S21- "der schoß ist fruchtbar noch ..."

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Worin liegen die tieferen Ursachen für die Entwicklungen der letzten Tage und Wochen rund um S21? Ziemlich tief. Tiefer als der neue Tunnel-Bahnhof gelegt werden kann und soll. Zum Beispiel in der -besonders im Südwesten- kaum erfolgten, ehrlichen Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit. Die Amerikaner handhabten diese angesichts des heraufziehenden Kalten Krieges bewusst lax; amerikanischer, politisch motivierter Freund-Feind-Pragmatismus as it's best. Kaum verwunderlich also, dass in Folge ein grausam waltender Nazi-Marinerichter, der mutmaßlich noch nach der Kapitulation Todesurteile gegen „Deserteure“ verhängte, jahrelang Ministerpräsident von B/W sein konnte. Und erst jüngst durch einen seiner Nachfolger zum Widerstandskämpfer öffentlich umgelogen wurde.

Das kann nur möglich sein in einem bestimmten geistig-gesellschaftlichen Klima. Dass Filbinger damals letztlich zurück treten musste, hat aber mitnichten zu einem politischen Wechsel geführt – die Südwest-CDU saß (und sitzt!) fest im Sattel. Was deren derzeitige Protagonisten sich an Verhalten und begleitender Rhetorik leisten dürfen angesichts ihrer Taten, auch im Zusammenhang mit S21, führt nicht etwa dazu, dass sie -weil das Maß inzwischen mehr als voll ist- hinweg gefegt werden. Im Gegenteil: Die Umfragewerte steigen. Verkehrte Welt.

Diese Perversion außerhalb des oben angedeuteten historischen Zusammenhangs zu betrachten und zu bewerten, kann zu Fatalismus führen. Ein Fatalismus, bestens geeignet den nächsten, falsch verstandenen politischen Pragmatismus a la Özdemir/Kretschmann zu befördern (siehe Landesparteitag der Grünen letztes Wochenende). Von der feigen und bisweilen bizarren Gesinnungslumperei der Südwest-SPD ganz zu schweigen (Der großartige, hochgeschätzte & aufrechte, viel zu früh und frisch verstorbene Hermann Scheer rotiert im Grabe; nicht zuletzt das Verhalten seiner Partei bezüglich S21 dürfte ein Nagel zu seinem Sarg gewesen sein.)

Zur Rolle der Grünen beim Zustandekommen der viel gepriesenen Geißler-Schlichtungsshow gäbe es allerdings auch eine Menge zu sagen. Nur so viel an dieser Stelle: Sie tragen einen großen Teil der Verantwortung, dass es so kam, wie es sich nun darstellt. Auch die Grünen müssen noch lernen, dass, wer mit dem Teufel essen will, einen langen Löffel braucht. Sonst blüht ihnen schneller als sie denken können das Schicksal der sich selbst marginalisierenden SPD. (Paradoxerweise wirkt die Verwurzelung der CDU in altbraunen Sumpfgebieten nicht nur nicht wie eine desaströse historische Verstrickung; halb-links dieser Position ätzt sie auch noch wie Säure und erodiert den wankelmütigen politischen Gegner zuverlässig.)

Fest steht, dass die stramm neokonservativ/neoliberal aufgestellte Südwest-CDU Grüne und Rest-SPD vor sich her treibt. Das gelingt ihr nicht zuletzt auch, weil sie -in gut gebräunter Tradition- darüber hinaus auch als die Feste eines historisch tief verwurzelten Fundamental-Antikommunismus auftreten kann; SPD, und nun auch Grüne, versuchen zu retten, was zu retten ist -und steigen bereitwillig in die politische Zwangs-Jacke, die ihnen da hin gehalten wird. Das man damit aber auch eine breite, mächtige und wahrlich demokratische Bürgerbewegung wie die gegen S21 im Stich lässt, spielt dabei offensichtlich keine Rolle mehr. Wie intelligent, wie zukunftsfähig also sind „halb-linke“ Parteien, wenn' s drauf ankommt? Ist „halb links“ gar am Ende oft nichts anderes als einfach nur „ganz link“?

Im Internet-Forum der Parkschützer schrieb dieser Tage jemand (sinngemäß), dass man SPD ja sowieso und logischerweise nicht wählen könne am 27. März (2011 Landtagswahl B/W). Inzwischen wohl aber die Grünen offensichtlich auch nicht mehr. Und schließt -leicht verzweifelt- daraus, dass es nunmehr überhaupt gar keine Partei mehr gäbe, die man wählen könne. Der Duktus des Forumeintrags übrigens lässt mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht den Rückschluss zu, dass er von einem mauergeschädigten Ex-DDRler stammt.

Fast unbemerkt von breiterer Öffentlichkeit soll in diesen Tagen in Stuttgart nicht nur der alte Bahnhof geschleift werden. Das frühere „Hotel Silber“ (während der NS-Zeit, von 1937 bis Kriegsende) die Stuttgarter Gestapo-Zentrale, soll ebenfalls abgerissen werden – auf Betreiben des Stuttgarter Kaufhauskonzerns Breuninger. Und gegen den Willen von inzwischen 12 Bürgerinitiativen, die sich deswegen zusammen geschlossen haben. An diesem Ort wurden Menschen gefoltert und ermordet. Eine Gedenkstätte soll dort endlich eingerichtet werden.

Breuninger -selbst naziverstrickt bis über beide Ohren- verschaffte sich Gehör bei Stadtoberen und Land. Und wurde, im Gegensatz zu den initiativreichen und bewegten Bürgern, offensichtlich erhört: zwecks lukrativem Neubau durch Breuninger wird wohl abgerissen werden. All dieses in einer Stadt, in der dem alten Kopfbahnhof am Arnulf-Klett-Platz ein ebenfalls mächtiges Gebäude gegenüber steht. Sein Name: Hindenburgbau.

Vielleicht gelingt es letztlich ja (die Hoffnung bekanntlich ist es, die zuletzt stirbt), dass man sich links von der CDU (also von „halb-links“/“irgendwie links“ bis „links“) darauf einigt, einem modernisierten Kopfbahnhof K21 den Namen „Hermann Scheer“ zu verleihen.

Hindenburg bräuchte dringend jemand, der ihm die Stirn böte.

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