Der Titel ist ein guter Titel. Was sich daran zeigt, dass er keinen Sinn ergibt. Gorillas im Nebel (oder Gorillas in the Mist im amerikanischen Original) heißt der Lebensforschungsbericht von Dian Fossey, der – 1983 veröffentlicht – ein Bestseller wurde. Zur gültigen Biografie avancierte das Buch aber erst durch den gleichnamigen Film von 1988 mit Sigourney Weaver in der Hauptrolle. Darin kommen zahlreiche Gorillas vor, aber keine Nebelschwaden. Der Nebel erweist sich als vorauseilende Metapher, die sich erst vom Ende her konkretisiert: im Mythos, der Dian Fossey war. Gorillas im Nebel ist die Trademark, die ihre Lebensgeschichte schützt.
Am nebulösesten an der Frau, die 18 Jahre lang im Wald bei den Gorillas lebte, ist ihr Ende. In der Nacht zum 27. Dezember 1985 wurde Dian Fossey bestialisch ermordet in ihrer Hütte in den Wäldern eines ruandischen Nationalparks. Mitarbeiter fanden sie am nächsten Morgen mit gespaltenem Schädel, ein Bild, das Michael Apteds Film dem Zuschauer erspart. Für Gorillas im Nebel ist das gewaltsame Ende der schon kranken Frau (Weaver hustet sich wenig subtil durch den Schlussteil) ein wichtiges Moment, weil die Erzählung erst dadurch dramatisches Gewicht bekommt. Zugleich verkneift sich der Film jede Spekulation über den Täter; man sieht nur den Schattenwurf eines Menschen, der eine Machete erhoben hat. Vermutlich wird sich die Sache nie klären. Verdächtig waren lokale Wilderer, gegen die Fossey, man muss das wohl so sagen, Krieg geführt hat. In Ruanda in Abwesenheit zum Tode verurteilt wurde über ein halbes Jahr nach der Tat ein US-Student namens Wayne McGuire, der kurz zuvor in seine Heimat zurückgekehrt war; Stoff für größere Spekulationen boten korrupte Geschäfte und die Figur des regionalen Präfekten, der seinerzeit die Ermittlungen führte, in deren Folge lokale Mitarbeiter von Fossey im Gefängnis landeten, und manche offenbar Selbstmord begingen.
Der brutale Tod der 1932 in San Francisco geborenen Wissenschaftlerin unterscheidet sie von ihren Kolleginnen Jane Goodall (Jahrgang 1934) und Birute Galdikas (Jahrgang 1946), die, angeregt vom gleichen Paläoanthropologen, Louis Leakey, ihre Forschungsarbeit ebenfalls Menschenaffen widmeten, Schimpansen in Tansania (Goodall) und Orang-Utans auf Borneo (Galdikas). Fossey erscheint im Vergleich zu beiden als die popkulturell dramatischere Figur (im Vorjahr widmete ihr die Suchmaschine Google zum 82. Geburtstag ein Doodle), auch wenn alle drei einmal in ähnlicher Ikonografie das Cover des National Geographic Magazine geschmückt haben: Frauen mit Affen.
In ihrem Buch spricht Fossey, die zuerst als Therapeutin in amerikanischen Kinderhospitälern arbeitete, von einer tiefen Sehnsucht nach Afrika. 1963 bereiste sie schließlich den subsaharischen Teil des Kontinents, traf Louis Leakey in Tansania und sah, von Uganda aus, im Virunga-Nationalpark erstmals Berggorillas. Die Unterart wurde – der lateinische Name Gorilla beringei beringei deutet darauf hin – Anfang des 20. Jahrhunderts erstmals von Deutschen beschrieben: Der in Aschersleben geborene Kolonialhauptmann Friedrich Robert von Beringe schoss auf einer Exkursion zu den Virunga-Vulkanen zwei Tiere, die in Berlin später klassifiziert wurden.
Der ebenfalls in Deutschland geborene Forscher George Schaller legte über die Berggorillas 1959 eine erste Studie vor. An diese Arbeit sollte Fossey ab Ende 1966 anschließen. Unterstützt von Leakey und Geldern des National Geographic Magazine reiste sie in den Kongo – das Gebiet, in dem die Gorillas leben, liegt in der Grenzregion zu Uganda und Ruanda. Bald jedoch musste sie das Land wegen des Bürgerkrieges wieder verlassen und errichtete ihre Karisoke genannte Station auf der Seite des Nationalparks, die in Ruanda liegt. Es zeugt von einer deprimierenden Kontinuität, dass sich die Lage aktuell kaum anders darstellt: Während in Ruanda 20 Jahre nach dem Genozid ein funktionierender Tourismus an Boden gewinnt, ist das Virunga-Gebiet auf der kongolesischen Seite weiterhin von einem gewaltsam ausgetragenen Konflikt gezeichnet, bei dem sich Staat und Rebellen, UN-Truppen und internationale Konzerne gegenüberstehen.
