Alle Bilder sind schon da

Essayfilm „B-Movie“ erzählt die Geschichte der Westberliner Subkultur
Ausgabe 21/2015

Aktuell fungiert Westberlin als DDR der höheren Stände – zumindest, was die mediale Befassung angeht. Die alte Frontstadt ist seit einiger Zeit Gegenstand einer pophistorischen Erschließung, die sich über Ausstellungen, Gentrifizierungsbewegungen, Bücher und Filme bis ins Berliner Stadtmuseum zieht. Dort läuft noch bis Ende Juni eine Schau mit Titel West:Berlin. Im Kino war zuletzt Tod den Hippies! Es lebe der Punk zu sehen (Freitag 13/2015), Oskar Roehlers sentimental-autobiografische Reise durch die ruinös-inspirierende Atmosphäre der 80er Jahre in der Mauerstadt.

Mit B-Movie. Lust & Sound in West-Berlin 1979–1989 von Jörg A. Hoppe, Klaus Maeck und Heiko Lange kommt nun der Komplementärfilm zu Roehlers Fiktionalisierung in die Kinos. Der heißt im Titel wie ein Sachbuch und benimmt sich zumeist auch so: B-Movie ist ein Essayfilm, der Oral History aus der Perspektive von Mark Reeder betreibt. Reeder ist wie Roehlers Filmfiguren zugezogen, er kam Ende der 70er Jahre aus Manchester nach Westberlin und fand seinen Platz in der dortigen Subkultur in den Werken von Splatterfilmer Jörg Buttgereit (Reeders Fetisch für Uniformen war hilfreich) und an der Seite von Musikerinnen wie Gudrun Gut bei der Entwicklung von früher Neuer Deutscher Welle hin zu elektronischer Musik.

Das ist der Bogen, den B-Movie popkulturell spannt: von Punk zu Techno, von Blixa Bargeld zu Westbam. Das „Risiko“ kommt natürlich vor, Nick Cave, die erste Loveparade – und dass die Band New Order einen Auftritt hat, verdankt sich vermutlich den spezifischen Beziehungen von Reeder. Die Geschichte wird zumeist anregend informiert erzählt und nur selten reiseführerprosaisch-banal („Im SO 36 spielten die wildesten Bands“). Aber auch wenn Mark Reeder als Ich-Erzähler präsent ist und der Film immer wieder fiktive Clips einstreut, in denen der Musikproduzent reenacted wird, strebt der Film doch ins Große und Allgemeine. B-Movie resümiert eine Art Jedermann-Westberlin der 80er Jahre, wobei jedermann hier nur die Dabeigewesenen oder anders Assoziierten meint.

Und deshalb ist ein wichtiger Credit der Schnitt (Alexander von Sturmfeder) und die zentrale Position im Abspann die Stelle, an der das für die Kompilation verwendete Fremdmaterial katalogisiert wird: Über 50 verschiedene Quellen listet der Film auf, dessen größte Kunst in der reibungslosen Integration dieses Materials besteht. Nachrichtenbilder, Amateuraufnahmen, Dokumentarfilm und Experimentaltrash werden in B-Movie so geschickt arrangiert, dass tatsächlich ein Film entsteht – ein Film, der all das Autorenhafte, was sich mit seinen einzelnen Teilen verband, umstandslos kassiert. In der Bibel würde man von Synopsis sprechen.

Bilderökonomisch ist diese Form der Wiederaufbereitung lobenswert und in Zeiten von Youtube eine naheliegende Form historischer Rekonstruktion (Schnipsel mit Schlips), wobei die Pointe der medialen Austauschbewegungen ist, dass sich das Konglomerat an Bildern, das B-Movie bildet, für die Videoplattform wiederum in einzelne Teile zerschlagen und womöglich neu und anders zusammensetzen lässt.

Denn B-Movie ist voller Querverweise. Wer Gerd Kroskes Striche ziehen (Freitag 18/2015) über die Mauerstrichaktion gesehen hat, bei der jemand verloren ging, kann hier wissend den malenden Keith Haring kontextualisieren, besser aber noch den Warnruf von der Ostseite und den durchs Megafon aufgesagten Haftungsausschluss eines Westberliner Polizisten („Sie befinden sich auf dem Gebiet der DDR“). Für die Westberlin-Abbildung stellt Mark Reeders Geschichte künftig selbst eine Bezugsgröße dar.

B-Movie. Lust & Sound in West-Berlin 1979 – 1989 Jörg A. Hoppe, Klaus Maeck, Heiko Lange Deutschland 2015, 92 Minuten

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