Wenn das Kino vor der Krise kapituliert

Finanzkrise 2007 Geht es um die Ursachen der Finanzkrise 2007, fallen »The Wolf of Wall Street« sowie »The Big Short« zurück auf das analytische Niveau der 1920er Jahre.

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Die Verleugnung ist nach Sigmund Freud einer der wesentlichen Abwehrmechanismen des »Ichs«. Sie dient dazu, das »Ich« vor traumatischen oder anderweitig Unlust bereitenden Gedanken und Inhalte schützen. Für Freud ist das ein elementarer psychologischer Vorgang, dem jeder Mensch unterworfen ist.

In einem bemerkenswerten Text über die Verneinung – ein Beispiel für die Verleugnung – schreibt Sigmund Freud: »Die Reproduktion der Wahrnehmung in der Vorstellung ist nicht immer deren getreue Wiederholung; sie kann durch Weglassungen modifiziert, durch Verschmelzungen verschiedener Elemente verändert sein. Die Realitätsprüfung hat dann zu kontrollieren, wie weit diese Entstellungen reichen.« Soll heißen: Wenn wir uns an etwas erinnern, dann erinnern wir uns nicht realitätsgetreu an die Vergangenheit wie sie stattgefunden hat. Ohne dass es uns bewusst ist sorgt unser seelischer Apparat dafür, dass unwohlsame Vorstellungen weggelasen, modifiziert oder mit anderen verschmolzen werden. Das Resultat besteht dann aus Vorstellungsinhalten, die keine Unlust mehr bereiten.

Ein wesentliches popkulturelles Medium der Reproduktion von Wahrnehmungen ist der Film – besonders dann, wenn er sich auf historische Fakten stützt. Der Gedanke ist simpel: Filme reproduzieren nicht einfach die Vergangenheit so wie es war. Als ein Beispiel für einen solchen Film kann man den dreiteiligen Spielfilm »Unsere Mütter, unsere Väter« (2013) nehmen. Der Film erhielt hervorragende Einschaltquoten und fesselte ein Millionenpublikum. Der Spiegel schrieb daraufhin, der Dreiteiler setze »über Generationen hinweg einen neuen Meilenstein deutscher Erinnerungskultur.«

Opa war kein Nazi

Aber nicht alle Kritiker teilten diese Meinung. In der taz beklagte Ulrich Herbert die euphemistische Darstellung der Protagonisten: »Nichts von dem Vertrauen und der Liebe, die Hitler gerade aus der Jugend entgegenschlug. Nichts von der festen Überzeugung, dass Europa von Deutschland beherrscht werden müsse. Und dass es besser wäre, die Juden wären weg. Nicht, dass sie umgebracht werden sollten – aber weg sollten sie sein. Und ganz normale Deutsche, wie hier beschrieben, waren die Juden selbst in den Augen derjenigen Deutschen nicht, die den Nazis eher reserviert gegenüberstanden.« Und auch Matthias Kamann stellte in Die Welt fest: »Von den fünf Protagonisten, die uns da als Durchschnittsdeutsche vorgeführt werden, sagt keiner, dass die Nationalsozialisten recht hätten.«

Ich glaube hier muss man ganz klar die freudsche Verleugnung sehen. Verleugnet wird der Umstand, dass liebende Väter und Mütter gleichzeitig glühende Antisemiten sein könnten. Es wird geleugnet, dass es eben kein per se hasserfüllter Charakter ist, der uns von den Nazis unterscheidet. Dass die Erinnerung an den Nationalsozialismus, vor allem im familiären Kontext, sehr schmerzhaft ist, ist jedoch nichts neues. Ich glaube aber, dass wir an anderer Stelle eine ähnliche Form der Verleugnung erkennen, nämlich wenn es um die Finanzkrise 2007 geht.

