Musik aus der Ukraine - Teil 13

Ukrainisches aus Belarus und mehr

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Weiter geht es mit Hörbeispielen ganz unterschiedlicher Genres: Vertonung ukrainischer Lyrik von einer belarusischen Hardcoreband, Satirisches in Surzhyk aus der Zentralukraine und Triphop-Pop aus Kharkiv.

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Wir beginnen mit dem Land, das aktuell durch die Unruhen nach der Präsidentschaftswahl in den Nachrichten ist: Belarus. Das Land hat eine lebendige und kreative Underground-Rockszene, die eigentlich eine eigene Reihe von Musik-Blogs in der FC verdient, ich erinnere nur an N.R.M. (Незалежная Рэспубліка Мроя -Unabhängige Republik der Träume), die mit ihren Liedern dem Lukaschenka-Regime immer schon quer gelegen haben oder Lyapis Trubetskoj.

Aus letzterem Kollektiv hervor ging Brutto, die musikalisch irgendwo im Bereich zwischen Alternative, Ska und Hardcore angesiedelt sind. Die Band erlangte 2014 nach dem Maidan in der Ukraine einige Popularität, da sie sich offen mit den Demonstrationen solidarisierte, was ihr u.a. in Deutschland auch den unberechtigten Vorwurf einbrachte, politisch rechts zu stehen. Die meisten Lieder von Brutto sind in russischer, einige auch in belarusischer Sprache, aber es gibt auch zwei sehr interessante Aufnahmen in ukrainisch, beides Lyrik-Vertonungen, die wir uns hier einmal anhören wollen.

Das erste Lied ist Вечірнє сонце (Vetschierne Sontse - Abendsonne), nach einem Gedicht von Lina Kostenko:

Abendsonne, danke für den Tag!
Abendsonne, danke für die Müdigkeit.
Für diese paradiesischen Wälder
Und für die Kornblume im goldenen Roggen.

Für deine Morgendämmerung und für deinen Zenit
Und für meine verbrannten Zenite.
Dafür, dass es morgen grün werden will.
Dafür, dass es gestern gelang, auszuklingen.

Für den Himmel am Himmel, für Kinderlachen.
Für was ich kann und für was ich muss.
Abendsonne, danke für alle,
die die Seele nicht besudelten.

Für, das morgen auf seine Inspiration wartet.
Dass irgendwo auf der Welt noch kein Blut vergossen wurde.
Abendsonne, danke für den Tag,
Dafür, dass man Wörter braucht wie Gebete.

Abendsonne, danke für den Tag! .. (2)

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Das zweite Lied basiert auf einem Gedicht von Serhij Zhadan und passt in die Zeit, wo die ganze Welt Angst vor der "Seuche" hat. Es heißt Середні віки (Seredni Viky - Mittelalter):

Seit zwei Jahren wütet in der Stadt die Pest.
Nicht einmal Bordelle und Gefängnisse arbeiten.
Brot und Wasser sind ausgegangen.
Das kulturelle Leben besteht nur noch aus der Kreuzprozession.
Wir gehen und rufen die heiligen Väter.
Auf dem Rückweg nehmen wir die Toten auf.

Der Name des Papstes verliert Stärke und Macht.
Wahrsagerinnen kündigen ihre Arbeit.
Hat es Zweck, in dieser dreckingen Brühe zu rühren?
Was sollen sie auch wahrsagen? Es sterben sowieso alle.
Wen kümmert es, was die Sterne sagen?
Mittelalter, (so ein) Mittelalter.

Dann kommt der Bischof ins jüdische Viertel,
und sagt: "Wer von uns stirbt um des Geldes willen?
Uns alle vernichtet der himmlische Terror,
uns alle trägt es hinaus in den schwarzen Gang.
Es gibt kein Licht. Es gibt kein Ziel.
Es ist Zeit, mit den Festen zu beginnen.

Dann hört man den Paukenschlag.
Und aus der Erde erhebt es Handwerker und Huren,
und zieht uns in einen Strudel.
Die, die gestorben sind, schreckt der Tod nicht.
Keine erschreckt ihr Angesicht.

