"Wir zahlen nicht für Eure Krise!"-Stuttgart, 12.Juni 2010

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17.896 (oder 15.645; oder 22.128) etwa waren es in Stuttgart, die dem Aufruf eines linken Bündnisses von Parteien, Gewerkschaften und anderen politischen Gruppierungen wie Attac, ver.di und der Linkspartei zur Protestdemonstration „Wir zahlen nicht für Eure Krise“ an diesem Samstag folgten. Darunter waren, neben Demonstranten aus Stuttgart und Umgebung auch Aktivisten, die den weiten Weg von Essen oder Nürnberg in Bussen nicht scheuten.

Auffällig war, dass viele der Demonstrationsteilnehmer entweder noch sehr jung, oder aber schon nicht mehr die Jüngsten waren; die Alten und ihre Enkel sind also anscheinend die agilsten street-fighting-men im Fußballdeutschland dieser Tage.

Erstaunlich zu beobachten, dass die Alten in puncto Leidenschaft durchaus mit den Jüngeren mithalten konnten: Als Claus Schmiedel (SPD-Fraktionschef im Baden-Württembergischen Landtag) ans Rednerpult treten wollte, brach ein Tumult in der Menge los. Pfiffe gellten, Eier flogen. Schmiedel wurde von rasch aufgespannten Regenschirmen mit „DGB“-Aufdruck vor Treffern bewahrt sowohl, als auch dass augenblicklich etwa 22 martialisch gekleidete, hühnenhafte Polizisten mit ca. 19 Videokameras auf der Redner-Tribüne erschienen. Die Protestdemonstration machte in diesem Augenblick ihrem Namen alle Ehre. Der spontan geäußerte, lautstarke, teils handfeste Eier-und-Plastikflaschen-Unmut (die Demonstranten schafften es tatsächlich, dass -trotz wattstarker Anlage- kein Wort Schmiedels zu hören war) kam dabei nicht allein aus den Reihen einiger Schwarzgekleideter. Auch ältere Damen aus Stuttgart und schlohweiße Veteranen aus dem Pott hielten nicht an sich, konnten es nicht, dank intaktem Gedächtniss womöglich. Ähnlich erging es Silke Krebs (Bündnis90/Grüne). Allerdings blieb sie von Wurfgeschossattacken verschont.

Nach Silke Krebs sprach Bernd Riexinger (ver.di; Linkspartei). Er war der Erste und Einzige, den man an diesem Tag als 'Redner' bezeichnen konnte: er sprach recht klug, engagiert und vor allem: er schien zu meinen, was er sagte. Und erreichte somit als Einziger (aus Sicht des Beobachters) wirklich die Herzen der Protestierenden. Es sei hier ohne weiter führende, mögliche und angebrachte Ironie und somit nur der Gerechtigkeit halber angemerkt: Man weiß natürlich bisher nicht, ob Claus Schmiedel und Silke Krebs eventuell die konsequente Abkehr ihrer Parteien von der „Agenda 2010“ mitteilen wollten, ohne dass sie jemand vernehmen konnte und wollte.

Der vorhergehende Demonstrationszug durch die Stadt verlief so, wie man es vom 'Musterländle' erwarten würde: Geordnet, pünktlich, mit Bahn- und Bürgersteigtallon, begleitet von berittenen, extrem attraktiven Dressur-Polizistinnen und ansonsten freundlich-omnipräsenten, leicht gebräunten Polizeibeamten, die ausnahmslos aussahen wie Ken-auf-Marsmission im grünen oder wahlweise schwarzen Eishockeydress samt effizientem High-Tech-Helm.

Die Organisation der eigentlichen Veranstaltung auf dem Stuttgarter Schlossplatz, insbesondere die Moderation derselben durch Leni Breymaier (ver.di; SPD), war mehr als dürftig. Frau Breymaier fegte wie ein etwas übergewichtiges ADS-Biohuhn gackernd und zeternd über die Rednertribüne und machte so ziemlich jedem Redner allen Anfang schwerer, als er hätte sein müssen. Darüber könnte man noch Nachsicht walten lassen, denn aller Anfang ist schwer.

Aber zudem legte sie sich -nicht lernfähig (ADS) und somit in Verkennung der Lage sowohl als auch insgesamt, einem Klischee schwäbischer Hausfrauenmanier entsprechend- von der Tribüne via Mikrophon mit Mitgliedern des Schwarzen Blocks an. Um so erstaunlicher ist es, dass es offensichtlich nur zu einer einzigen Festnahme am Rande kam (ca. 19 extrem fitte & charmante Polizistinnen in scharf-modischen dresses verdrehtem einem kläglichen, mittelältlichem Hanswurst professionell die oberen, ausgemergelten Extremitäten). Und diese erfolgte auch erst, nachdem die offizielle Demonstration für beendet erklärt wurde.

Die Redner auf der Kundgebung waren nicht vom Feinsten, um es euphemistisch zu umschreiben. Man könnte vom anderen Ende her auch sagen, dass sie unter aller Kanone waren, der zeitweise weise Bsirske inbegriffen. Damit sind zunächst nicht die rhetorischen Fähigkeiten oder Unfähigkeiten (aber auch diese!) gemeint, sondern vor allem eine gewisse Unlust (die Ausnahme: Bernd Riexinger; ver.di & Linkspartei). -Den Wirtschaftsteil der Presse ellenlang nach eigenem Gusto zu zitieren ist eher ein Demo-Downer. Hier (wenn nicht hier, wo sonst?) ist scharfe Polemik, gekonnt vorgetragen, ein Muss. Das kann -gekonnt und weise!- beförderlich sein für diesen wichtigen und richtigen Protest. Der hilft, ein Abkippen in Verhältnisse und Konsequenzen zu verhindern, wie sie am Ende der 'Weimarer Republik' herrschten.

Im Herbst sollen (laut Veranstalter) weitere Kundgebungen stattfinden.

Hoffentlich dann auch mit mehr 'Generation dazwischen'. Und mit besseren Rednern; die 'Große Antikapitalistische Kehrwoche' sollte sinnlich sein und Spaß machen – oder muss man inzwischen wirklich wieder alles und ganz allein SELBER KEHREN?..

Auch das noch!

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