Frugale Geschichte

Alltag in Stuttgart Wieder jemand vor Gericht. Jedoch - nach wie vor - die Falschen.

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Stuttgart gilt, laut neuester TAZ-Beilage (West), als Hochburg der Bürgerbeteiligung, der Zivilcourage. Die sich an ihrer Stadt beteiligenden, tatsächlich couragierten Stuttgarter Bürgerinnen und Bürger können über solche Medien-Euphemismen kaum noch Witze reißen: Sie werden - systematisch & subtil - fertig gemacht.

Dazu ein alltäglicher, gleichwohl ausführlicher, ziemlich genauer, jedoch kaum barocker Bericht, der mich in der Vielzahl der Erzählungen seltsamerweise durchaus berührt hat . Möglicherweise weil er für gegenwärtige Stuttgarter Verhältnisse ziemlich 'normal' und angenehm unhysterisch, dafür aber um so beunruhigender zu sein scheint:

(Zitat; 13. September 2012)

Heute berichte ich ausführlicher über meine Gerichtsverhandlung wegen angeblichen Nichteinhalten des Platzverweises (7.2.2012 - Abriss Südflügel). Nochmals ein super herzliches Dankeschön an alle, die da waren und mich unterstützt hatten und alle, die mir Glück gewünscht hatten. Vor allen Dingen an die Älteren, die teilweise auch nicht so gut zu Fuß sind. Und einen besonderen Dank an einen Mitstreiter, der extra aus Frankfurt kam! Das hilft viel. Die Verhandlung fing eine Stunde später an, das war schon nervig. Ich hatte keinen Anwalt mit, das war für mich Premiere und die Aufregung entsprechend hoch.

Die Verhandlung fing, wie gehabt, mit Abfrage der Personalien an.
Was mich erst mal aus dem Konzept brachte, war der Versuch, einen „Deal“ zu machen.
Sie sagte, dass ich ja die Wagenburgtunnelgeschichte anhängig habe (Bußgeld wegen Nichteinhaltung der aufgelösten Versammlung). Wenn ich den Einspruch wegen der Platzverweisgeschichte fallen lasse, würde sie den Wagenburgtunnel fallen lassen. Da war ich erst mal platt! Aber, das wäre ein schlechter Deal gewesen, denn ich hatte ja die Platzverweisgeschichte nicht begangen! Ich verstehe die Richterin schon, sie wollte keine Verhandlung haben. Aber für mich wäre es ein eklatanter Nachteil gewesen - ich wäre für etwas verurteilt worden, was ich nicht begangen habe! Also sagte ich natürlich Nein zu dem Deal. Das hat sie auch verstanden!
Dann befragte mich die Richterin zum Sachverhalt. Ich erläuterte, dass ich zunächst am Südflügel mitblockierte. Es kam dreimal eine Lautsprecherdurchsage der Polizei, die uns einen neuen Versammlungsort zuwies - das Gebiet um das GWM-Tor. Dort begab ich mich auch hin, denn ich wollte nicht weiter blockieren. Einige waren wohl trotzdem am Südflügel geblieben und deshalb kam eine neue Lautsprecherdurchsage. Es wurde die Versammlung aufgelöst und, was für mich persönlich der wichtige Punkt war: Der Polizist sagte: „...werden wir ihre Versammlung auflösen. Bitte verlassen sie die Straße am Schlossgarten und begeben sie sich Richtung Stadtmitte. Sollten sie dieser Aufforderung nicht nachkommen, werden wir ihre Personalien feststellen und sie erhalten einen Platzverweis.“ Ende der Durchsage. Es folgt keine weitere Durchsage mehr.

Es bildete sich die Polizeikette und ich war ja auf der Höhe des GWM (Videobeweis).
Diese drängte uns Richtung Stadtmitte. Ein Polizeibeamter forderte mich zweimal auf, zu gehen. Ich setzte mich auf einen Schildsockel am Tor. Daraufhin wurde ich aus der Kette herausgeführt, die Personalien wurden von zwei anderen Beamten festgestellt und ich erhielt einen Platzverweis. Der Polizist, der mich zweimal zum Gehen aufgefordert hatte, kam nochmals ans Auto und sagte dem Beamten, ich würde eine Anzeige wegen Nichteinhaltung des Platzverweises erhalten. Da war ich sauer, denn ich hatte erst gerade den Platzverweis am Auto erhalten!

Die Richterin wies ich daraufhin, dass die Lautsprecherdurchsage eindeutig besagte: Wenn man nicht ginge, würden die Personalien festgestellt und DANN erhält man einen Platzverweis. Also war es so, dass ich nicht gegen einen Platzverweis verstoßen hatte. Dieser Auffassung folgte auch die Richterin.
Ich durfte meine Einlassung vortragen (siehe Anhang). Danach wurde der Polizist als Zeuge geladen. Er sagte im Prinzip dasselbe aus, was in seinem Bericht stand, ich durfte ihn auch nochmal befragen. Ich war froh, (so selbstverständlich ist das bei S21-Verfahren nicht) dass der Polizeibeamte die Wahrheit gesagt hatte, dass er mir in der Polizeikette nicht einen Platzverweis erteilt hatte, sondern mich nur aufgefordert hatte zu gehen. Aus anderen Verfahren weiß ich, dass das bisweilen anders lief - dass die Polizei Dinge sagte, die so nicht richtig waren.
Was ich bemerkenswert fand, war, als die Richterin zum Beamten sagte, dass diese Verfahren der Polizei doch besser mit dem Vorgesetzten abgesprochen sein müssten. Wenn eine Lautsprecherdurchsage mit einer klaren Ansage erfolgt (erst Personalienfeststellung, dann Platzverweis), dann muss das verbindlich sein und es reichte nicht, mich nur zum Gehen aufzufordern. Das muss stimmig sein.

