Habe ich in Teil 1 die Frage abgehandelt, in welchem Rahmen sich die Revolutionäre organisieren könnten und dabei zentralistische Parteimodelle verworfen, so will ich in Teil 2 versuchen, einen Vorschlag zu unterbreiten, wie die Revolutionären Räte überhaupt entstehen könnten - gehe also noch einmal einen Schritt zurück in der Zeit.
Eine Idee, wie so etwas vor sich gehen könnte, habe ich in meinem in Teil 1 zu Anfang zitierten Kommentar bereits angedeutet; dieser betreffende Abschnitt sei hier zitiert:
"Bedenkenswert sind m.E. Rätemodelle, wie vorne schon angedeutet - lokal, regional, bundesweit, ja auch europaweit. In denen Führung von Fall zu Fall neu beschlossen und an fachliche Kompetenzen, an zu beschliessende Themen und Aufgaben, an wirtschaftliche, ökologische, soziale .... Fragestellungen und entsprechende Kenntnisse gebunden ist (Hervorhebungen: mum). Führung auch zeitlich begrenzt als befristete Übernahme von Verantwortung gegenüber der sog. Basis. ...... Und die Basis wäre dann die wachsende Zahl der Unterstützer der Revolution."
Räteähnliche Organisationen haben wir heute schon, diese verfügen allerdings nicht über institutionalisierte Macht; in ihnen organisiert sich "bloß" der Unmut von Menschen über die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen oder politischen Verhältnisse und der Wille zur demokratischen Mitbestimmung. Es handelt sich dabei um Protest- und Bürgerorganisationen wie Attac, Naturschutzverbände, Gewerkschaften, Graswurzelorganisationen vor Ort, Anti-Atom-Gruppen und und und....
Deren "Macht" erwächst derzeit nur daraus, dass es diesen Organisationen und Bürgerinitiativen u.U. gelingt ihre je spezifischen Themen mit anderen Menschen und deren Wollen zu verbinden; Menschen, die zeitweilig empört sind über einen Missstand und durch Aktionen ihrem Unmut Ausdruck geben und etwas an den Missständen ändern wollen. Hier könnten wir also die Keimzellen der Revolutionären Räte vorfinden, weil eine wichtige Voraussetzung dafür schon erfüllt wäre: Menschen protestieren gegen gesellschaftliche Zustände und organisieren sich für ihre Interessen.
Wie kann es nun gelingen, diese Keimzellen zum Wachsen zu bringen und sie zu Revolutionären Räten zu entwickeln?
Eine nicht unwichtige Aufgabe käme zum Beginn dieses Prozesses den linken Parteien zu. (In Deutschland sehe ich da zurzeit allerdings nur bedingt das dafür notwendige Potential in irgendeiner Partei; bestenfalls kann man hierunter noch die LINKE fassen und die linken Flügel der GRÜNEN und der SPD - um zu dieser Einschätzung zu kommen braucht es m.E. allerdings viel Optimismus und da muss man heute guten Muts und voller Zutrauen sein, dass sich da noch was bewegen lässt. Aber da sollten wir es mit Michael Jäger halten, wenn er sinngemäß ausführt, dass es im Prozess der Revolution darum geht, dass sich die Revolutionäre Verbündete suchen. Und die finden wir heute noch am Ehesten in den Reihen der vorgenannten Parteien.)
Und hier nun müssen sich die Revolutionäre einer schweren Aufgabe stellen: sie müssen in diese Parteien eintreten und dort für eine Veränderung der Einstellungen der Parteimitglieder werben, in den Programmkommissionen mitarbeiten, sich in Positionen wählen lassen UND in die Organisationen des Widerstands und in die Bürgerinitiativen hinein wirken, dort ebenfalls Mitglied werden. Nahziel dieses Hineinwirkens in die Partei und in die Organsisationen ist, die Anliegen der Bürger in die Partei hinein zu tragen und dort für deren Durchsetzung zu kämpfen und die Partei allmählich zum "politischen" Arm der Bürgerbewegungen zu machen.
Im Übrigern sehe ich es als überlebensnotwendig für eine linke Partei an, sich so mit den Bürgerbewegungen zu verbinden; ohne diese Verbindung wird jede sich links nennende Partei irgendwann an Einfluss verlieren und wahrscheinlich von der politischen Bühne verschwinden. Hier sei auf die Erfahrungen und Entwicklungen sozialdemokratischer und sozialistischer Parteien in Südeuropa verwiesen (siehe dazu auch FREITAG Nr. 5, Artikel "Gekommen um zu bleiben").