Gerade im Falle der Finanzkrise 2007 kursieren viele Erklärungsansatze dafür, warum es zur Krise gekommen ist. Das ist allein schon der komplexen Materie geschuldet: Das internationale Finanzwesen offenbart sich sehr schnell als ein kafkaeskes Gerüst von wirtschaftlichen, politischen und persönlichen Verbindungen, das nur umso komplizierter und verwirrender wird, je länger man sich damit beschäftigt. Dieses unübersichtliche Geflecht in einen ansprechenden 90-120 minütigen Film zu verwandeln ist eine Mammutaufgabe. Der Durst nach Erklärungen für die globale Kernschmelze des Finanzystems war aber glücklicherweise so groß, dass sich einige Filmemacher dennoch der Aufgabe gestellt haben.

Billiger Moralismus kann die Krise nicht erklären

Martin Scorsese zum Beispiel hat mit seinem Film »The Wolf of Wallstreet« (2013) einen sehr schlechten Weg gewählt, der Krise Sinn zu verleihen. Der Protagonist des Filmes, Jordan Belfort, wird uns vorgestellt als ein Mann der kein Maß kennt. Als Emporkömmling aus der amerikanischen Mittelklasse ist er bessesen von Geld und sozialem Aufstieg. Skrupellos verkauft er Ramschpapiere an unbescholtene Bürger und schafft es so an die Wallstreet. Dort geht es dann erst richtig mit den illegalen Machenschaften los. Drogen und Prostituierte wandern im Minutentakt über die Leinwand. Wenn eigentlich schon alles zu spät ist, verbietet es ihm sein Ego sogar, einen rettenden Deal mit den Ermittlungsbehörden einzugehen. Der Film ist ein einziger Drogenrausch, eine Zurschaustellung der grenzenlosen Gier und moralischen Verkommenheit an der Wallstreet. Belfort scheint für die Wallstreet gemacht zu sein. Er ist maßlos und man verfolgt seinen Fall mit Häme. Seine Geschichte spielt vor der Finanzkrise, aber sie legt nahe wie es dazu kommen konnte.

Der echte Jordan Belfort, auf dessen Biografie der Film basiert, gibt dem Fernsehsender CNN später ein Interview. Er gibt sich darin geläutert. Seine Fehler und seine Einstellung dieser Tage repräsentiere vieles dessen, was auch später während der Finanzkrise an der Wallstreet falsch gelaufen sei, sagt er dort. Gleichzeitig versichert der wahre Jordan Belfort aber auch, wie beeindruckt DiCaprio von seinem persönlichen Wandel gewesen sei. Die Finanzkrise begegnet uns hier als individuelles, moralisch-ethisches Versagen. Das Problem ist hier nicht systemisch oder stukturell, sondern schlichtweg die moralische Verkommenheit der Finanzelite.

Wie beim Nazi aber dient dieses Zerrbild dazu, schlechtes Verhalten als Ausdruck einer schlechten Persönlichkeit zu verstehen. Geleugnet wird, dass Jordan Belfort eigentlich ein Mensch ist wie du und ich. Das Problem ist dem Film nach, dass wir die falschen Banker an der Börse haben. Wenn dem so wäre, dann bräuchten wir einfach mehr 'gute' Banker und alles liefe wie geschmiert (vielleicht ist diese Denkweise ja der Grund dafür, dass Olaf Scholz 2018 einen ehemaligen Investmentbanker in sein Team holte). Aber das stimmt natürlich nicht. Ob Frankfurt am Main oder New York: Die meisten Banker gehen morgens nicht zur Arbeit mit dem Vorsatz, die Allgemeinheit auszurauben. Das stellt auch Belfort selbst in einem Interview klar: »Wir haben nie gesagt 'Lasst uns die Leute ausnehmen!'«

Regulierung per se wird auch nicht helfen

In eine ganz ähnliche Richtung geht der Film »The Big Short« (2015), der auf dem gleichnamigen Bestseller von Michael Lewis basiert. Die Protagonisten, allesamt Wall Street Außenseiter, erkennen bei genauerer Betrachtung, dass die an den Börsen gehandelten Immobilienkredite faul sind. Sie wetten schließlich gegen gegen die globale Finanzindustrie auf den Ausfall eben dieser Kredite und werden schließlich Kraft ihres kritischen Denkens reich. Auch dieser Film wartet mit der üblichen moralistischen Kritik am Bankertum auf, aber er versucht auch aufzuklären. Etwa wenn die Sängerin Selena Gomez zusammen mit dem Verhaltensökonom Richard Thaler dem Zuschauer beim Black Jack die Funktionsweise spezieller Finanzinstrumte (synthetischer Collateralized Debt Obligations) zu erklären versucht. Der Auftritt von Thaler irritiert allerdings an dieser Stelle. Denn die Verhaltensökonomie hat die Krise selber nicht nur nicht vorhergesehen, sondern auch nach der Krise nichts Bedeutsames über ihre Ursachen zutage gefördert. Für den Wirtschaftsnobelpreis und ein Cameo reicht es dennoch.

