Man könnte sagen, das sei eine gewöhnliche Geschichte. Sie handelt von einem Film und dem Dissens darüber, was dieser Film erzählen soll. Es kommt zu einem Zerwürfnis, der Dissens wird öffentlich. Der Film wird bei seinem Start in dieser Woche flankiert von Erklärungen, die Juristen abgefasst haben. Die Beteiligten reden momentan nur hinter vorgehaltener Hand. Die Wahrheit ist aus beidem nicht zu erfahren, und vermutlich wird es nie eine Wahrheit geben. Es wird Aussage gegen Aussage stehen, wie das in juristischen Fragen üblich ist. Und da wird es interessant, weil man dank dieser Statements verstehen kann, was die Leute, die sie abgeben, für einen Begriff von Politik, Kunst und Öffentlichkeit haben. Insofern ist die gewöhnliche Geschichte eine große Geschichte.
Der Film heißt Goldrausch – Die Geschichte der Treuhand, und der Regisseur war Dirk Laabs. Laabs hat im Frühjahr ein Buch seiner akribischen Recherchen veröffentlicht (Der deutsche Goldrausch – Die wahre Geschichte der Treuhand, Pantheon-Verlag). Von dem Film hat er seinen Namen zurückgezogen, weil er mit dem Ergebnis nicht einverstanden war, das jetzt in die Kinos kommt und später im Fernsehen zu sehen sein soll.
Im „Produzenten-Statement“ von Thomas Kufus, dem Geschäftsführer von Zero One Film, stellt sich das Zerwürfnis so dar, dass seine, Kufus’ Schnittfassung von Goldrausch die „Zustimmung der Sender“ gefunden habe, nicht aber die des Regisseurs. Dass eine Schnittfassung des Produzenten überhaupt notwendig wurde, erklärt der wichtigste Satz in dem „Statement“. Über die Fassung von Laabs heißt es da: „Die wesentlichen Mängel lagen vor allem im erzählerischen Duktus.“
Das Leben ist konkret
Denn das ist eine kunstferne Erklärung, mit der man alles und nichts begründen kann. Ein Film ist kein Regal, das man nach einer feststehenden Anleitung zusammenbaut. Ein Film hat keinen Inhalt, zu dem man sich eine Form wählt, so wie man sich für einen Blumenstrauß eine Vase sucht. Die gewählte Form wirkt immer auf den „Inhalt“ zurück, sie verändert ihn; verschiedene Formen erzeugen verschiedene „Inhalte“. „Wesentliche Mängel im erzählerischen Duktus“ klingt wie ein handwerkliches Argument, in Wahrheit ist es ein künstlerisches und, nicht nur weil es in diesem Fall um die Geschichte der Treuhand geht, auch ein politisches.
Man könnte jetzt Verschwörungstheorien hegen: dass Laabs’ Fassung von Goldrausch etwas erzählt hätte, das öffentlich nicht gesagt werden kann. Das hieße allerdings, die Wirkung eines Films zu überschätzen. Verschwörungstheorien unterhalten ein esoterisches Verhältnis zur Wahrheit, sie beziehen ihre Attraktivität daraus, eine Wahrheit zu behaupten, die ausgesprochen alles ändern würde auf einen Schlag und deshalb unterdrückt werden muss. Aber das Leben ist konkret, es gibt keine dunklen Mächte, sondern nur handelnde Personen. Und diese Personen handeln, wie sie zu handeln gelernt haben, das heißt, sie orientieren sich an Konventionen, Formatierungen, Erfahrungen. Was nicht heißt, dass sie immer wüssten, was sie tun.
Das wurde anschaulich bei der Premiere von Goldrausch am vergangenen Sonntag in Berlin. Nach der Vorführung sitzen unter anderem Klaus Klamroth, ein Manager aus Heidelberg, der die Treuhand-Niederlassung in Halle leitete, sowie Matthias Artzt und Gerd Gebhardt auf der Bühne, ein Physiker und ein Chemiker aus Potsdam, die die Idee zur Treuhandanstalt hatten, wenn auch ganz anders. Artzt und Gebhardt arbeiteten in einer oppositionellen „Forschungsgemeinschaft“ im Herbst 1989 am Übergang von der Plan- in die Marktwirtschaft. Wenn die DDR-Bürger im neuen System bürgerliche Subjekte werden sollen, dann brauchen sie Besitz, Vermögen, folgern Artzt und Gebhardt, und bekommen sollen sie das eben durch eine Treuhandanstalt, die das Volkseigentum der DDR in Anteilsscheine an jedermann ausgibt.
