Bedenken- und gewissenlos

Deutschlandfunk Wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk die letzte Ausfahrt verpasst, wenn es darauf ankommt

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Und das zuerst: Das Gute an dieser Geschichte ist, dass Trennendes erkennbar wird, wenn die Hütte erst mal richtig brennt.

Einen katastrophal dummen politischen Kommentar zum Thema Whistleblowing/Edward Snowden brachte gestern Abend der Deutschlandfunk. Ausgerechnet! Und zur besten Sendezeit. Autor des Kommentars ist der seit August 2012 als Korrespondent in Washington für den Sender arbeitende Journalist und dortige Büroleiter Marcus Pindur.

Die Argumentation des Kommentars gründet auf der haltlosen Eingangsbehauptung, dass Edward Snowden kein Whistleblower sei: Er habe lediglich hinlänglich Bekanntes und mithin der breiten Öffentlichkeit wohl Bewusstes zu Protokoll gegeben „[...]Er hat keine einzige illegale Praxis der amerikanischen Regierung enthüllt, keinen illegalen Übergriff der Sicherheitsbehörden belegt.“

Und weiter ebenda, quasi als Generalabsolution: „All das, was wir von ihm erfahren haben, passiert innerhalb des amerikanischen Rechtsstaates und amerikanischen Rechts.[...]“ Spätestens seit Guantanamo kann man so etwas eigentlich nur noch als völlig irre und idiotische Begründung abtun.Eigentlich ein Brüller – wenn es denn der Deutschlandfunk nicht als politischen Kommentar gesendet hätte. Und da wird es ernst und ist darüber hinaus explizit nicht mehr zum Lachen.

Ein kurzer Blick in eine einschlägige Online-Enzyklopädie hätte dem Autor klar verdeutlicht, dass er bezüglich seiner willkürlichen Whistleblowerdefinition möglicherweise inhaltlich und faktisch extrem schief liegt; eigentlich könnte man aber auch erwarten, dass solche Rückversicherung in einem Nachschlagewerk auf Grund eines gesunden Menschenverstandes erst gar nicht nötig sein sollte. Von einem geübten, seriös recherchierenden, kompetenten politischen Journalisten eines solch' immens wichtigen Senders ganz zu schweigen... „[...]Ein Whistleblower [...] ist eine Person, die für die Allgemeinheit wichtige Informationen aus einem geheimen oder geschützten Zusammenhang an die Öffentlichkeit bringt. Dazu gehören typischerweise Missstände oder Verbrechen wie Korruption, Insiderhandel, Menschenrechtsverletzungen, Datenschutzmissbrauch oder allgemeine Gefahren, von denen der Whistleblower an seinem Arbeitsplatz oder in anderen Zusammenhängen erfährt.[...]“

Snowden, so Pindur weiter, hätte doch den Rechtsweg beschreiten und sich u.a. an den Geheimdienstausschuss des US-amerikanischen Repräsentantenhauses wenden können. Statt dessen habe er sich nun, Pindur wörtlich, „versündigt“. Das ist fast schon fundamental verblödet, mittelalterlich.

Nachdem der „Sünder“ vom Polit-Kommentator als solcher dergestalt geteert und gefedert wurde, unterstellt ihm der hochbezahlte Qualitäts-Journalist vom öffentlich-rechtlichen Deutschlandfunk Theatralik, Selbstinszenierung, bestenfalls Naivität („ein geistesgestörter, paranoider Narzisst“ soll dies wohl konnotieren; Gustl Mollath lässt grüßen) um Snowden anschließend in die Jauche seines eigenen Zynismus zu tunken „[...]Dass er für seine Flucht die Hilfe Chinas, Russlands, Kubas und Ecuadors in Anspruch nimmt, alles Länder, die die Meinungs- und Pressefreiheit mit Füßen treten, unterstreicht bestenfalls seine politische Naivität, schlimmstenfalls seinen Zynismus. Und den Zynismus derer, die sich seiner bedienen.[...]“

Die wirre Conclusio des Autors kommt natürlich nicht ohne den final beabsichtigten Arschtritt aus: „[...]Edward Snowden wird nicht von den amerikanischen Sicherheitsbehörden verfolgt, weil er sich gegen die USA gestellt hat. Sondern weil er sich bedenken- und gewissenlos über den Rechtsstaat hinweggesetzt hat. Mal sehen, wie glücklich er im ecuadorianischen Exil wird.“ - Fast fragt man sich: Hätte ein stilbewusster, kultivierter Julius Streicher die letzte, "rhetorische" Frage hämischer formulieren können? Edward Snowden, das ist nun klar nach Pindur, ist so vogelfrei wie der letzte Steinzeit-Lumpen-Taliban. Das muss dem ungläubig Dummen tief im Westen unbedingt getrichtert, gestopft werden.

Bedenken- und gewissenlos zeigen sich hier lediglich der inkompetente Autor und ein öffentlich-rechtlicher Sender, der solchen Irr-Sinn auch noch ausstrahlt. Aber das ist wohl insgesamt dem #Neuland und der dieser dumm-populistischen Denkfigur innewohnenden Verantwortungslosigkeit geschuldet. - - - „Ick kann jar nich so ville fressen, wie ick kotzen möchte.“

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Coda: Jens Berger hat auf den NachDenkSeiten ebenfalls einen Kommentar zum Thema veröffentlicht. Titel: „Jagd auf Edward Snowden – Die Rückkehr des hässlichen Amerikaners“

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