Im Kinderkrankenhaus und keiner ist mehr da

Pflegekräftemangel Die Personalsituation in den Krankenhäusern wird jeden Tag gefährlicher

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Normalerweise führt Fachkräftemangel zwangsläufig zu höheren Löhnen – hier nicht
Normalerweise führt Fachkräftemangel zwangsläufig zu höheren Löhnen – hier nicht

Foto: imago/Zink

Ich kenne inzwischen keine Krankenstation mehr, die all ihre offenen Stellen besetzen kann. Dabei handelt es sich, um den schönsten Beruf der Welt! Mein Respekt gilt dem Pflegenden, die es noch schaffen in Vollzeit, im Schichtdienst, mit Bauchschmerzen jeden Tag zur Arbeit zu gehen. Die diese allzu große Verantwortung, die auf kriminell wenigen Schultern verteilt ist, immer noch voll übernehmen. Den Blick danach gerichtet, wann sie endlich aufhören können, in den Ruhestand. Die Jüngeren gehen, so wie ich studieren, arbeiten lieber im Kindergarten (zumindest kein Schichtdienst), gehen auf Weltreise und dann mal schauen. Kein Dienst vergeht, ohne, dass es viele Telefonate gibt. Wer kann noch einspringen? Können Kinder verlegt werden? Oder muss man die Station schließen, weil es einfach kein Personal gibt?

Selbst als Optimistin: es wir nur schlimmer. Das weiß ich deshalb, weil die Pflege und mit ihr, die Patienten (das könnten übrigens auch sie sein oder ihr Kind) schon sehr lange blutet, missachtet wird, als wären Pflegekräfte ein Luxus, die sich ein so reiches Land nicht mehr leisten möchte. Ich kann sagen, dass es mich zu tiefst gruselt, dass inzwischen auch bei Kindern gespart wird, ein früher noch sicherer Hafen.

Bei meinem Bewerbungsgespräch für die Ausbildung als Kinderkrankenschwester sagte ich: „Es wird nie genug Zeit geben und immer mehr Patienten als ich versorgen kann, ich werde am Limit sein und möchte diesen Beruf trotzdem lernen.“ Ich bekam, den Ausbildungsplatz, vor 13 Jahren gar nicht so selbstverständlich. Kinderkrankenpflege galt als Doppelqualifikation, weniger dramatische Zustände auf den Stationen, weil es waren ja Kinder! Es war trotzdem noch ein beliebter Beruf.

Wütend bin ich, wenn ich ein von seinen Eltern vernachlässigtes Kind, alleine im Gitterbett lassen muss, wie in einem Gefängnis, von Schläuchen und Kabeln gefesselt, ohne dass ihn jemand tröstet. Wer verlangt von mir, mich zu entscheiden, ob ich alle Medikamente verteile oder ein Kind noch mehr traumatisiere? Wie soll ich am Abend, wenn ich von der Arbeit komme in den Spiegel schauen? In welche Welt kommen unsere Kinder, wenn wir noch nicht mal, wenn sie schwer krank sind, für sie sorgen?

Um Missverständnisse zu vermeiden. Jeder Mensch, egal welchen Alters, sollte die bestmögliche Versorgung bekommen. Wer schon einmal ernster erkrankt war, weiß was es bedeutet, wie wichtig es ist, dass jemand da ist, mitbekommt wie es einem geht, einen ernst nimmt, berät und wichtig, Humor hat. Ich lache immer noch. Und viele meiner KollegInnen auch, doch manche wissen gar nicht mehr wie das ging mit dem Lachen, weil sie durch sind. Die übliche Burnout-Geschichte greift hier nicht, denn hier kommen die Gesichter der Kinder dazu, die in unseren Armen fast erstickten, krampften, weinten, Schmerzen hatten und manchmal auch starben. Eltern deren Schmerz für mich nur zu erahnen bleibt.

Wir haben uns für diesen Grenzberuf entschieden und keine(r) plante damit reich zu werden. Wofür ich mich nicht entschieden habe, ist mit Angst zur Arbeit zu gehen. Was mache ich, wenn ich allein auf Station bin, weil die Kollegin krank wurde? Zu zweit, waren wir schon mehr als zu wenig! Bleibe ich da oder melde ich mich sofort auch krank? Trage ich das und hoffe das alles gut geht, oder ja melde ich mich für immer krank von diesem Beruf, weil ich mich immer mehr als Mittäterin fühle? Ich vernachlässige Kinder!

