Alles „Ungawa“

Störgeräusche Was reden die Autochthonen in „Tarzan“-Filmen? Der Swahili-Übersetzer Guido Korzonnek klärt auf
Ausgabe 30/2016
Nicht auf Tarzan achten, sondern auf die Umgebung. In „Tarzan und die Amazonen“ von 1945: Amazonen
Nicht auf Tarzan achten, sondern auf die Umgebung. In „Tarzan und die Amazonen“ von 1945: Amazonen

Foto [M]: Entertainment Pictures/Imago

Die Geschichte von Tarzan ist alt und oft erzählt, was aber nicht davon abhält, sie immer wieder zu erzählen. The Legend of Tarzan heißt die neueste Version von David Yates. Alexander Skarsgård spielt den Helden, der in der adeligen englischen Gesellschaft eingeführt wird, aus der er stammt. Und der in den Kongo zurückreist wie ein Botschafter der Vereinten Nationen, um einem fiesen Belgier (der nächste Bösewicht in der Filmografie von Christoph Waltz) final das Handwerk zu legen. Zur Entourage gehört nicht nur Jane (Margot Robbie), sondern auch George Washington Williams (Samuel L. Jackson), ein Historiker, den es tatsächlich gegeben hat. Ein schwarzer Sidekick – damit wird die muffige Geschichte vom weißen Superstar unter den Wilden im Urwald aufgefrischt, 80 Jahre, nachdem vor allem Johnny Weissmuller in zwölf Filmen die Figur berühmt gemacht hat. Das Koloniale der Anlage zeigt sich nicht zuletzt an Dialogzuteilung und Sprachauswahl, weshalb wir mit dem Swahili-Übersetzer und Kalamu-Verleger Guido Korzonnek einmal genau hingehört haben bei den Figuren am Rande von Tarzan – in alten und neuen Filmen.

der Freitag: Herr Korzonnek, ist Swahili eine plausible Sprache für die Autochthonen in den „Tarzan“-Filmen?

Guido Korzonnek: Swahili ist die Sprache der Küstenbewohner Ostafrikas, von Mogadischu nördlich bis runter nach Mosambik, Sansibar. Es ist Nationalsprache in Tansania und Kenia und in Uganda als zweite Sprache etabliert. Heutzutage gibt es ungefähr 80 Millionen Sprecher. Swahili diente als Verkehrssprache auf den Karawanenrouten, die von Sansibar ausgehend auf das Festland bis in den Bereich der Großen Seen vordrangen, um dort auf Elfenbein, Gold oder Sklaven zu stoßen, die man an die Küste zurücktransportiert hat. Dort spielen die Tarzan-Filme, wie man an den Landkarten sehen kann, insofern ist die Ansiedlung der Filme im Swahili-Sprachraum korrekt – dass die Einpeitscher der Karawanen mit den Trägern auf Swahili kommunizieren.

Wie ist Swahili aufgebaut?

Swahili ist eine agglutinierende Sprache, wir haben einen Wortstamm, der mit Präfixen, Suffixen, Infixen kombiniert wird, um konkrete Wortbedeutungen herzustellen. Ein häufig verwendetes Wort in Tarzan-Filmen ist kwenda, Infinitiv, „gehen“. „Ich gehe“ hieße nina(kw)enda, ni für „ich“, na als Gegenwartsform. Die Zukunft wird durch ta markiert, nita(kw)enda heißt „ich werde gehen“. In Klammern, weil das kw dann oft weggelassen wird.

Tarzan – Der Affenmensch von 1932 ist der erste der Johnny-Weissmuller-Filme. Auf der Suche nach Elfenbein trifft eine britische Gesellschaft auf den Mann im Lendenschurz, in den die Tochter des Großwildjägers sich verliebt. Der Film beginnt an der Küste, an der Handelsstation des Jägers, lokale Arbeitskräfte tragen bereits geraubtes Elfenbein durch die Gegend. Es ertönt der Anfeuerungsruf: „Pacy, pacy, kuja, hapa.“

Zur Person

Guido Korzonnek übersetzt etwa die Bwana-Msa-Krimis des sansibarischen Autors Muhammed Said Abdulla aus dem Swahili ins Deutsche: kalamu.de

Was heißt das?

Pacy ist kein Swahili, wohl eher abgeleitet vom englischen pace, „Tempo“. Kuja würde eigentlich „kommen“ heißen, hapa bedeutet „hier“. Ein aufmunternder Befehl, schön Tempo zu machen.