Unglücklicherweise erweckt diese Herangehensweise den Eindruck, die freien, unregulierten und irrationalen Finanzmärkte müssten nur stärker reguliert werden damit sie wieder funktionierten. Das fußt aber auf einem Missverständnis des Verhältnisses von Staat und Markt: Märkte existieren nicht einfach von Natur aus. Sie müssen von staatlichen Institutionen geschaffen werden und allein aus diesem Grund können sie nie vollkommen frei vom Staat sein. Das wissen wir spätestens seit Karl Polanyi.

Das Gerede vom freien Markt ist eine Chimäre. Wenn überhaupt, ist der Regulierungsstaat heute stärker denn je. Dafür ein Beispiel: Staatliche Behörden versteigern Mobilfunkfrequenzen um eine optimale Netzabdeckung zu gewährleisten. Damit wurde in den 90er Jahren in den USA angefangen. Weil es mit solchen Auktionen noch keine Erfahrung gab, rief man die Auktionsteilnehmer – die Telekommunikationsunternehmen – dazu auf, an der genauen Ausarbeitung der Auktion mitzuarbeiten. Jede Firma entsendete einen Ökonomen ihrer Wahl, der Lobbyarbeit für eine Auktionsart betrieb, die im Interesse des jeweiligen Auftraggebers war. Nachdem ein Kompromiss gefunden und die Auktion beendet wurde, musste man jedoch feststellen, dass die festgesetzten Ziele nicht erreicht wurden. Die Netzabdeckung im ländlichen Bereich war armseelig, ausschließlich große Konzerne teilten sich den Markt und zudem konnten die Auktionspreise gedrückt werden, sodass die öffentliche Hand weniger einnahm. Für die Konzerne war die Auktion ein Segen, für die Allgemeinheit nicht. In Deutschland ist die Situation im Mobilfunknetz ähnlich, denn auch hier werden die begehrten Frequenzen versteigert.

Eine Krise des Markts – oder des Kapitalismus?

Regulierung ist kein Allheilmittel gegen das Versagen des Kapitalismus. Regulierung und Kapitalinteressen schließen sich nicht gegenseitig aus. Im Gegenteil: Wo der Staat neue Märkte schafft, da muss und will er auch regulieren. Aufbauend auf neoliberale Vordenker haben die Wirtschaftswissenschaften eine gesamte Subdisziplin ('Market design') ins Leben gerufen, um die Effizienz von Märkten zu gewährleisten. Diesen Märkten vertrauen wir enorme Aufgaben an. So scheitert zum Beispiel der europäische Emissionshandel seit Jahren daran, die europäischen CO2-Emissionen zu verringern. Hier geht es nicht um irgendwelche Detailfragen, mit denen sich nur Technokraten (das bedeutet heute vor allem Ökonomen) befassen sollten. Hier geht es ums Eingemachte.

Die Regulierungsbefürworter und Kritiker grenzenloser Gier legen nahe, dass die Finanzkrise von 2007 im wesentlichen eine Krise unregulierter Märkte, exzessiver Gier und vielleicht eine Krise der Irrationalität war. Das ist vor allem ein Zeichen dafür, dass der Neoliberalismus nicht geschwächt, sondern gestärkt aus der Krise von 2007 hervorging. Dass es sich bei dieser Krise um eine Krise des Kapitalismus handelte, ist schnell unter den Tisch gefallen. Das ist eine Sichtweise, die natürlich die politischen Kräfte teilen, die die Krise erst mitverursacht haben. Wenn man allerdings auf das analytische Niveau der 1920er Jahre zurückfällt, dann kann man es eigentlich auch gleich sein lassen.

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