Erfolgreich sind die Parteien, die entweder aus Protestbewegungen entstanden sind oder sich als deren politischer Flügel verstehen - siehe Syriza in Griechenland und Podemos in Spanien; die griechische PASOK geht zu Recht den Bach runter, weil sie es versäumt hat, sich mit den Protestbewegungen zu verbinden (was ihr als Klientelpartei auch schwer fällt) und ist damit ein "leuchtendes" Beispiel für andere europäische Sozialdemokraten.
Meine These: eine linke Partei wird nur dann in Zukunft erfolgreich sein und ihren Einfluss ausbauen können, wenn sie sich mit den Bürger- und Protestbewegungen verbindet und zu deren parlamentarischem Sprachrohr wird - UND wenn sie dafür sorgt, dass das auch so bleibt.
Ich wage zu behaupten: wenn es der LINKEN in Deutschland nicht gelingt, diesen Schritt hin zur "Bewegungspartei" zu vollziehen und sich alleine auf die Teilhabe am bürgerlichen Parlamentarismus orientiert und die Hauptfrage ist und bleibt, ob man in diese oder jene Regierung auf Landes- oder Bundesebene eintritt, dann wird aus dieser Partei auch nur eine weitere sozialdemokratische Partei, die keine Antworten darauf hat, wie das Leben der Menschen in diesem Land heute und in Zukunft gestaltet werden kann. Dann wird ihr das Schicksal der SPD blühen, die sich als Juniorpartner der CDU zu verstehen scheint und als solcher Gefahr läuft in nicht allzu weiter Ferne im Nichts zu versinken. Das wäre allerdings für die gesamte Oppositionsbewegung in diesem Land mehr als nur ein wenig schlecht!
Der Marsch durch die Intitutionen, wie ihn die 68'er propagiert haben, ist nicht per se falsch. Falsch ist, wenn man dabei die revolutionären Ziele aus den Augen verliert und in einen Anpassungsprozess eintritt, bei dem die einstigen Ziele total perdu gehen. Aber deswegen wird dieser Slogan nicht falsch! Hilfreich könnte sein, wenn die Revolutionäre trotz aller Verlockungen darauf verzichten, sich in staatliche Ämter und Regierungspositionen wählen zu lassen; wenn sie sich stattdessen darauf konzentrieren würden, sowohl in der Partei als auch in den Protestorganisationen als Motor und Mittler für den Prozess des gesellschaftlichen Fortschritts zu wirken. Und wenn sie darauf hinarbeiteten, den Einfluss und die Bedeutung der Protestorganisationen auszubauen und es gelingen würde für deren Mitwirkung an politischen Prozessen und Entscheidungen einen institutionellen Rahmen zu schaffen. Über dieserart insititutionalisierte Mitwirkungsmöglich-keiten und -rechte muss noch diskutiert werden - diese können sich nur aus diesem Diskurs heraus unter Mitwirkung der ganzen Gesellschaft ergeben.
Kommentare 6
"Erfolgreich sind die Parteien, die entweder aus Protestbewegungen entstanden sind oder sich als deren politischer Flügel verstehen - siehe Syriza in Griechenland und Podemos in Spanien"
Was ist denn an denen "erfolgreich"? Sie bekommen die Stimmen der Unzufriedenen, solange sie nicht an der Macht sind und schön klingende Absichten versprechen. Aber sie wollen den Kapitalismus beibehalten, und also sind sie erpressbar durch die Anforderungen internationaler Investoren und Kreditgeber.
Also rudern sie in Sachen Sozialprogramme mehr oder weniger schnell wieder zurück. Das Wählervolk versteht die Logik nicht und schreit Verrat. Oder ist"einsichtig", dass es keinen anderen Weg gibt, und übt solidarischen Verzicht fürs Ganze oder wie das dann so genannt wird. Im Fall 1 wird die Linke wieder abgewählt, in Fall 2 mutiert sie zu einer Variante von Sozialdemokratie und kann sich darüber an der Macht halten.
In beiden Fällen haben wir weiterhin Unterwerfung unter die Bedingungen kapitalistischen Investierens, Abhängigkeit der ganzen Gesellschaft vom Marktgeschehen, Krisen, Arbeitslosigkeit, Altersarmut und prekäre Beschäftigung - garniert mit vielen linken Sprüchen, wahlweise entweder aus der Opposition (dann mit viel Geschrei) oder aus der Regierung (dann beschwichtigend aber voller "Verständnis" über den Unmut).
