S21 - stuggileaks! (5)

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Ihre Freitag-Redaktion

Mark Pollmann:

1. Einlassung

Hohes Gericht: Zum Sachverhalt am 26.Juli 2010 will ich mich dahingehend äußern, dass ich im ehemaligen Nordflügel des Bonatzbaus, einem „Denkmal von besonderer Bedeutung“, war. Ich ging durch eine geöffnete Tür in das leerstehende Gebäude, demonstrierte gegen einen, wie ich denke staatlich legitimierten Vandalismus an Kulturdenkmälern unserer Stadt. Als die Polizei ins Gebäude kam und mich aufforderte, mit zu kommen, verließ ich das Gebäude in Begleitung zweier Polizeibeamten, die sich mir gegenüber korrekt verhielten.

Ich bin angeklagt, einen Hausfriedensbruch nach § 123 StGB begangen zu haben. In Anbetracht der Umstände erscheint mir das als Nichtjurist absurd, ja kaum nachvollziehbar: Bin ich doch im ehemaligen „Baudenkmal von besonderer Bedeutung“ gewesen, gerade um den Hausfrieden dieses Kulturdenkmals zu verteidigen, um ihn vor staatlich legitimiertem Vandalismus zu schützen. Schließlich bin ich Bürger dieser Stadt, Wähler, ehemaliger Bahnkunde und Steuerzahler. Laut Artikel 20 GG soll ich sogar als Teil des Volkes dereigentliche Souverän sein. Auch in meinem Namen soll hier heute ein Urteil gefällt werden. Leider zeigt meine Erfahrung der letzten Jahre, dass es sich eher um schönen Schein handelt – man nehme es wörtlich und schnell zerbricht dein Traum im feinen Sprühregen.

Den Hausfrieden habe ich am Abend des 26. Juli letzten Jahres auf übergeordneter Ebene zu schützen versucht: den sozialen Hausfrieden in der Stadt, schon damals gefährlich gestört. Sowie den Frieden im Hause unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Dieser Friede war damals schon keiner mehr und ist es heute weniger denn je.

Die Brecher des Hausfriedens sehe ich woanders. Auch gegen diese habe ich an jenem Abend als Bürger dieses Landes demonstriert. Der „Hausfrieden“ unserer Gesellschaft wird gebrochen von gewählten Volksvertretern, die ihrem Amtseide zuwider, nicht im Interesse des Volkes handeln. Die ihre Verantwortung gegenüber dem Staat und den Bürgern nicht ernst nehmen. Die primär Lobbyinteressen bedienen und dazu Methoden anwenden, die dem Grundprinzip unserer Demokratie widersprechen.

Das habe ich in den letzten zwei Jahren, für jedermann zugänglich, klar und penibel dokumentiert und veröffentlicht. In Form von offenen Briefen, gesendet an sämtliche politischen Entscheidungsträger im Zusammenhang mit Stuttgart 21, bis hin zum Bundespräsidenten.

Die Argumente gegen das Projekt S21 sind von erdrückender Vielfalt und Menge. Sie sind hinlänglich bekannt und bestens dokumentiert, ebenso wie die undemokratischen und hinterhältigen Methoden mit denen das Projekt betrieben wird. Damals hatte ich noch Hoffnung auf Einsicht bei gewählten Volksvertretern.

Diese Hoffnung erwies sich als Illusion, da das Fell des Bären längst verteilt ist. Die Erkenntnis, dass durch Information nichts zu bewegen ist, dass es nicht hilft, all die Risiken, Probleme und Unzulänglichkeiten aufzuzeigen, die S21 mit sich bringt, dass sachliche Argumente nichts zählen, dass tausende Menschen ignoriert werden mit ihrem Anliegen, dieses katastrophale Projekt zu verhindern: diese Erkenntnis zwingt mich zum Handeln. Um meinen inneren Hausfrieden zu wahren muss ich zum Zivilen Ungehorsam schreiten.

Das, was ich getan habe, halte ich für gut und richtig: als Lösungsstrategie in einem
Gesamtrahmen, in dem es keinen Frieden gibt, solange die Ausgangssituation ist, wie sie nun mal ist. Eine Entscheidung, die ich mir selber lange Zeit nicht leicht gemacht habe. Wo es nach meiner Überzeugung unter diesen Rahmenbedingungen weder eine Lösung, noch ein richtig oder falsch gibt, sondern immer nur eine Abwägung des zu Grunde liegenden inneren Konfliktes: die Gegenüberstellung eines quälenden Gewissens auf der einen und meinem Wunsch auf der anderen Seite, geltendes Recht in einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu respektieren.