Denn er weiß nicht, was er tut
Der Gegensatz zwischen Artzt/Gebhardt und Klamroth ist beeindruckend. Artzt und Gebhardt haben das ökonomische System, in dem Klamroth sich sein Leben lang bewegt, besser verstanden als dieser. Wo Artzt und Gebhardt analytisch denken, gibt es bei Klamroth einen diffusen Idealismus des Helfenwollens. Klamroth ist der Mann, der machen will, aber gar nicht überblickt, was er eigentlich tut und am Ende seiner Arbeit für die Treuhand in Halle in eine Korruptionsaffäre verwickelt wird. Während Artzt und Gebhardt nur einen kurzen Auftritt haben in Goldrausch, wird Klamroth zum Protagonisten hochgepäppelt.
Man sieht ihn am Beginn des Films in seiner Garage in Heidelberg, bei der Fahrt in den Osten, beim Wiedersehen mit früheren Kollegen, auf der Grünfläche, auf der einst der Plattenbau stand, in dem er in Halle gewohnt hat. Am Ende erzählt er vom langen Warten auf den aus der Affäre erlösenden Brief der Staatsanwaltschaft.
Und das ist dann wohl das, was sich Thomas Kufus und sein Dramaturg Volker Heise unter einem erzählerischen Duktus vorstellen, der nicht mangelhaft ist. Dass man „emotional“ angesprochen, „mitgenommen“ wird in die Geschichte durch Klaus Klamroth, sich mit ihm identifiziert – was wohl auch näherliegt, wenn man gewohnt ist, von Westen auf die Geschichte der Treuhand zu blicken.
Es funktioniert nur nicht. Das reiche Material, dass der Film zu strukturieren versucht, sträubt sich dagegen, die Geschichte der Treuhand als Lebensabschnitt des reflexiv hilflosen Klamroth zu erzählen. Eine Fußnote steht nicht für die ganze Geschichte. Sie lenkt eher von ihr ab.
Es war nicht alles schlecht
Wer von einem nicht mangelhaften „erzählerischen Duktus“ ausgeht, hat einen Zuschauer im Kopf, der nicht überfordert werden darf. Für den die Komplexität von ökonomischen Modellen wie dem von Artzt/Gebhardt zu abtörnend, für den eine ambivalente Biografie wie die von Detlef Scheunert, dem einzigen ostdeutschen Treuhand-Direktor zu schwierig ist. Scheunert ist eine gebrochene Figur: Er teilt, anders als Artzt/Gebhardt, die Überzeugungen, nach denen die Treuhand schließlich arbeitete, aber er steht dafür auch ein, er stellt sich seiner Verantwortung. Das habe er, erzählt ein westdeutscher Kollege von Scheunert im Publikum bei der Premiere lachend über sich selbst, nie getan. Die Rede des Kollegen ist faszinierend, sie beschreibt naiv und gut gelaunt das Selbstverständnis vom erfolgreichen Überleben in der westlichen Wirtschaft: keinen Ärger verursachen, von Misserfolgen fernhalten, Verantwortung abschieben.
Und sie beschreibt eine Ahnungslosigkeit von größeren Zusammenhängen, die erschreckend ist. Was als politischer Entwurf erkennbar wird in dem Film wie in den Äußerungen danach, ist ein limitierter Pragmatismus: dass das so gemacht werden musste. Und dabei hat man noch nicht einmal das Gefühl, die Leute, die das sagen, wüssten insgeheim, dass es auch anders ginge. Sie haben die Geschichte von der Alternativlosigkeit internalisiert, die sie permanent erzählen, und was sie gesellschaftlich interessiert, ist ihre Lebensleistung. Es war nicht alles schlecht.
Die Geschichte des Films Goldrausch verdoppelt diese Alternativlosigkeit nun noch einmal. Der nicht mangelhafte „erzählerische Duktus“ von Thomas Kufus ist das Das-musste-gemacht-werden-Mantra der Treuhandmanager, übersetzt in die heutigen Vorstellungen von öffentlich-rechtlichem Fernsehen: Wenn man möglichst viele Menschen für ein spannendes Thema wie die Geschichte der Treuhand gewinnen will, dann muss man ihnen den „Menschen“ Klamroth vor die Nase halten.
Wie viel Fantasie einem solchen Denken abhandengekommen ist, kann man daran sehen, dass die Antwort auf die Frage, wie möglichst viele Menschen über ein dunkles Kapitel deutscher Geschichte aufgeklärt werden können, viel einfacher wäre: Die verantwortlichen Redakteurinnen Martina Zöllner (SWR), Barbara Denz (NDR) und Katja Wildermuth (MDR) zeigen Goldrausch um 20.15 Uhr in der ARD. Dafür gibt es kein Format? Dann bricht die Quote ein?
