Desinformanten

Überwachung Keine Aufklärung im weltweit größten Überwachungsskandal ist auch eine Folge des Versagens der Leitmedien hierzulande

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Desinformanten

Foto: Mario Tama / AFP / Getty Images

Seit vor gut einem Jahr die Weltöffentlichkeit von der totalen Überwachung durch die Geheimdienste erfuhr, hat sich wenig getan. Man fragt sich, warum das so ist, bzw., «was denn noch passieren muss», damit ausreichender öffentlicher Druck auf die politisch Verantwortlichen entsteht.

Leitmediale Erklärbären

Dieses anscheinende, schulterzuckende Desinteresse einer gefühlten Mehrheit wird von medialen Erklärbären gerne damit begründet, dass die fundamentale Bedrohung durch die weltweite, quasi als Privat Public Partnership organisierte Internet-Spionage gegen die eigenen Bevölkerungen für «den Normal-Bürger» (Contenance verbietet dem Erklärbär hier das eigentlich gemeinte «Idiot», denn der Idiot ist ja gleichzeitig auch der Kunde) eine technisch «schwer verständliche» Sache sei, die eben «zu abstrakt» ist. Somit weisen die Erklärbären auch gleich a priori die Schuld für ihr massives Versagen von sich — und sie den Überwachten zu, die sie eigentlich verständlich hierüber informieren sollten und müssten. Natürlich: Man bemüht sich publikums- und auflagenwirksam, verlinkt haufenweise geheime PDFs, macht schon auch mal ein Wochenthema dazu. Aber schlüssige, sinnliche Erklärungen zu den größeren Zusammenhängen? Angebrachte historische Vergleiche etwa? Fehlanzeige. Da versperren einem wohl dann doch die eigenen ideologischen und mittlerweile baufälligen Luftschlösser die weitere Sicht auf die Landschaft.

[Nebenbei: Jetzt könnte man natürlich auch sagen, dass in einem Land, dessen amtierender Bundespräsident ja auf dem Ticket, ein DDR-Dissident gewesen zu sein, unterwegs ist und der u.a. deswegen in dieses Amt gehievt wurde, der der oberste Stasi-Aufarbeiter war, eigentlich mal eine öffentliche Ruckrede dazu gehalten werden könnte — um den Verantwortlichen für den Geheimdienstsupergau gehörig ins Gewissen zu reden. Leider aber hat dieser unglaubliche Mann aus dem aktiven, inneren Widerstand gegen SED, Stasi und Stalin jedoch derzeit andere, wichtigere Sorgen: Deutschland soll endlich wieder mitballern dürfen auf den Schlachtfeldern dieser Welt, ohne sich dafür schämen zu müssen. Und das kann — gemessen an der Frequenz, mit der er das derzeit wiederholt — offensichtlich gar nicht schnell genug gehen. Warum noch mal musste Köhler vor 5 Jahren zurücktreten?..]

Versagen der Medien

Spricht man von den Enthüllungen Snowdens (der neuerdings in den Leitmedien auch nicht mehr zutreffend als «Whistleblower» sondern, quasi neutralisiert, als «ehemaliger US-Geheimdienstmitarbeiter» bezeichnet wird) und dem merkwürdigen Umstand, dass diesen Enthüllungen bislang keine politischen Konsequenzen folgten, welche diesen Namen verdienen, muss man auch vom Versagen der Leitmedien sprechen. Wer das ganze Ausmaß dieser Überwachungskatastrophe so schlecht und nicht relevant erklärt, wer nach entsprechenden Beiträgen als öffentlich-rechtliche Anstalt bspw. auch noch zur Diskussion auf Facebook einlädt (wahrscheinlich über seine Windows-gesteuerte Infrastruktur), ist entweder inkompetent, total bescheuert — oder er hat ein irgendwie gelagertes, eigenes Interesse daran, dass nicht aufgeklärt wird. Alles das aber ist, gemessen an seinen Folgen, gleich schlimm.

So auch wieder heute: Snowden will sich angeblich nicht mit den Abgeordneten des NSA-Bundestagsuntersuchungsausschusses treffen. Egal, ob Süddeutsche, FAZ, Deutschlandfunk oder Spiegel — überall wird es mehr oder weniger so kolportiert und aufbereitet, als mache der «ehemalige US-Geheimdienstmitarbeiter» irgendwie Schwierigkeiten, ziere sich. Vielleich, weil er gar nichts Neues zu sagen hat?.. Eine gewisse & gewiss kleinlich zu nennende Angst, seinen russischen Asyl-Status bei Putin zu verspielen, macht er seine Zeugenaussagen etwa in Moskau, gesteht man diesem Helden, der ja - Licht mal aus und Schminke runter - eigentlich nur ein 'ehemaliger Mitarbeiter' ist, ein Subalterner, einer 'wie du und ich', dabei manchmal durchaus zu (der «Idiot», dieses Mal als Kunde, wird diese subtilen Andeutungen schon schlucken und wunschgemäß interpretieren). Fehlt angesichts dessen nur noch die dämliche Frage: «Sind wir nicht alle ein bisschen Snowden?..» Usw. usf.

Korrelationen

Die mediale Kolportage des Vorgangs korreliert natürlich wunderbar mit den dreisten Sprüchen aus Groko-Kreisen, die nahe legen sollen, dass Snowden als Zeuge nichts wesentlich Erhellendes zur Aufklärung der Überwachungs-Affäre beitragen könne. Vermutlich wird genau andersherum ein Schuh daraus: Sollte Snowden vor dem Ausschuss tatsächlich einmal aussagen, kämen wahrscheinlich Dinge, vor allem auch über deutsche Dienste, ans Licht, die in Folge fast evident machten, dass bspw. beim Münchner NSU-Prozess Beamte des Verfassungsschutzes, ehemalige und amtierende Politiker, Minister und Staatssekretäre neben Beate Zschäpe auf der Anklagebank sitzen müssten. (Mal abgesehen von den sich somit dann endgültig mindestens als absurd und verrückt zu bezeichnenden Forderungen nach einer Vorratsdatenspeicherung, wie sie derzeit — schon wieder! — vorgetragen werden, i.d.F. von Reinhold Gall, SPD und Innenminister B/W)

Wer den aktuellen Brief des deutschen Anwalts Snowdens in Ruhe liest, wird feststellen, dass Snowden über diesen hat lediglich mitteilen lassen, dass er als ordentlicher Zeuge für eine Aussage in Deutschland unter den dafür üblichen, unabdingbaren Voraussetzungen nach wie vor zur Verfügung stehe, er aber keinen Sinn in einem netten, unverbindlichen Plausch in Irgendwo sieht und daher der von CDU und SPD geplanten Kaffeefahrt nach Moskau klugerweise eine Absage erteilt. Um Solches aber scheren sich die medialen Leitbären anscheinend eher weniger. Warum wohl nur?

Deutscher Anwalt: Edward Snowden bietet ausführliche Aussagen “zu konkreten Tatsachen und Ereignissen”(netzpolitik.org)

"Unser Ideal sollte nicht eine Gesellschaft sein, die allen vermittelt, dass sie nur dann in Ruhe und Frieden leben können, wenn sie sich das konziliante Verhalten und die altbekannten Weisheiten der Kolumnisten des Establishments zu eigen machen." (Glenn Greenwald; u.a. hier)

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