Man hatte aber gemerkt, dass ich nicht „leer“ rausgehen sollte! Sie nagelte mich fest, dass ich ja den aufgelösten Versammlungsort nicht verlassen hätte.

Ich sprach mein Schlusswort (kürzte aber Sachen, die bereits besprochen waren).

Sie sprach das Urteil: 50 Euro wegen Nichteinhaltung der Versammlungsauflösung in einem minderschweren Fall (minderschwer, weil die Blockade und das ganze Drum-Herum nur ca. eine Stunde gedauert hatten). Die Verfahrenskosten trage ich auch.
Der Vorwurf wegen Nichteinhaltung Platzverweis wurde fallengelassen.

Auch hier wieder leider die alte Geschichte: Egal was von oben oder seitens der Bahn kriminell gehandelt wird, wir teils nicht klagen dürfen oder die Staatsanwaltschaft einfach die Klagen nicht aufnimmt, wir sollen (überspitzt gesagt) brav sein und die „normalen“ Demos abhalten. Was die Rechtsbrüche der Projektbefürworter betrifft, ist vieles „nur“ unsere „Auffassung“. Fand ich ärgerlich, denn die Projektbefürworter dürfen inzwischen ganz frech zugeben, dass das Ding nix taugt. Und was nix taugt, aber mit Milliarden Steuergeldern bezuschusst wird, ist Veruntreuung von Steuergeldern!
Für uns gäbe es genug Möglichkeiten zu demonstrieren.
Tun wir doch auch! Manchmal reicht das aber nicht - wie hier in Stuttgart. Es ist halt so, dass die Medien oft nur berichten, wenn es auffällige Aktionen gibt, dass Politik überhaupt erst reagiert, wenn es rumort. Dass Menschen überhaupt mitkriegen, dass da was nicht stimmt.

Trotz allem, fand ich jetzt die Verhandlung so schlecht nicht, der hauptsächliche Vorwurf wurde fallen gelassen und das war mir wichtig. Ich lasse mich nicht für etwas bestrafen, was ich de facto nicht gemacht hatte.

Meine Einlassung und Schlusswort im Anhang. Das war wichtig, weil doch viele sehr wesentliche Punkte zum niederträchtigen Verhalten seitens der Stadt und Land gegenüber den Bürgern aufgeführt werden. Aber auch rein formale Geschichten.

Beim Schlusswort erwähne ich noch zeitliche Widersprüche. In meinem Fall war das nicht relevant, aber ich halte die Diskrepanz zwischen Zeitangaben in den Beweisvideos und der Aussage der Polizei, diese stimmen nicht mit der tatsächlichen Uhrzeit überein, doch für absolut falsch! So darf das nicht gehen. Das sollte schon generell hinterfragt werden.

Fazit:
-Wehrt Euch,wenn ein Tatvorwurf nicht stimmt.
-Überlegt Euch gut, welche Deals ihr eingeht, wenn Euch welche vorgeschlagen werden. Gebt Euch die Zeit zum überlegen und habt den Mut, auch Nein zu sagen. Ich hatte auch noch gefragt, ob ich mich besprechen darf mit den anderen, war dann aber doch nicht nötig.
Klar ist, wer öfter auffällt, wird auch verhandelt, auch wenn eigentlich der Tatvorwurf nicht unbedingt haltbar war. (Mein Eindruck) Und wenn er nicht haltbar ist, nimmt man was anderes (Trotzdem war ich froh über diesen Ausgang, sie hat wirklich gut hinterfragt und auch offen Kritik am Verfahrensvorgang der Polizei geübt, natürlich auch mich kritisiert).

Die Gründe, warum wir auf der Straße sind, zählen nach wie vor nicht so, wie es sich eigentlich gehört. Hier muss ich relativieren - es war ein Bußgeldverfahren. Dennoch hoffe ich auf die Zukunft, dass irgendwann der Kragen platzt und die wirklich Verantwortlichen mal drankommen. Ich denke, das wird erst passieren, wenn viele Kinder in den Brunnen gefallen sind.

Dennoch bin ich der Auffassung, der Kampf lohnt sich. Wie ich mitgekriegt habe, ist hinter den „Gerichtsmauern“ doch einiges in Bewegung. Leider schlägt sich das noch nicht in konsequentem Handeln nieder, was die Projektbetreiberseite betrifft, denn das die so offen unrechtmäßig handeln dürfen, ist ganz fatal!
Und wieder mein alter Spruch - keiner müsste auf die Straße, wenn die Politik selbst mal ihre Gesetze und die Verfassung einhalten würden und die Bahn hier nicht einen Blankoscheck für Rechtsbrüche hat!

(Zitat Ende; eingefügte Links von mcmac)

Link zum Original: http://www.parkschuetzer.de/statements/138241

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