Ja, und?
Format, Quote, erzählerischer Duktus – das muss so gemacht werden, das ist alternativlos. Die Angst vor dem Abweichen von den Konventionen ist das Bindemittel dieser Gesellschaft.
Man kann sagen, das ist eine gewöhnliche Geschichte.
Kommentare 11
Also bleibt nur, das Buch zu lesen.
Zerwürfnisse zwischen Produzenten und Regisseuren sind nichts Neues. Die Kreativen treffen auf jene, die ihre Visionen verarbeiten müssen. Sich auf die Seite des "unterdrückten" Kreativen zu schlagen ist immer leicht, besonders wenn die Begründung für dessen Sturheit vom Produzenten, wie in diesem Fall, nett umschrieben wird. Am Ende haftet der Produzent bei den Geldgebern, wie Sendern und Förderanstalten. Der Kreative wird nicht das Opfer einer "kunstfernen" Mafia, sondern seiner eigenen Hybris, außerdem empfielt es sich den Vertrag gründlich zu lesen. Darin steht für gewöhnlich: Der Produzent entscheidet. Hinterher davon nichts mehr wissen zu wollen und Zensur zu brüllen ist unredlich.
Also bleibt nur, das Buch zu lesen.
oder versuchen, die Director´s Cut zu bekommen
Mir scheint, der Punkt ist weniger eine pauschale Solidarisierung mit den "Unterdrückten Kreativen" dieser Welt als vielmehr eine Kritik an der Mode, Kunst der Mode zu unterwerfen - zum Beispiel einer Mode der krampfhaften Massentauglichkeit auch und gerade bei konkreten politischen Themen. Und wo es schon um Filme geht, "Free Rainer - Dein Fernseher lügt" beschäftigt sich sehr massentauglich mit dem gefährlich negativen Bild, das Produzenten scheinbar von ihren Rezipienten haben.
Und wenn ein Künstler etwas schafft und sich später von dem Werk distanziert, trifft er doch damit lediglich die Aussage, dass das Ergebnis nichts mehr mit dem zu tun hat, was er sagen wollte. Das steht ihm ja wohl zu.
Eigentlich wäre das ein Fall für Arte. Ich stelle mir gerade vor, wie im Fernsehprogramm oder mindestens auf dem Internetangebot beide Schnittfassungen, möglicherweise parallel betrachtet werden können, so dass Auslassungen/Schnittänderungen etc. direkt sichtbar sind.
Ich kenne weder die eine noch die andere Version der Dokumentation, es würde mich aber tatsächlich interessieren, welche Fassung welches Bild erzeugt. Ein solches Angebot wäre nicht nur ein Beitrag zur Auseinandersetzung mit der Treuhand, sondern zugleich eine Auseinandersetzung mit den Medien selbst und ihrer Rolle bei der Vermittlung von politischen Diskursen.
Die ARD wird das sicher nicht machen, denn - und da hat der Artikel völlig recht - dort ist das Bild des schnell überforderten Zuschauers tatsächlich zu tief verwurzelt. Schade eigentlich.
PS: Das "intelligent/anspruchsvoll" und "unterhaltsam" sich nicht gegenseitig ausschließlich müssen, beweisen so einige der vielgeschmähten US-PayTV-Sender seit vielen Jahren mit brillianten Serien. In Deutschland kommen die öffentlich-rechtlichen leider nur sehr selten über das "Unser-Charly"-Nivesau raus.
Ein tragisches Moment an der Revolution 1989 ist ja bekanntlich, dass die Wünsche der frühen Revolutionäre, ihre Hoffnungen auf eine bessere, radikalere Demokratie (die es aus dem Versprechen des Staatsozialismus und der Erfahrung seines Scheiterns gemeinsam zu konstruieren galt) durch den Wunsch der Mehrheiten nach dem bewährten Model westlicher Demokratie abgelöst worden sind.
Viel tragischer ist aber noch, dass selbst dieser Wunsch nie eingelöst worden ist. Denn statt ihrer bekamen die Wähler des Wegs in die westdeutsche Demokratie nur noch deren Selbstabschaffung. Mit der Geschichte der Treuhand beginnt die Geschichte des Post-Kommunismus als die Geschichte des Zynismus der Alternativlosigkeit. Diese wiederholt sich seither folgerichtig in Fernsehredaktionen, Zeitungen, Hochschulen, ....