Hatten wir in Deutschland nicht auch mal ganz revolutionär daher kommende Jungsozialisten? Die sich mit den "sozialen Bewegungen" verbündeten? Was bringt das, wenn der Inhalt der angeblich aufmüpfigen Konzepte nichts taugt? Es bringt schon was, fragt sich nur wem: nämlich die erneute Re-Integration des Protestes, da sind die Sozialisten, pardon Sozialdemokraten ganz groß drin.
Am Ende kommt dann - als Beispiel von vielen im Protestlager diskutierten "Reformen" - vielleicht sowas wie Hartz 5, diesmal als bedingungsloses Grundeinkommen, dahin kann man dann guten Gewissens alle jetzigen und künftigen Arbeitslosen abschieben, und danach muss dann "leider, leider" das Grundeinkommen wegen diverser "Sachzwänge" gekürzt werden, immer mal wieder - bis der Zwang zu jeglicher Scheißarbeit allein schon durch die erbärmliche Höhe des Grundeinkommens gegeben ist, ganz ohne dass man Sanktionen braucht.
Warum so pessimistisch? Als Momentaufnahme stimmt vieles von dem was Sie beklagen, aber muss es denn so bleiben? Und was die Entwicklung in Griechenland und Spanien angeht, so haben wir es hier zunächst doch mit recht neuen Akteuren zu tun, die zunächst einmal mit viel Enthusiasmus an die Probleme in ihren Ländern heran gehen und Erfahrungen sammeln müssen. Und wir haben es in beiden Fällen mit unterschiedlichen Fraktionen zu tun, die in diesen Bewegungen und "Parteien" anzutreffen sind, die alle um Macht und Einfluss kämpfen. Nicht zu vernachlässigen sollten die Einflüsse und Kräfte sein die von außen einwirken - nicht zuletzt die Gegner einer Politik im Interesse der arbeitenden Menschen uam. Das alles kann von Weg abbringen.
Was ist notwendig? Solidarität und Unterstützung der fortschrittlichen Kräfte, selbst aktiv werden, einwirken und diskutieren - und die Führungen kontrollieren und immer wieder auf den richtigen, linken Weg zurück bringen; halt eben die ganze beschissene Klein-Kleinarbeit. Revolution ist eben nicht nur Fahnen schwenken und Barrikaden bauen, das ist heutzutage vor allen Dingen immer wieder frustrierende Auseinandersetzung und auch Niederlage. Hilfreich, um da raus zu kommen, könnten Vernetzungen sein - auch über Partei- und Organisationgrenzen hinweg. Damit das erfolgreich zu machen ist, müssen wir endlich mal die unsinnigen Hahnen- und Revierkämpfe aufgeben, mit denen die eigenen Einflusssphären verteidigt werden! Aber: es gibt kein Patentrezept - was bleibt ist nur unsere Treue für die Ziele, nämlich dieses unmenschliche System zu überwinden und die Erfordernis, die dafür notwendige Kreativität und Ausdauer aufzubringen.
Ich weiß, das ist alles nicht berauschend, aber was bleibt uns denn sonst? Warten auf den Heiland oder dass das Kapital sich selber abschafft? Letzteres wird nur um den Preis der Vernichtung der ganzen Menschheit zu haben sein!
Im Übrigen verweise ich auf den Artikel "(145) Der Weg zur Gründung" von Michael Jäger
https://www.freitag.de/autoren/michael-jaeger/145-der-weg-zur-gruendung-vierte-fortsin welchem er darüber schreibt, dass die Revolution einen Vorlauf von nahezu einem Jahrhundert braucht. Um da aber irgendwann mal hinzukommen müssen wir auch irgendwann mal anfangen!
«Räteähnliche Organisationen haben wir heute schon, diese verfügen allerdings nicht über institutionalisierte Macht»
Das ist nicht ganz richtig. Die fachliche Kompetenz der Räte ist im politischen System der Berliner Republik Deutschland BRD in der Beamtenschaft verwirklicht, die durchaus über eine Machtbasis verfügen und ihre Institution als politisch wirksame Lobby gebrauchen.
Zur Information über das Rätesystem der Berliner Republik Deutschland siehe:
Wikipedia Amtsbezeichnungen
Besoldungsgruppen im öffentlichen Dienst
Ja, da wird wohl was dran sein - da hat der Herr Oberrat ja auch seinen Inspektor und der seinen Sekretär. So war das schon bei den Sowjets. Wir sollten deswegen die Berliner Republik Deutschland umtaufen in Bolschewistische Räterepublik Deutschland - und schon hat sich das mit der Revolution erledigt und wir sind mittendrin im Schlaraffenland.
Das wird nicht nötig sein, die beamteten Räte gab es bereits zu Kaisers Zeiten.