In den ärmsten Ländern dieser Welt habe ich schon gearbeitet und immer mehr habe ich das gleiche Gefühl, dass ich auch dort hatte: Ich kann tun was ich möchte, es ist nicht zu schaffen. Sicherlich sind die materiellen Voraussetzungen besser, auch regnet es nur selten ins Gebäude, Strom gibt es immer und ab und an lässt sich auch eine outgesourste Reinigungskraft blicken. Putzen sollte ich dann trotzdem nochmal.

Dabei arbeite ich selbst für eine Zeitarbeitfirma, ganz freiwillig. Sonst würde ich kellnern oder putzen oder bei Aldi an der Kasse sitzen. Die Firma bietet mir Wertschätzung. Mein Stundenlohn ist von 11 auf über 23 Euro gestiegen und ich entscheide selbst, wann und wieviel ich arbeite. Wenn ich frei habe, habe ich frei und keiner ruft mich an, keiner übt diesen Druck aus, meine KollegInnen und vor allem die Kinder alleine zu lassen.

Umso mehr ich mich aus dieser Welt als Angestellte einer Klinik entferne, umso mehr sehe ich, was für tolle Menschen diese riesige Verantwortung noch tragen. Wie sie mit Zeitarbeitskräften zusammenarbeiten, die sich nicht auskennen im Fachbereich, auf Station, manchmal nicht einmal wissen wo die sterilen Tupfer liegen. Kolleginnen, die Abmahnungen bekommen, weil sie sich eine Flasche Wasser von Station nehmen oder zwangsversetzt werden, weil sie privat eine Blutabnahme übers Krankenhaus laufen lassen (sonst hätte die Kollegin ja zum Arzt müssen und sich krankmelden). Der Chefarzt darf das übrigens. Ich darf das inzwischen auch als Medizinstudentin, die kein Plan von nichts hat - es ist immer noch dieser weiße Kittel!

Pflege. Das Klingt wie Maniküre oder das Auto mit dem man pflegsam umgeht. Es klingt wie Luxus, den man nicht haben muss. Wie etwas, das wirklich kein Thema für den Wahlkampf ist. Doch tatsächlich ist Pflege das, was uns alle betrifft. Pflegekräfte sehen, wenn es ihnen schlecht geht. Aber leider ist es so, dass wir es nicht mehr so oft rechtzeitig bemerken, wenn sie Hilfe brauchen. Es kann schon sein, dass sie ihr Kind alleine auf der Toilette gebären, wenn eine Schwester Nachtdienst auf zwei Stationen macht. Wie soll sie Sie denn hören, wenn sie gar nicht da ist?

Vor kurzem musste die Kinderkrebsstation fast schließen, weil es keine Schwester mehr gab. Alle im Team weigerten sich, ein weiteres Mal einzuspringen. Das macht Hoffnung, denn es führte dazu, dass endlich Zuschläge bezahlt wurden, die sich lohnten, wenn eine Pflegekraft schon wieder ihr Privatleben umorganisiert, wieder Überstunden macht, wieder Partnern und Freunden absagt. Schichtdienst kann sehr einsam machen, wenn es keine Planungssicherheit gibt und das mindeste ist, dass man uns dafür mehr Geld bezahlt, wie es in anderen Ländern selbstverständlich ist.

Vielen KollegInnen geht es nicht um Geld. Dieser Moment hat Hoffnung gemacht, weil es der erste Schritt war zu einer Veränderung. Zu mehr Anerkennung. Zu mehr Nachwuchs. Zu mehr Lebensqualität. Ein Schritt zu einer besseren PatientInnenenversorgung.

Ich habe in meiner Zeit als Zeitarbeitskraft sehr viele Pflegende kennen gelernt, die alle Preise dieser Erde verdient haben, für das, was sie tagtäglich leisten. Meine KollegInnen sehen das selbst meist nicht.

