitskraft benutzt.

Vor solchen Verhältnissen schützt kein Schleier oder Kopftuch - genau so wenig wie ein bauchfreies Topp Ausdruck für die gesellschaftliche Gleichstellung von Frauen ist. Was also tun?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

maxundmoritz

"Ich lebe, ich bin parteiisch." (Antonio Gramsci)Alter, linker Polit-Grantler und -Quertreiber.

maxundmoritz

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