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Das dritte Lied ist in belarusischer Sprache. Es heißt Рокі (Rocky) und handelt von eben jenem Boxer:

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Kommen wir zu etwas leichterer Kost. Die nächste Band, Тік (Tik), eine Abkürzung für Тверезість і культура ("Nüchternheit und Kultur"), kommt aus der Gegend um Vynnitsya in der Zentralukraine. Der Bandname lässt schon erahnen, dass es hier nicht so ganz bierernst zugeht. Das fängt mit der Sprache an. In der Zentralukraine wird im Alltag von den meisten Menschen Surzhyk gesprochen - ukrainisch mit phonetischen Elementen und auch einigem Vokabular aus dem Russischen. Die Band verwendet diese Sprache ganz bewusst, natürlich zunächst, weil es ihre eigene ist, aber eben auch mit einer gehörigen Portion Selbstironie. Die findet sich auch in vielen Liedern wieder, in denen u.a. eifrig provinzielle Stereotypen karikiert werden. Musikalisch befindet sich das Ganze irgendwo zwischen Rock, Pop, Ska und Polka.

Das erste Lied, Сінєглазочка (Sinyeglasotschka - Blauäuglein), ist so eine Parodie auf das Provinzielle:

Die Sonne setzt sich, der Tag brennt aus
Und wir beiden fahren mit der Straßenbahn
Abendliche Stadt, die Laternen angeschaltet
Und Du verjagst Mücken von mir

Mädchen, blaue Äuglein
Komm zu mir auf die Bank am Abend
Mädchen, blaue Äuglein
Ich erzähl Dir ein Märchen

Wir sitzen im Park auf der Parkbank
Ich nehme mir eine Zigarette aus der Tasche
Du sitzt daneben und trinkst kein Bier
Sitzt neben mir und spuckst Sonnenblumenkernchen aus

Mädchen, blaue Äuglein...

Du liebst Brandy-Cola
Aber ich liebe Wein
Das heißt wohl, dass wir dann eben nicht zusammen sein werden
Bis dahin werden wir beiden uns ein bisschen miteinander beschäftigen
Und wenn es sich ergibt, dann werden wir uns später noch treffen

Mädchen, blaue Äuglein...

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Das zweite Lied, Свєта (Svyeta), verursachte, als es herauskam, einen kleinen Skandal und wurde auch für einige Zeit nicht im Fernsehen gespielt, denn die Dame, um die es da geht, ähnelte einfach allzusehr Ksenia Sobtschak, TV-Moderatorin, B-Promi, nebenher auch Tochter des ehemaligen Bürgermeisters von St. Petersburg, Anatolij Sobtschak und - natürlich lange nach Veröffentlichung des Liedes - später auch Kandidatin in der russischen Präsidentschaftswahl 2018. Auch wenn der Name ein ganz anderer war, war die Anspielung visuell doch mehr als deutlich. Es geht im Lied um Svyeta, die den (etwas dicklichen) Sänger der Band verführt, um dann später - mit Photos - in der Yellowpress von ihrem erotischen Abenteuer mit ihm zu berichten:

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Das dritte Lied ist eine kleine Groteske auf das Landleben und die Arbeit in der eigenen "Landwirtschaft" (die allgegenwärtigen Gemüsegärten, die es hinter fast allen Häusern gibt und die den Familien sowohl Essen als auch ein bescheidenes Einkommen durch Verkauf auf dem Basar beschert). Aus Walzer wird irgendwas zwischen Ska und Rock'n'Roll:

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Die dritte Band ist stilistisch wieder ganz woanders angesiedelt. Lюk (Lyuk - gemeint sein könnte hier das englische Wort Look) sind aus Kharkiv, und sie spielen Pop mit Elementen aus Dance, Electronic und manchmal auch Trip Hop. Das meiste ist nicht so ganz mein Ding, aber es gibt einige Lieder, die ich richtig gut finde, etwa Сахалін (Sakhalin):

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Das Lied Купала (Kupala) bezieht sich auf die alte ukrainische Tradition des Ivana Kupala Fests zur Sommersonnenwende, wo mit (heute natürlich nicht mehr ganz ernst gemeinten) magischen Ritualen für Fruchtbarkeit und - vor dem, versteht sich, baldige Ehepartner gesorgt wird:

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Im dritten Lied sehen wir zum Beginn des Videos Serhij Zhadan als Nachrichtensprecher:

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Heute ist ja angeblich der letzte schöne Tag des Sommers. Hoffen wir, dass das nicht stimmt, das Leben ist diese Tage schon traurig genug. Und außer Sonne, was hilft noch gegen schlechte Stimmung? Natürlich, es ist großartige Musik! Lasst es Euch gutgehen!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

mbert

Ukraine, Musik

mbert

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