Stuttart 21 -Offener Brief von Stefan Mappus; eine Entgegnung

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Stefan Mappus, der dicke Junge aus Pforzheim und heute und derzeit Mister Ministerpräsident von B/W, hat heute einen Offenen Brief an die Baden-Württemberger versandt. Darin wirbt er weiter für S21.

Eine Entgegnung.

Sehr geehrter Herr Mappus,

gestatten Sie mir vorab eine Frage: Hätten Sie Ihren Offenen Brief auch geschrieben, wenn Ihre Strategie der Eskalation und Gewalt am 30. September im Schlossgarten aufgegangen wäre? Ich verlange nicht, das Sie diese Frage umgehend offen beantworten; fragen Sie zunächst einmal Ihr Gewissen.

Meine Frage beinhaltet zunächst auch eine Unterstellung, gewiss. Bedenken Sie aber: Die Verlautbarungen aus Ihrer Richtung, dass „die Beamtinnen und Beamten (der dort eingesetzten Polizei, Anm. d. Verf.) erschrocken waren über das Maß an Gewalt, was ihnen entgegen schlug“ (Zitat Rech/Inneminister B/W), rechtfertigt angesichts der überwältigenden Indizien, die etwas anders belegen, eine solche Fragestellung zumindest.

Es ist mir fern, Ihnen politische Ratschläge Ihre „performance“ als MP betreffend zu geben. Aber klug wäre es gewesen, sich zunächst öffentlich zu entschuldigen für wenigstens eine 'Fehleinschätzung der Lage', die vermutlich zwei Menschen nun das Augenlicht kosten wird. Deren einer die Augenlider von einem gezielten Wasserkanonen-Nahschuss zerfetzt wurden. Ohne dass dieser Mensch eine unmittelbare Bedrohung hätte sein können für den Schützen.

Diesen unausgesprochenen, wohl aber verinnerlichten Schießbefehl, lasse ich mal hier so als solchen stehen. Und erwarte natürlich sehnlichst Ihren Widerspruch.

Nun zu Ihrem Brief: Ich bitte um Nachsicht, dass ich nicht auf alle von Ihnen angeführten Punkte eingehen kann und werde; ich habe leider keinen Mitarbeiterstab aus PR-Leuten, Assistenten und Sekretären etc. pp., die mir bei der Arbeit helfen. Auch wird mir diese Arbeit, die ich hier leiste, nicht bezahlt. Und so bleibt die Arbeit liegen, die ich statt dessen mühselig verrichten müsste, um gezwungenermaßen und eigentlich meinen Broterwerb zu finanzieren. Aber ich werde alle relevanten Punkte benennen, einen Offenen und breit veröffentlichten Brief betreffend von Ihnen an uns Staatsbürger. Nicht eingehen werde ich auf Ihre Argumentation, die nicht neu ist und sich wiederholend bezieht auf technische und administrative Durchführung des Projekts. Ausdrücklich auch nicht auf darin weiterhin offensichtlich und belegbar Falsches.

Im ersten Absatz drücken Sie Ihr Bedauern aus für verletzte Demonstranten und Polizisten. Was impliziert, dass auch Polizisten umgekehrt durch Demonstranten verletzt wurden. Davon ist mir -belegbar als justiziabler Beweis- nichts bekannt. Ihnen? Bitte erklären/beweisen Sie das. Dass wir alle in der Verantwortung stehen, dass sich solche schrecklichen Dinge wie an jenem Tag, die Sie als „Szenen“ oder „Bilder“ bezeichnen, nicht mehr vorkommen dürfen, ist richtig. Ich meine und kann belegen, dass die Demonstranten bisher diesbezüglich immer ihrer Verantwortung nachgekommen sind und sich nie haben provozieren lassen. Obwohl das nicht immer leicht war. Und besonders am 30. September schwer fiel, als die Polizei wirklich zu offensichtlich für jedermann es auf Solches anlegte.

Von eingeschleusten agents provocateurs in den Reihen der Demonstranten wird noch zu reden sein, wenn entsprechende Materialien ausgewertet sind.

