S21 - stuggileaks! (4)

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Anbei der Rest der eidesstattlichen Erklärung:

Seite 6-9

[...]

4. Anhang mit eigenen Schlussfolgerungen und Einordnung in
Gesamtzusammenhang

Nach meiner Wahrnehmung begann sich die Kriminalisierungsrhetorik der
Projektbetreiberseite seit ca. Mai 2010 in den ersten Septembertagen allmählich auf dasVerhalten der Polizei niederzuschlagen. Als Mensch, der kaum etwas mehr verabscheut als Gewalt, bereitet mir das Sorgen, die ich anlässlich eines elftägigen Hungerstreiks in einem Informationsschreiben vom 08. September 2010, also 22 Tage vor dem Schwarzen Donnerstag, u.a. an IM Rech / MP Mappus, Schuster, Polizeipräsident Stumpf und durch Auslage an meinem Hungerstreikort im Mittleren Schlossgarten an über 700 Bürger der Stadt wie folgt ausdrücke:


„ ... Lediglich das weitestgehend besonnene Agieren innerhalb desAktionsbündnisses einschließlich Parkschützern durch best mögliche Einbindung täglich wachsender
Demonstrantenzahlen in den Aktionskonsens der Gewaltfreiheit sowie das mit wenigen Ausnahmen besonnene Agieren innerhalb der Polizei konnte bisher eine gewalttätige Eskalation der Proteste trotz der gefährlich angeheizten Stimmung verhindern. Nichtsdestotrotz ist der soziale Friede in der Stadt hochgradig gestört und droht zu zerbrechen. Die Art und Weise, wie der Abriss des Nordflügels, als Provokation empfunden und vom Zeitplan des Bauvorhabens unnötig, gegen die Massenproteste betrieben wird, weckt den Eindruck, dass auf Befürworterseite bei Bahn, Stadt und Land eine Eskalation der Proteste entweder gewollt bzw. geschürt oder zumindest billigend in Kauf genommen wird. Das ist vollkommen untragbar und vollkommen unverantwortbar!

Gegen diese Verantwortungslosigkeit protestiere ich mit meinem Hungerstreik gewaltfrei in der schärfsten mir bekannten Form, nachdem, als einer von vielen, auch meine zahlreichen Briefe, offenen Briefe, Demonstrationen, Proteste und einzelne Aktionen des Zivilen Ungehorsams keine nennenswerte Wirkung zeigten... “

Ab dem 3. Oktober 2010 haben die „Kritischen Polizisten“ drei bemerkenswerte
Pressemitteilungen anlässlich der polizeilichen Gewaltexzesse im Mittleren Schlossgarten herausgegeben, die unter anderem begründen, wie und warum der Polizeieinsatz als Eskalationseinsatz geplant war. Und darauf hinweisen, dass das Land Baden-Württemberg eigenständig aufgrund der hier sich etablierten Strukturen inzwischen kaum in der Lage sei, eine unabhängige Aufarbeitung der Ereignisse des 30.09. vorzunehmen. Als ein Grund wurde angegeben, dass das im Grundgesetz verankerte Prinzip der Gewaltenteilung in Baden- Württemberg nicht mehr gegeben sei. Dieser Einschätzung möchte ich ausdrücklich beipflichten, zumindest, was Stuttgart 21 und damit verbundene wirtschafts- und machtpolitische Interessen angeht.

Ich weiß, es gibt hier Beamte innerhalb der Polizei und in anderen instrumentalisierten Institutionen, die sich in einem ernsten Gewissenskonflikt befinden und die sich großem Druck ausgesetzt sehen. Druck, um die Wahrheiten zu den Ereignissen am 30.09.2010 einer Öffentlichkeit unter Verschluss zu halten. Ich appelliere an diejenigen, ihrem Gewissen zu folgen. Es ist unter solchen Bedingen keine Ehre, seinem Land zu dienen. Wenn Sie Angst vor Repressalien haben, können Sie auch bei einem Anwalt eine anonyme Eidesstattliche Versicherung formulieren und abgeben, die dieser dann weiterleitet mit der Bestätigung, dass es diese Person tatsächlich gibt.