Nachdem ich wie tausende andere Menschen in Stuttgart und Umgebung sämtliche andere Formen der Artikulation bereits ausgeschöpft habe, verstehe ich unter diesen Rahmenbedingungen gewaltfreien Zivilen Ungehorsam als meine Bürgerpflicht. Ich habe diese Entscheidung unter Bedingungen getroffen, die ich weder gewollt, noch gewählt habe.

Inzwischen vergeht kaum ein Tag, an dem ich mich nicht für Teile unseres Staatsapparates in Grund und Boden schäme: wenn ich darüber nachdenke, was sich im Rahmen der Schmierenkomödie S 21 dem intelligenten, denkenden und gut informierten Bürger an Schrecken offenbart. Dagegen zu protestieren, ist meine Bürgerpflicht, und wenn nicht anders möglich, dann auch im Rahmen von gezielt eingesetzten gewaltfreien Formen des Zivilen Ungehorsams. Wie am 26. Juli 2010 im verlassenen damaligen Nordflügel im Bonatzbau.

Unter diesen Umständen war und ist für mich die Nordflügelbesetzung wichtig, notwendig, gut und richtig - unabhängig davon, wie der Fall formaljuristisch beurteilt wird. Um gegen diese Abgründe eine Alternative zu setzen – sozusagen ein Gegenmodell zu Politikverdrossenheit. Formen des gewaltfreien kreativen Protestes können dieses Anliegen und diese eindringliche Warnung an eine breitere Öffentlichkeit tragen, wenn andere Formen der Teilhabe versagt bleiben.
Vielen Dank

Schlusswort

Herr Richter,

In einer kurzen Geschichte, die ich Ihnen vorstellen möchte, bin ich ein ganz besonders cleverer Verkäufer aus der Kreditwirtschaft. Der mit einem geräumigen, denkmalgeschützten, wertvollen Haus, umgeben von einem großen Park mit ganz altem Baumbestand, zusammen mit Freunden aus der Immobilienwirtschaft in einem Plan das Geschäft seines Lebens wittert!

Unter dem Dach des Hauses leben, alles in allem ganz glücklich, unter anderem auch Sie. Gut, das denkmalgeschützte Haus bräuchte einen Anstrich, die Zufahrt müsste ausgebessert werden, doch alles in allem passt es gut, das Haus würdig und die Sommer im Garten herrlich.

Mit einem Haken für mich: Wenn es Ihnen so gefällt, mache ich kein Bombengeschäft! Ich muss also ein wenig nachhelfen. Sozusagen aufzeigen, dass es für Sie unpassend ist. Ich bringe den Hausverwalter, der von Ihnen und Ihrer Eigentümergemeinschaft im Vertrauen gewählt wurde und von Ihnen entlohnt wird, wie auch immer dazu, meine Idee zu unterstützen.

Dieser Hausverwalter kauft mir sofort mit seiner Unterschrift in Ihrem Namen die Idee für einen extrem teuren Neubau ab. Die Baupläne gibt es noch gar nicht. Es gibt nur eine Skizze, die aus einer Machbarkeitsstudie entstand. Die nicht vorhandenen Baupläne können somit auch der Hauseigentümergemeinschaft, also Ihnen, nicht zur Abstimmung vorgestellt werden.

Das ist ganz wichtig, damit es funktioniert! Ja, ich würde sagen: nur so funktioniert es!

Der Hausverwalter kauft also mit seiner Unterschrift in Ihrem Namen ein extrem teures Projekt, dass es zum Zeitpunkt der Unterschrift als Konzept noch gar nicht gibt, und dass Sie gar nicht haben wollen. Mit Geld, dass theoretisch Ihnen gehört, dass Sie in dieser irrsinnigen Summe jedoch nicht haben. Deshalb kauft er mit Ihren Schulden. Für deren Tilgung Sie verantwortlich sind. Die Schulden sind wichtig, denn die Schulden bringen Geld. Je mehr Schulden in Ihrer Kasse, umso besser für mich. Mein Gewinn ist Ihre Schuldzinslast. Mein Kollege aus der Immobilienwirtschaft braucht Tunnel. Viele lange Tunnel.