Daraus folgt aber auch, dass an all diesen Orten jeden Tag wieder eine Möglichkeit potentiell offen steht, einen anderen Weg einzuschlagen, doch politisch zu handeln, auf eine Weise, die an den Umschlagplätzen der repräsentativen Demokratie nicht mehr möglich ist.
Danke für den schönen Artikel, Herr Dell!
Für mich ist der Punkt die pauschale Solidarisierung mit dem Regisseur, da der Artikel sehr tendenziös gehalten ist. Apropos Pauschalisierung, Sie glauben ernsthaft alle Produzenten agieren wie Rainer?
Dann wäre da noch ein grundsätzliches Missverständnis auszuräumen: Wenn der Regisseur alleinverantwortlicher Künstler sein will, darf er sich nicht mit einem Produzenten einlassen. Dann wird er nämlich teil eines Teams, in dem er mit den Meinungen anderer leben und auf sie reagieren muss. Zu behaupten das habe er nicht gewollt ist feige denn den Mut sein Projekt ohne das Now-How anderer zu machen, hatte er nicht.
man kann, gilt auch @lethe, den film schon gucken, gerade wenn man als kundiger zuschauer nicht drauf angewiesen ist, seine gefühle auf klaus klamroth konzentrieren zu müssen
mir ging es bei dem text nicht um eine pauschale solidarisierung mit dem "künstler" vs den bösen produzenten. und ich glaube auch nicht, dass die künstler-version die welt aus den angeln heben würde. es ließ sich m.e. nur eben diese alternativlosigkeit an dem vorgang beobachten, gerade an seiner gewöhnlichkeit. und wenn sie von haftung schreiben - passt das wirklich dahin, so argumente aus einer knallharten marktwirtschaft hier, wo es um gebührengelder geht? ich will nicht für die verschwendung von gebührengeldern werben, ich glaube nur, dass man von solchen geldern einen hehreren begriff haben kann als rtl von seinen werbeeinahmen hat, wenn nicht muss. und dann ist es keineswegs ausgemachte sache, dass man so ein thema aber s o erzählen muss. auch wenn das heute kaum mehr vermittelbar ist
Meiner Meinung nach geht es hier nicht um Produzentenbashing sondern um Realitäten. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie Auseinandersetzungen zwischen Produktion und Regie mitunter laufen. Zu oft werden wirkliche Argumente gegen Allgemeinplätze ausgetauscht, die darauf hindeuten, dass Sehgewohnheiten einen höheren Stellenwert haben, als Filmsprache, andere, mitunter anspruchsvolle Wege, die den Intellekt der ZuschauerInnen herausfordern. Diese Diskussionen gehen - insbesondere mit TV-Redakteuren - ja bereits los, wenn es um die Diskussion eines Stoffvorschlags geht. Das Publikum wird gern und pauschal unterschätzt, mitunter erst gar nicht wertgeschätzt. Dafür steht die Produzentenaussage in der inhaltlichen Diskussion um einen meiner Filme: "Das Publikum interessiert mich nicht!" "Das darf man so nicht machen!" - wie oft habe ich da von Redakteuren oder Dramaturgen gehört!!! Ich vermisse Mut, Vertrauen und den Drang, die wirklichen Bedürfnisse eines Publikums zu respektieren. Lieber Matthias Dell, dieser Artikel spricht mir aus dem Herzen, insbesondere der Satz: "Die Angst vor dem Abweichen von den Konventionen ist das Bindemittel dieser Gesellschaft." Mich interessieren nun beide Versionen des Films, und ich kann nur hoffen, dass die Öffentlich-rechtlichen den Mut aufbringen, mal wirklich etwas besonderes zu wagen und beide Versionen zur Verfügung stellen.
Die "Treuhand" ist natürlich ein hochpolitisches Thema: Und der Sender ist öffentklich-rechtlich: Durch eben dieselben Partein kontrolliert, die die Teuhand politisch "verantwirten" - auch ihr "Geschichtsbild". Also, die "Zweitverwertung" im TV unterliegt derselbewn Proporzensur wie ein Orginalbeitrag für das TV. Und wenn der "Skandal" nur die sozusgen "unbewusste", weil "morlisch-sicherende", Funktion hat, das noch einmal ins Licht der öffentliuchen Debatte, das fast nur den "Skandaleosnchlter" kennt für dss stärker Licht, zu rücken?
"Ideologische Staatsapparat" - Althusser war da recht klar und deutlich.
An "Finesse" haben es selbst die idelogischen Staatsapparate des Absolutismus nicht fehlen lasssen.