Anfang Februar haben die Fraktionen von SPD / Grüne sowie die Landesregierung ihre jeweiligen Empfehlungen zum Parlamentarischen Untersuchungsausschuss abgegeben. Es liefert Zeugnis von den Parallelrealitäten, die es in Bezug auf die Geschehnissen am 30.09.2010 gibt, wie bezüglich des gesamten Projekts S 21.

Die 29-seitige Empfehlung der Landesregierung habe ich gelesen. Ich habe als Augenzeuge, der dieses ganze rauen bereits ganz zu Beginn miterlebt hat, stichwortartigeCharakterisierungen dazu: Opferverhöhnung, Umkehrung des Täter-Opferprinzips, Vertauschung von Subjekt und Objekt, Geschichtsfälschung. Denn ich nehme an, der Schwarze Donnerstag ist ein geschichtsträchtiger Tag für Stuttgart. An die baden-württembergische Landesregierung richte ich die Botschaft: nachdem ich diese 29 Seiten lange Empfehlung von Ihnen zum Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum 30.09.2010 vor zwei Wochen gelesen habe, entschloss ich mich zu dieser Eidesstattlichen Versicherung, die ich hier und heute abgebe.

Seit einem knappen Jahr beobachte ich, wie interessengesteuerte und machtpolitisch motivierte Rhetorik sich dazu eignet, Menschen in der Stadt gegeneinander aufzuhetzen, Freundschaften zu zerstören, das soziale Klima zu vergiften. Dabei werden Parkschützer und der Widerstand insgesamt kriminalisiert. Inzwischen werden Parkschützer und die Bewegung gegen S 21 insgesamt wie eine Art Freiwild angesehen.

An der Mahnwache, aber auch sonst wo, werden sie in dieser Stadt Angriffsfläche für verbale und tätliche Attacken. Der Widerstandsbaum wurde zum zweiten Mal so beschädigt, dass er eingehen wird. In Internetforen für S 21 wird offen dazu aufgerufen, sich nachts zu treffen, um die Mahnwache abzubrennen. Die Online-Leserkommentare in der Stuttgarter Zeitung und den Stuttgarter Nachrichten zum Thema S 21 strotzen auf Befürworterseite vor (anonymen) Kommentaren, die ich als faschistische Hetze bezeichne.

Ich kenne Parkschützer, denen man das Auto aufgebrochen hat und Dinge entwendet. Ich kenne Parkschützer, denen wurde am Auto die Windschutzscheibe eingeschlagen, verbunden mit einer Botschaft auf dem Fahrersitz: „Nur ein toter Parkschützer ist ein guter Parkschützer“. Es werden per Post tote Ratten angeliefert, Exkremente vor Haustüren gelegt, Drohungen per Post gehen ein und ähnliches. Diese Dinge werden nur vereinzelt angezeigt, da Vertrauen in Polizei und Justiz größtenteils verloren gegangen ist – auch bei mir.

Es sind den Arbeitskreisen Jura der Parkschützer nach dem 10. Januar 2011 zunehmend Fälle bekannt, wo Menschen mit Oben Bleiben Buttons vor Baustellen oder an einzurichtenden Baustellen im öffentlich zugänglichen Raum auf dem Gehweg von Polizeikräften in Polizeiketten gedrängt werden, um ihnen eine Anzeige wegen Nötigung, Verstoß gegen das Versammlungsrecht, Widerstand gegen die Staatsgewalt und sonstiges anzuhängen. Es sind Fälle dokumentiert, wo Polizisten auf Demonstranten überfallartig zugehen, bestimmte Schmerzgriffe anwenden, die eine physiologische Reaktion des Angegriffenen hervorrufen, um ihnen anschließend eine Anzeige wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt, oft einschließlich Körperverletzung anzuhängen, wenn der Angegriffene reflexartig zusammenzuckt. Mit recht willkürlichen Anzeigen gegen Versammlungsleiter von Demonstrationen wird versucht, Menschen davon abzuhalten, eine Demonstration anzumelden und die Demonstrationen insgesamt einen kriminellen Schein anzuhaften. Ich habe keinerlei Zweifel mehr daran, dass hier in Baden-Württemberg rund um S 21 Strukturen eines klassischen Unrechtsstaates dabei sind, sich zu etablieren.