„Ich könnte das nicht“ - sagen sie mir immer, die anderen Menschen, denen ich nicht erzählen kann, was ich tagtäglich erlebe, denn sie sagen immer „das könnte ich nicht“. Das sagen sie übrigens meist, nachdem sie sagten „Ach wie süß - Kinder“ - kommt meist von Frauen, oder „Kannst Du dich auch mal um mich kümmern?“- Pornobemerkung oft von Männern.

Also können Pflegekräfte etwas, das einer Großzahl der Bevölkerung nicht mal in den Sinn käme: Oder haben sie schon mal einen Mann gestützt, während ihre Kollegin im den Hintern wischte? Haben sie schon einmal gesagt, fast wie beim Tanzen, irgendwie wie Tango? (Nicht das Hinternabwischen, jedoch die Haltung, die wir beide eingenommen hatten). „Ja ich habe früher viel getanzt mit meiner Frau.“. Das war nicht Porno, das war Tiefgang und tiefste Menschlichkeit. Das war Begegnung, wie wir sie alle viel mehr nötig haben. Das ist, warum wir nicht wegrennen, wenn wir Scheiße und Kotze riechen und nicht wegrennen wenn ihr Kind blitzeblau wird, weil es keine Luft mehr bekommt - es ist Menschlichkeit und nicht mehr verfügbar, denn wir sterben aus!

Nach allen Gesetzen der Volkswirtschaft führt Fachkräftemangel zwangsläufig zu höheren Löhnen. Hier nicht. Denn es geht ja nur um uns. Uns alle. Wir verdrängen das. Wir verdrängen, dass es nicht um Pflegekräfte geht, sondern um uns alle! Um die Menschen, die uns lieb sind.

Lieber Kapitalismus, wenn Deine Bedeutung ist, dass Menschen, die viel leisten auch viel verdienen, warum sind Pflegende nicht die reichsten Menschen von allen? Warum will nicht jeder diesen Beruf erlangen? Pflegende sind für mich die bescheidensten Menschen, die rund um die Uhr damit beschäftigt sind, sich um andere Menschen zu kümmern, deren Ausscheidungen zu begutachten, zu dokumentieren, Zusammenhänge zu erfassen, das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen, die ihren eigenen Körper zu viel abverlangen, um andere zu stützen, die empathisch sind, sie sind wachsam, für eine und für alle gleichzeitig da.

Doch sie haben eine fatale Schwäche: Sie werden nicht laut, sie beschweren sich nicht, sie meinen es liegt an ihnen, wenn sie es nicht alles schaffen. Insgeheim fühlen sie sich viele sogar schuldig, dass sie das nicht immer immer alles alles schaffen schaffen…

Sie können nicht streiken und gleichzeitig über Sie wachen. Oder was würden sie tun? Familien mit ihren teils tot kranken Kinder alleine lassen - oder streiken? Würden sie sich wirklich noch dafür interessieren, welcher Gewerkschaft sie beitreten wollen, wenn sie die Nacht mit einer Mutter und ihrem sterbenden Kind verbracht haben, und immer wieder, wenn es darum ging, das Wort „Sterben“ zu sagen, dann müssen sie einspringen, weil die Mutter selbst es nicht aussprechen kann: “Wenn mein Kind stirbt,...“

Pflegende können nicht streiken, denn sie haben zu viel zu tun! Bitte werden sie für mich laut, für uns laut, für sich selbst laut! Es geht um uns alle! Pflege ist kein Luxus, Pflege ist tiefste Menschlichkeit, Pflege ist Leben bis zu Letzt.

Enttäuscht bin ich, weil das einfach so stillschweigend hingenommen wird. Von uns allen. So viel Wut, von PatientInnen und ihren Angehörigen gegen KollegInnen und auch gegen mich – bei allem Respekt, diese Wut gilt nicht uns, ich weiß, dass meine Kollegin alles tat, auch wenn sie nicht für sie da war.

Ich bin so enttäuscht, von jedem Menschen, der hier nicht laut wird, nicht politisch wird, nicht für uns eintritt, weil ganz sicher, ich hätte nicht gezögert und ihren Hintern abgewischt und wenn sie Durchfall hätten auch eingecremt und sie schaffen es nicht für uns ihre Stimme zu erheben!

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