Ihr zweiter Absatz verdreht Ursache und Wirkung in Folge weiterhin: Nicht „wir“ müssen einen Rahmen für Gespräche schaffen, sondern Sie müssen die Bereitschaft dafür glaubwürdig erkennen lassen. Das Mindeste zu tun zu diesem Zeitpunkt für Sie wäre ein sofortiger, uneingeschränkter Baustopp für die Zeit der Gespräche. Wie kommen Sie darauf, dass wir eine Atempause bräuchten, nachdem Sie uns so lange keine ließen und lassen? Mir scheint eher, Sie brauchen eine.

Sie schreiben, dass Sie ein Gespräch mit Schülern hatten und erwähnen, dass Ihre Hand ausgestreckt sei. Herr Mappus, an Ihren Händen klebt inzwischen Blut! Wie können Sie es wagen, diese besudelte Hand Schülern entgegen zu strecken? Das ist Missbrauch! Abgesehen davon (wenn man davon absehen kann, außer man ist im Krieg): Jemand wie Sie, der Soziologie studierte, müsste eigentlich wissen (und weiß es!), dass eine Vermischung von Öffentlich und Privat eine politisch ablenkende, die Polis anästhetisierende Wirkung hat. Wollen Sie sich so billig reinwaschen? Schulkinder als Waschmittel? Sind Sie wahnsinnig? Pervers?

Warum ist Ihr Innenminister und sein Polizeipräsident, der Bürgermeister, die diesen blutigen Einsatz zu verantworten haben, noch im Amt? Sie raspeln Süßholz, anstatt politisch Verantwortung zu übernehmen. Das ist für alle und vor allem für die Opfer unerträglich.

Gönnen Sie sich eine Atempause!

Und werden Sie sich dessen bewusst!

Im nächsten Abschnitt begehen Sie gleich zwei Fehler (oder stellen zwei weitere Fallen auf -wie man's nimmt): Sie wollen „zusätzliches Vertrauen“ aufbauen. Das beinhaltet, dass es Vertrauen gäbe. Wie kommen Sie darauf? Nachdem Sie durch Ihr politisches Handeln massiv jegliches Vertrauen in Rechtsstaatlichkeit und Demokratie schwer beschädigt und zum Teil sogar vernichtet haben? Sie führen im selben Atemzug den Namen des Vermittlers im Mund, dessen Ansehen und Integrität Sie ein paar Stunden zuvor noch zusammen mit Herrn Grube versuchten zu demontieren. Ist das der Boden, auf dem neues Vertrauen wachsen soll? Nein, Herr Mappus, Sie geben allen Grund, dass man Ihnen weiter schwer misstraut. Demokratische Sicherheitsverwahrung!

Dieses Misstrauen ist auch begründet durch einen weiteren, folgenden Abschnitt Ihres Offenen Briefes, in welchem Sie mit plattem, landsmannschaftlichem Patriotismus (der schon immer als kleiner Bruder der sarazzinen Xenophobie herhalten musste) versuchen, Ressentiments gegen das Prinzip des Länderfinanzausgleichs zu schüren. Ein Umstand, der Ihnen eigentlich umgehend - und spätestens an diesem Punkt - die besondere Aufmerksamkeit des Verfassungsschutzes (so er sich selbst ernst nimmt) zu Teil werden lassen müsste. Das ist im Ansatz ein Aufruf zum Separatismus. Mithin ein Versuch, das Grundgesetz bis an den Rand des Einsturzes auszuhöhlen. (Wiederum: Sind Sie noch bei Sinnen?)

Im Folgenden schreiben Sie davon, dass „Stuttgart 21“ eine Jahrhundertchance sei. Nun, wenn Sie selbst ehrlich daran glauben, wie Sie nicht müde werden zu beteuern, dann wäre doch ein zeitweiliger, seriöser – an dieser großen Jahrhundertchance gemessen kleiner - Baustopp von einigen Wochen die beste Gelegenheit, die noch bestehenden, amorphen und unbegründeten Ängste und Zweifel eines Großteils der Bevölkerung in einem Dialog, bei dem öffentlich alles auf den viel zitierten Tisch kommt, die beste Gelegenheit für Sie, sich Ihre Meriten zu verdienen. Warum also wehren Sie sich so vehement gegen einen solchen kurzen Baustopp verglichen mit dieser Jahrhundertchance? Das ist doch töricht, oder?