Sie glauben, dass funktioniert nie? Doch! Mit einer großartigen Zukunftsvision! Mit einem Riesengeschenk an Sie! Als cleverer Verkäufer muss ich nun zusammen mit dem Hausverwalter dafür sorgen, dass Sie und der Rest der Eigentümergemeinschaft von der Idee absolut begeistert sind! Und dass Sie dieses Geschenk unbedingt haben wollen! Ich muss dafür sorgen, dass Sie glauben, ihr gesamtes Leben sei ab jetzt ohne die Umsetzung dieser Zukunftsvision vollkommen wertlos.

Ich muss Ihren Hausverwalter dazu bringen, mit Luftschlössern dafür zu „wärrrben“. Dafür werden neben Ihrem Hausverwalter auch sogenannte Kommunikationsprofis eingestellt. Ich muss mit ein paar Tricks dafür sorgen, dass Sie das Gefühl bekommen, Ihr Hausverwalter würde in Ihrem Sinne und Ihrem Namen sprechen, wenn er Sie zum Träumen bringt.

Schließlich haben ja Sie ihn zusammen mit der Gemeinschaft der Hauseigentümer gewählt, und niemand sonst!

Mein Hausverwalter und ich - er ist inzwischen längst mein Hausverwalter - Sie haben es nur noch nicht gemerkt, müssen nun dafür sorgen, dass Sie und der Rest der Gemeinschaft der Eigentümer so lange wie möglich knifflige kleine Details des Geschäfts nicht mitbekommen.

Ich brauche also neue Nahrung für Ihre Träume: Noch mehr Kommunikationsprofis! Und jede Menge Desinformation und Verwirrung streuen, je mehr, umso besser. Denn es gibt noch ein paar Kleinigkeiten zu regeln: das Gebäude ist denkmalgeschützt, der Garten darf nicht angetastet werden und ihr Grundstück liegt mitten im Kernbereich eines dreistufigen Wasserschutzgebiets. Kein Problem! Ich bin bereit zu teilen! Ich bin schließlich ein Macher! Der zu erwartende Gewinn ist umwerfend!

Während Sie träumen, sorge ich dafür, dass das Haus nicht mehr denkmalgeschützt ist. Ich lasse dabei gleich die Landesdenkmalschutzbehörden mit auflösen, damit solche lästigen Verzögerungen in Zukunft nicht mehr vorkommen. Ab jetzt ist das Wirtschaftsministerium oberste Denkmalschutzbehörde. Das Grundstück lasse ich aus der Wasserschutzzone nehmen, die liegt nun um ihr Grundstück herum. Der Garten wird aus dem Gartenschutzplan gelöscht und in meinen Baustellenplan aufgenommen.

Und ganz wichtig: ich lasse mir alles penibel mit Verträgen quittieren! Alles! Akten über Akten! Und zwar mit der Unterschrift des Hausverwalters. Den ich auf keinen Fall in die Verträge schauen lasse, die er unterschreibt, Sie natürlich schon dreimal nicht! Der Hausverwalter, denn der ist formaldemokratisch legitimiert, weil Sie und Ihre Gemeinschaft der Eigentümer ihn schließlich gewählt haben und bezahlen. Mit Verträgen, formaljuristisch legitimiert. Wir leben schließlich in einem Rechtsstaat! Damit sich später niemand beschwert!

Damit mein Geschäft zustande kommt, müssen ganze Flügel Ihres dann nicht mehr denkmalgeschützten ehrwürdigen Hauses und der beste und zentralste Bereich des Gartens zerstört werden. Der zukünftige Neubau hat nur noch halb so viele Zimmer. Dann auch ausschließlich im Kellergeschoß. Aber im Neubau gibt es noch genauso viele Eigentümer, die darin wohnen.

Sie werden dann also unterirdisch beengt in einer dann fensterlosen Wohnung unter Ihrem zerstörten ehemals denkmalgeschützten alten Haus wohnen. Nur unter der Erde erreichbar sein. Ihre Freunde wissen, wenn sie Sie besuchen, gar nicht, in welcher Umgebung Sie wohnen, es sei denn, sie haben Google Earth. Und Sie werden so hoch verschuldet sein, dass Sie am Monatsende ihrem Besuch kaum noch eine Büchse Erbsen anbieten können. Das ist mein Geschenk an Sie!

Wir wiederum, mein Hausverwalter, der gerade von Ihnen wiedergewählt werden möchte, mit mir im Hintergrund, versprechen Ihnen währenddessen in neuer Kommunikationsoffensive auf bunten Bildern, die Sie mit Ihrem Geld zahlen, einen viel schöneren und größeren Garten als sie ihn heute haben. Wir malen Ihnen Ihren Garten in den prächtigsten Farben vor, so, als wären Sie praktisch schon dort.

Während Sie in den Bildern träumen, in die mein Hausverwalter Sie stellvertretend für mich lockt, werden kleine Details außen vor gelassen: dass dieser zukünftige Garten drei Kilometer von Ihrer Wohnung entfernt liegt und nicht mehr vor der Haustür. Sie ihn erst in zwanzig Jahren nutzen können, d.h. dann immerhin schon Rasen und einige Setzlinge. Und auch nur, wenn dafür dann Geld da ist. Denn ihrzukünftiger Garten liegt heute auf mit Schweröl und mit Schwermetallen hochgradig belastetem Gelände, dass erst noch teuer abgegraben und saniert werden muss. Aber das ganz sicher nicht von mir!

Ihr jetziger Garten vor der Haustür ist aber sofort weg, damit wir Ihnen dort das zukünftige Walldach Ihrer Tunnelwohnung bauen. Währenddessen wird die Idee, die Ihr Hausverwalter einst ohne Kündigungsmöglichkeit in Ihrem Namen kaufte, in ein Projekt weiter gegossen. Da es sich mit den tatsächlichen Gegebenheiten auf Ihrem Grundstück beißt, wird es immer teurer und abstruser: unter anderem das Untertunneln gefährlich, sogar lebensgefährlich, auch für Sie, wenn sie dort wohnen bleiben. Vorsorglich lasse ich schon einmal veranlassen, dass die Tunnelwände zu Ihrer Wohnung nur halb so mächtig gebaut werden als vorgesehen. Wir müssen sparen, der Hausverwalter kommt allmählich unter Druck.

Denn Sie beginnen nun misstrauisch zu werden. Und das ist eine ganz gefährliche Situation für mich. Gut, ein paar Spinner gibt es schon lange, doch das kann ignoriert werden. Ich sorge dafür, dass die nicht ins Wochenblatt ihrer Hauseigentümergemeinschaft kommen – schon seit vielen Jahren! Nicht, dass mir hier die Rehe scheu gemacht werden!

Doch inzwischen werden penetrante Rechthaber im Haus lauter und mehr. Nun muss ich als cleverer Geschäftsmann gegen sie vorgehen. Denn so geht es nicht! Zusammen mit meinem Hausverwalter, der aber in Ihrem Namen spricht, was Sie inzwischen richtig wütend macht, überlegen wir uns, wie wir im Haus ein wenig Unfrieden stiften können, solange noch einige Eigentümer in ihren Wohnungen mit unseren Traumvorlagen begeistert träumen. Genau die müssen wir kriegen, für uns arbeiten lassen!

Daraufhin beginnen die Hauseigentümer, sich gegenseitig zu bekriegen. Ständig ist dicke Luft in Ihrem Haus, Herr Richter, und das ist gut so: damit wir, mein Hausverwalter und ich, nicht den ganzen Unmut abkriegen. Wir müssen rasch in die Umsetzung, während das Konzept überlegt wird. Doch mit kleinen Anreizen dürfte auch diese Aufgabe lösbar sein. Und zur Not haben wir noch die Rasensprenger im Schuppen, wir müssen nur unsere Kontakte zu den Gärtnern etwas intensivieren. Wir sind schließlich mitten in der Planung, damit die Bagger anrollen. Und Verträge sind einzuhalten, wo kämen wir sonst hin? Unser Land wäre unregierbar!

In dieser Geschichte passiert dann folgendes: kurz, bevor die Bagger anrollen, der Flügel Ihres Hauses längst geräumt ist und fertig zum Abriss, gehen Sie zusammen mit anderen durch eine geöffnete Tür in Ihren Hausflügel. Sie demonstrieren dort gemeinsam mit anderen lautstark gegen diese Zerstörung und diejenigen, von denen Sie sich betrogen fühlen: von Ihrem Hausverwalter und von mir. Draußen stehen Tausende, jubeln und protestieren mit!

Die Geschichte ist an dieser Stelle noch lange nicht zu Ende, doch ich möchte sie hier mit einer Frage abbrechen: Herr Richter, wer wäre in dieser Geschichte der Hausfriedensbrecher? Sie? Oder ich, zusammen mit meinem Hausverwalter, der vorgibt, Ihrer zu sein?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
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