Was lässt sich damit über die Swahili-Kenntnisse des Films sagen?

Es entspricht dem Up-country-Swahili, das weißen Siedlern in Kenia im 19. Jahrhundert in einer Fibel zur Verfügung gestellt wurde. Da ging es darum, wie man mit seinen schwarzen Untergebenen zu reden hat: meistens im Befehlston, in einem sehr einfachen Swahili. Später hat man sich in den Fibeln bemüht, den Leuten mit ganzen, vernünftigen Sätzen entgegenzutreten. Aber das Von-oben-herab ist da immer drin. In den Tarzan-Filmen ist die Kommunikation mit den Einheimischen auf diese Befehle beschränkt, wenn überhaupt Swahili gesprochen wird.

„Kommen hier“, Infinitiv als Imperativ, ist das grammatikalisch korrekt?

Grammatikalisch richtig ist das nicht, obwohl gerade kuja oder kwenda damals, in der Zeit der Siedler, oft imperativ gebraucht wurden. Eigentlich müsste man njoo sagen, das heißt „komm“. Beziehungsweise njooni für die Mehrzahl. Und nendeni bei kwenda. Oder twende, das wäre die Wir-Form: „Lasst uns gehen“, „auf geht’s“, Wobei twende als Konjunktiv fast schon zu höflich wäre für die dauernd abstürzenden oder von Löwen gefressenen Karawanenträger in diesen Filmen – für Leute, die noch schlechter gestellt sind als die Kisten, die sie tragen.

Die ungebeugten Formen – das erinnert an das Dummdeutsch, in das man Nicht-Muttersprachlern gegenüber verfällt. Da besteht die Grammatik nur noch aus Infinitiven und Substantiven.

Man wundert sich jedes Mal, warum ein Weißer, selbst wenn er ein Befehlsmacho ist, nicht in der Lage sein sollte, einfache Befehlsworte richtig zu lernen. Es wird ein Dummswahili entwickelt: „Kommen, kommen, gehen, gehen, hier, pacy, pacy.“

Weissmullers Tarzan wiederum spricht, angelernt von Jane, Dummenglisch, was in der deutschen Fassung die legendäre Wendung „Ich Tarzan, du Jane“ hervorgebracht hat.

Was spricht Tarzan?

Der lässt sich reduzieren auf ein Wort: Ungawa. Das hat auf Swahili keine Bedeutung und wird eingesetzt als Universalwort. Man kann damit jemanden zum Schweigen bringen, zu Aktionen aufrufen oder kompliziertere Sachverhalte zusammenfassen – das alles ist das Ungawa. Würde man sich in unserem Alltag auch manchmal wünschen.

Während die Anteile lokaler Sprachen in den alten Filmen gering sind und die Masse der Autochthonen fast nie in Personen mit Namen differenziert wird, gibt es in The Legend of Tarzan eine Szene, in der eine Sprache Einheimischer sogar untertitelt wird, weil sie über mehrere Zeilen geht: Tarzan kehrt zurück in ein befreundetes Dorf, großes Hallo.

Ist das Swahili?

Nein. Es könnte sich um eine Bantu-Sprache aus dem Bereich der Großen Seen handeln, das wäre zumindest logisch. Und es würde korrespondieren mit Einheimischen in den alten Filmen, die auch kein Swahili sprachen, weil sie abseits der Karawanenrouten lebten, durch die Swahili zirkulierte.

Lässt sich denn zur Rezeption etwas sagen – wie die „Tarzan“-Filme wahrgenommen wurden in Gebieten, in denen Swahili gesprochen wird?

In Sansibar gab es früher drei Kinos, Emperor, Cine Afrique und Majestic, und da wurden die Filme gezeigt. Das hat für großes Bohei gesorgt, wie Freunde berichten, wenn diese kleinen Swahili-Stellen dort herausgehört wurden. Die Reaktion wird oftmals Gelächter gewesen sein, weil das Swahili schlecht und plakativ dargestellt ist. Aber wenn man bedenkt, dass dort früher häufig indische Filme in Originalversionen liefen und die Leute sehen mussten, wie sie, ohne den Text zu verstehen, den Inhalt erraten konnten, dann sind so Swahili-Fetzen schon was Spezielles.

Und heute?

Sind das Supermärkte. Zumindest vom Emperor weiß ich das. Vor 20 Jahren hatte ich da mal einen James Bond gesehen. Tolles Erlebnis.

Info

The Legend of Tarzan David Yates USA 2016, 110 Minuten

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Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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