Im Weiteren schreiben Sie (und sie wiederholen sich an dieser Stelle, nur wird darum die Argumentation nicht unbedingt stichhaltiger) von der 'demokratischen Legitimation' des Projektes. Ohne weiter darauf einzugehen, dass die Begriffe 'Legitimation' und 'Legitimität' sehr unterschiedliche Dinge zu Zeiten sein können und im Konkreten hier in Stuttgart weit auseinander klaffen (selbst unter der Voraussetzung, dass nicht geschummelt und gemauschelt wurde), möchte ich Sie an Ihre DDR-CDU-Parteifreundin Angela Merkel verweisen: Fragen Sie die mal, wo diese heute noch leben würde, wenn dieses herrschaftlich-vergängliche Menschen-Prinzip ein Naturgesetz wäre, welches Sie nicht müde werden, zu zitieren. (btw: Wussten Sie eigentlich, dass sich Merkel 'damals' an keinem Feuer die Finger verbrannte, aus welchem die 'Kastanien' geholt wurden – 'damals' - von den Mutigen? -Und dass diese 'Kastanien' vor allem es waren, die neulich im Schlossgarten vereinzelt flogen?.. Fragen Sie mal...)

Ihren vorletzten Abschnitt leiten Sie derartig paternalistisch ein, dass es selbst mir als „gelerntem Ossi“, der Einiges gewohnt ist, die Sprache verschlägt. Dass derartige Demagogie nach all den Verheerungen des letzten Jahrhunderts überhaupt noch möglich ist: „Ich sichere zu, dass ich genau hinhören will, wenn konstruktive Vorschläge für Korrekturen, Veränderungen und Verbesserungen zu »Stuttgart 21« unterbreitet werden. “ Das ist nicht weniger als maßlose und erklärte Deutungshoheit über das, was als vernünftig oder als Unsinn zu gelten hat – ein Zeugnis anhaltender Arroganz und Ignoranz. (Vor etwas längerer Zeit hat man damit Hereros kaiserlich erst abschlachten und dann verdursten lassen. Bis heute nicht gesühnt. Danke. Setzen. Geschichte: 6-7)

Ihre Ausführungen im letzten Abschnitt beschwören den wahrlich einzigartigen Geist, die einzigartige Kultur an diesem Ort, die solche Größen wie Schiller oder Hölderlin hervorgebracht haben. Menschen, die sich immer im Widerspruch zu dem befanden, was Fürsten fälschlich für sich beanspruchten und für fortschrittlich erklärten. Die Leistungen deutscher Ingenieure und Erfinder, die Sie erwähnen, wären ohne diese Kultur der vorausschauenden und nachhaltigen Gerechtigkeit, ohne dieses Widerborstige in dieser Sache, undenkbar.

Auch und vor allem diese Kultur hat das Zusammengehörigkeitsgefühl vieler hier prägt, ihnen Mut und Entschlossenheit und die Gewissheit gegeben, auch Schwierigstes zu meistern.

Ihr „wir“ an dieser Stelle aber beschwört eine Einheit und Einigkeit, der Sie sich als wahrer Demokrat gerne anschließen können, die Ihnen aber – auch wenn Sie Ihr Dekret, Ihren Ukas als Offenen Brief verpacken – so weder zusteht und auch nicht gehört.

"Wir" sind das Volk!

Mit freundlichen Grüßen

Ihr unfolgsames, eigensinniges Völkle!

P.S.: Heute waren es etwa 150.000 - 170.000, die demonstriert haben... man glaubt das erst dann, wenn wirklich etwa Köpfe -oder so was- rollen...

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden