Tell me what you see“, fordert eine Stimme am Ende des Films von Christoph Girardet und Matthias Müller. Das ist nicht so leicht: Girardet / Müller montieren Found Footage, also Material aus anderen Filmen, und sie montieren es in Contre-jour, wie der Titel andeutet, zum Thema „Gegenlicht“. So kann man dem Kino ins Auge schauen.
Diese Selbstbezüglichkeit will gut zur aktuellen, im positiven Sinne krisenhaften Situation passen, wie sie sich bei den diesjährigen Oberhausener Kurzfilmtagen zeigte. Festivalleiter Lars Henrik Gass hatte im Vorhinein eine Themenausgabe der Filmzeitschrift Schnitt zur Zukunft der Filmfestivals programmatisch gestaltet. Es geht um Vorstellungen, die er schon in einem Interview geäußert hatte: Im Auge des stürmisc
einem Interview geäußert hatte: Im Auge des stürmischen Medienwandels, den die Digitalisierung bedeutet, erscheint das Festival nicht mehr als bloßes Schaufenster für Markt und Akteure. Vielmehr müsse es selbst die Funktionen von Kino und Fernsehen übernehmen, denen es vorgeschaltet war. Wie ein Museum wird nach Ansicht von Gass das Festival künftig dazu dienen, eine Öffentlichkeit für (ambitionierte) Filme in einem Ort wie dem Kino zu organisieren und selbst zur (subventionierten) Marke in der Filmlandschaft zu werden: „Was wir brauchen, das sind Orte, wo wir die Filme, die im Fernsehen, im Internet, in den Kinos nicht mehr zu sehen sind, sehen können – und besser sehen können.“Die Erinnerung trügtDass der Leiter der Kurzfilmtage sich solche visionären oder auch nur realistischen Gedanken macht, liegt womöglich auch darin begründet, dass Oberhausen von der Bugwelle der technischen Möglichkeiten zuerst erreicht wird: Zum einen sind Kurzfilme die kleineren Datenpakete, die zudem den verkürzten Sehgewohnheiten im Internet entgegenkommen. Zum anderen steht hinter experimentellen oder schlicht nur nicht abendfüllenden Filmen keine mächtige Distributionsindustrie, die an der kommerziellen Exklusivität ihrer Produkte interessiert wäre. Anders gesagt: You Tube ist ein nicht enden wollender Kurzfilmtag, in dem sich nicht nur kotzende Katzen und rammdösige Teenager selbst verwirklichen. Auf diese Entwicklungen will Gass auch durch die Neuverteilung des Budgets reagieren und die Preisgelder für wenige auf Teilnahmehonorare für alle umlegen.Ein Echo dieser veränderten Produktionsbedingungen klang noch in dem Oberhausener Motto und Nebenreihentitel Unreal Asia nach. Schließlich haben die Filmemacher des Kontinents über die – aus westlicher Perspektive – etablierten Filmökonomien hinaus von der Digitalisierung profitiert, insofern es viel leichter geworden ist, Filme zu drehen. Und es ist sicher kein Zufall, dass von dort die kühnsten Hybride eines filmischen Erzählens kommen, das zwischen den Linien von Dokumentation und Fiktion so mühelos hin- und herwechselt wie eine seltene Vogelart 2009 auf der vormaligen innerdeutschen Grenze.Apichatpong Weerasethakul ist der aktuelle Star dieses neuen Weltkunstkinos, der sich gerade großer Retrospektiven im deutschsprachigen Raum erfreuen durfte und in München noch bis Mitte des Monats eine Ausstellung hat. In Oberhausen war unter anderem im Wettbewerb sein Kurzfilm A Letter to Uncle Boonmee zu sehen (der den Hauptpreis der Internationalen Jury erhielt). Zu einem an den erinnerten Verwandten adressierten Brief werden Bilder eines Hauses vorgestellt, in dem dieser gelebt haben könnte. Durch zweimaliges Verlesen ändert sich virtuos die Betonung von fiktiv und dokumentarisch: Der „Onkel“ scheint zur Kunstfigur zu werden, während der konkrete Ort, das Dorf Nabua, als realer Raum eines Verbrechens an der dortigen Bevölkerung fungiert.Der Schriftzug rastZwischen Dokumentation und Fiktion, wenn auch auf andere Weise, pendelt der ebenfalls renommierte chinesische Filmemacher Jia Zhangke, der mit He shiang de ai qing (Fluss der Tränen) vertreten war. Bei einem Treffen ehemaliger Studienkollegen stellen sich Sehnsüchte nach gestern ein. Beiläufig beobachtet der Film die Interaktion zwischen den einstigen Freunden und Liebhabern und legt auf unaufdringliche Weise doch nahe, dass sich mit der Wehmut der 40-Jährigen auch ein gesellschaftlicher Befund verbindet: Die Anzugträger, die einmal Poeten waren, sind Sinnbilder eines Modernisierungsprozesses, dessen Versprechen sich zwar in kapitalistischen Wohlstand verwandelt haben, aber eben auch den Verlust von Imaginationskraft bedeuten.Verlorengegangen ist im Meer der technischen Möglichkeiten übrigens die Qualität der Projektion: 20 verschiedene Formate wurden auf die Leinwand geworfen, und das nicht immer zu ihrem Vorteil. Jens Pechos Medley, Silberstreif am trüben Horizont der deutschen Musikvideolandschaft, schneidet in sieben Minuten homophobe Äußerungen aus 140 Songs zusammen, wobei auf der Leinwand nichts als ein Laufband der jeweilige Textfetzen zu sehen ist. Dieser Schriftzug rast je nach Geschwindigkeit der Songs über die Leinwand und fing bei höherem Tempo eben an zu flimmern. Der subversive Witz des Films teilte sich dennoch mit: Gerade in ihrer lesbar gemachten Reihung wirkten die Schmähungen auch lächerlich. Man sieht mehr, als zu hören ist.