Der in diesem Jahr für den Oscar nominierte Dokumentarfilm Virunga des britischen Regisseurs Orlando von Einsiedel begleitet eine Gruppe schwer bewaffneter Park-Ranger bei der Arbeit. Produziert wurde der Streifen von Leonardo DiCaprio und Howard Buffett, dem Sohn des bekannten amerikanischen Investors. Buffett macht sich für den Erhalt des Nationalparks stark. Er steht damit in der Tradition Dian Fosseys und der nicht unproblematischen Begegnung zwischen dem globalen Norden und einem domestizierten Süden.
Michael Apteds Spielfilm von 1988 hatte die Frage aufgeworfen, inwiefern der importierte Wohlstand das Lebensumfeld der lokalen Bevölkerung seinen Vorstellungen unterwerfen darf. Er war dabei erstaunlich weit gegangen: Der Fotograf Bob Campbell (gespielt von Bryan Brown) erklärt Fossey, dass die Wilderer nur deshalb Gorillas jagten, weil sich am Ende der Verteilungskette „ein Doktor in Miami“ mit Trophäen schmücken wolle. Eine hellsichtige Zuschreibung, wenn in diesem Jahr ein Zahnarzt aus Minnesota mit Ferienhaus in Florida Schlagzeilen machte, als er in Simbabwe den Nationalpark-Löwen Cecil tötete.
Die einsame Frau in den Wäldern
Die Benennung der Tiere bildet einen wichtigen Punkt auch in der Fossey-Erzählung. Wenn man will, kann man daran die Forscherin von der Aktivistin trennen. Fosseys ursprüngliche Arbeit bestand darin, die Gorillas zu zählen und zu studieren. Zu Beginn ihres Aufenthalts lebten in den Wäldern kaum mehr als 200 Tiere. Fosseys Beobachtungen und Interaktionen führten dazu, die Tiere an den Menschen zu gewöhnen, zu habituieren; wovon die Dreharbeiten zu Gorillas im Nebel durchaus profitieren konnten, wie die dokumentarisch anmutenden Szenen zeigen, in denen Sigourney Weaver mit den Affen haptisch kommuniziert.
Einen Umschlagpunkt für Fosseys Engagement zum Schutz der Tiere (bei ihrer Ermordung betrug die Zahl der Gorillas mehr als das Doppelte) markierte der Tod von Digit 1977, einem aus der Gruppe verstoßenen, ihr besonders lieben Affen, der wohl gezielt umgebracht wurde. Die böse Frau, die Fossey auch war, kann Apteds Melodrama nur andeuten – etwa wenn Weaver mit entschlossenem Gesicht den fiktiven Tierhändler stellt, der (das gehört dann wieder zu den Realien) den Kölner Zoo mit einem blutig entführten Jungtier beliefert. Um von der Brutalität der rauchenden, trinkenden Fossey zu erzählen, den Entführungen, Abschreckungen, vielleicht auch Tötungen, bedürfte es eines nicht jugendfreien Subgenres wie dem Torture Porn im Horrorbereich, wobei ihr als Frau nur unfreundliche Attributierungen wie Hexe blieben. Ein Mann könnte derweil wie „Dirty Harry“ durchaus als Held seiner Sache durchgehen.
Konfliktpolitisch erscheint es bemerkenswert, dass Dian Fossey weniger als umsichtige Diplomatin denn als gewalttätige Kämpferin überliefert ist – und damit Erfolg hatte. Die ruandische Bevölkerung hat ihren Frieden mit der nyiramachabelli, der einsamen Frau in den Wäldern, gemacht. In Ruhengeri gibt es einen Sitz ihrer Stiftung, die staatlichen Stellen in Ruanda sorgen sich um den Schutz der Tiere, finanziert durch Einnahmen aus einem gedrosselten Tourismus: Über 20 Gruppen von habituierten Berggorillas können derzeit von Touristen besucht werden, maximal zu acht und nur für die Dauer einer Stunde. Aus dem Lebensmodell von Dian Fossey ist ein Geschäft geworden, in das die lokale Bevölkerung einbezogen wird, um sie vom Wildern abzuhalten: als Träger, Führer und Darbieter eines folkloristischen Kulturprogramms für westliche Touristen. Zu den Merchandising-Produkten, die man in diesem Kontext erwerben kann und die auf ihre Weise der Lebensleistung Dian Fosseys Tribut zollen, gehören T-Shirts. Auf denen steht: „Mzungu in the Mist“.
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