Es wird eine Vielzahl von Zeugen und Geschädigten der Polizeigewalt von Ermittlungseinheiten der Polizei zum 30.09.2010 vorgeladen, um ihre Aussagen zu machen. Die Polizei führt die Ermittlungen gegen sich selber durch, es gibt keine unabhängige Instanz. Das läuft oft so ab, dass die Polizei die Aussagen aufnimmt. Manchmal sogar durch Vorladung der Staatsanwaltschaft, wenn der Angeschriebene der Polizeiaufforderung zuvor aus Misstrauen nicht nachkommt. Zwei bis drei Wochen später flattert dem Geschädigten eine Anzeige wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt, Körperverletzung oder ähnliches ins Haus.

Dagegen wurden nach meinen Informationen gegen den zivil gekleideten, pfeffersprayenden Mann keine Ermittlungen aufgenommen, der auf dem am 6. Oktober 2010 von der Polizei auf den Bildzusammenschnitten als Beweis für die angebliche Gewalttätigkeit der Demonstranten gezeigt wird. Während viele Zeugen aussagen, er sei nach dem Einsatz von Pfefferspray in den Reihen der Polizei aufgenommen worden und verschwunden. Zuvor hatte er in aller Seelenruhe das Spray verteilt, während Polizisten nahebei sich unterhielten.

Die Standardaussage der ermittelnden Staatsanwaltschaft in Bezug auf Ermittlungen gegen die Polizei ist die, dass der in Frage kommende Polizist nicht ermittelbar sei. Natürlich nicht, man schaue sich auf den zahlreich zur Verfügung stehenden Videos an, wie diese Einheiten gegenüber Schülern, Jungen und Mädchen in Turnschuhen, wie in einem Kriegseinsatz gepanzert und vermummt waren, um eine letztendlich recht kleine Baustelle einzurichten. Dazu trugen sie keinerlei Kennzeichnung. Es ist grotesk und absurd.

Ähnlich absurde Regeln gelten zugunsten der Regierungsmehrheit im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Diese ermittelt gegen sich selber, ist berechtigt, die Themen- und Beweismittelauswahl festzulegen – formaljuristisch legitimiert. Zielsetzung: die eigentlichen Opfer des Verbrechens zu kriminalisieren, um die eigenen Interessen und Motive gegenüber der Öffentlichkeit zu verbergen. Auf dieser Grundlage die Deutungshoheit gegenüber im Vorfeld der Landtagswahlen durchaus politisch beeinflussten Medien zu erlangen.

Ich weiß, dass diese kranke Stadt nicht heilen wird, wenn das Geschehen unaufgearbeitet bleibt. Der Vertrauensverlust in öffentliche Institutionen ist enorm. Doch hier in Baden-Württemberg fehlen inzwischen unabhängige Strukturen, da politische Instrumentalisierung durch Druck zur Erhaltung des eigenen Machtstatus die Institutionen durchdringt. Sie daran hindert, die Arbeit zu tun, die ihr nach der freiheitlich-demokratischen Grundordnung per Auftrag zukommt.

Mit dieser Eidesstattlichen Versicherung möchte ich einen Beitrag leisten, diese Strukturen aufzudecken und einer Öffentlichkeit transparent zur Information, Diskussion und Beurteilung zu stellen – und eine Vorlage zu bieten, die Mauer des Schweigens aus Angst zu überwinden, die sich bei Mitarbeitern in einigen Behörden aufgebaut hat.

Das, was ich in Einlassung und Schlusswort samt Versicherung an Eides statt geschrieben und vorgelesen habe, werde ich öffentlich machen, wie bereits einige Offene Briefe und E-Mails zuvor seit März 2009. Die Texte dürfen verwendet, kopiert, jedoch niemals verändert werden. Sie legen Zeugnis ab. Sie beruhen auf einem Eid, den ich gegenüber meinem Gewissen im Jahr 2008 unter Zeugen gab: meinen Beitrag dazu zu leisten, dass das Unrecht um das bereits damals nach meiner Überzeugung kriminelle Projekt Stuttgart 21 eines Tages aufgedeckt wird.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit,

Mark Pollmann

Zitat Ende.

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