Amerika im Selbstgespräch

Transatlantischer Kampf um Deutungshoheit Eindrücke vom experimentellen Theaterfestival "reich & berühmt" in Berlin

Im Programm zum diesjährigen Theaterfestival reich berühmt, das vergangene Woche zum achten Mal im Berliner Podewil ausgetragen wurde, berichten die Kuratorinnen Aenne Quiñones und Kathrin Tiedemann von ihren Überlegungen, den Filmemacher und Autoren Michael Moore einzuladen. Das Unterfangen ist gescheitert an den "kosmischen Gagen", die Moore für seine Auftritte verlangt; das Vorhaben bleibt allzu verständlich. Die globalen und lokalen Krisen seit dem 11. September haben der Kunst ein weites Spielfeld eröffnet, auf dem Moore zum Weltfußballer der Kritik avancierte. Die Verpflichtung des polemischen Amerikaners hätte außerdem einen mentalen Zugewinn für das Berliner Festival bedeutet, das - nach der Auslosung von Donald Rumsfeld - in den Trikots Alteuropas gegen die USA ins Spiel um die künstlerische Deutungshoheit über die Gegenwart ging.

Die Eröffnungspartie bestritt Angela Richter mit der "Propaganda-Operette" L´Amerique, die bereits im Hamburger Schauspielhaus Premiere hatte. Die wenigen Spielszenen, die sich an Motiven aus Franz Kafkas Roman Amerika orientieren, sind angereichert mit Punkrock (Musik: Les Robespierres) und verschiedenen Texten. Gleichwohl die Literaturliste des Abends eindrucksvolle Breite verspricht (etwa T.C. Boyle, Jacob Holdt, Angela Davis), fragt sich der Betrachter bald, wo an dieser Konzeption so etwas wie Dramaturgie mitgewirkt haben soll. Das Bild, das Angela Richter von Amerika zeichnet, bedient genau das Klischee, das in Europa, wo man es sich auf dem hohen Ross der Fundamentalablehnung bequem gemacht hat, gängig geworden ist. Soziale Ungerechtigkeit wird beklagt in Texten, die von Mexikanern oder Einkaufs-Malls handeln, bekannte Fakten wie die kalifornische three-strikes-Regel, der zufolge jeder zum dritten Mal straffällig Gewordene automatisch lebenslänglich ins Gefängnis kommt, werden mit der Empörung unerhörter Details vorgetragen. Mit dem Resultat, dass tatsächlich Beklagenswertes seines Furor-Potentials beraubt und dem Mythenschatz der Zeitungsrubrik Vermischtes überantwort wird: L´Amerique oder Was Sie schon immer über Amerika wussten. Die meisten Lacher des auf dünnen Witzen balancierenden Abends, etwa die Yellow Submarine-Version mit dem originellen Refrain We all live in a terrorist regime, gehen bezeichnenderweise auf Michael Moores letztjährigen Filmerfolg Bowling for Columbine zurück. Ohne Moore wäre noch weniger, könnte also das Fazit der auch formal uninspirierten Aufführung lauten.

Kaum besser gerät der Berliner Perfomance-Gruppe prodesse delectare die Amerika-Bearbeitung in Rambo IV - Fire Forget. Für den Kampf gegen den monotheistischen Fundamentalismus, der in einer Rückeroberung des Paradieses enden soll, wurden gleich drei Rambo-Versionen geklont (Jörn J. Burmester, Florian "Der Sack" Feigl, Henrik "Hulk" Pedersen). Die kämpfen sich durch eine mit Klarsichtfolie umwickelte Tisch-Landschaft, zwischen Fernsehmonitoren mit N24-Dauerbespielung und allerlei technischem Gerät hindurch. Vor allem aber an den Text-Stellen hechelt die Performance-Lecture der medialen Verarbeitung des Irak-Krieges müde hinterher. Anstatt der Wirklichkeit neue Wahrnehmungen abzutrotzen, was die Zielstellung von reich berühmt ist, fügt der erregt dozierende Burmester den erfolgten Exegesen weitere hinzu: shock and awe, Präsident W.: "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns". "Wo sind eigentlich die Saddam-Double geblieben?", hat sich vor zwei Monaten bestimmt auch Stefan Raab gefragt, ohne allerdings im nächsten Satz pseudo-intellektuell von Simulacrum und Original zu sprechen.

Während Alteuropa also alles gab, saß Amerika gelassen auf der Bühne und redete mit sich selbst. Buddy Big Mountain, Wendy Morgan und Stephen Knowles sind drei Bauchredner, die Asta Gröting bei der jährlichen Bauchredner-Tagung in Las Vegas getroffen hat. In The Inner Voice/Dead Air sprechen Mountain, Morgan und Knowles den schlichten Dialog eines Bauchredners mit seiner Puppe, den Tim Etchells von Forced Entertainment geschrieben hat und der hinter dem Habitus der Banalität viele Lesarten verbirgt. Der Irak-Krieg kommt hier nur vor als eines von mehreren möglichen Gesprächsthemen, die Ablenkung von Missstimmungen zwischen Redner und Puppe bieten könnten. Weitere Alternativ-Themen: das Wesen der Wahrheit, die wirtschaftliche Krise in Usbekistan, Zeitreisen, Imkerei, Übersetzungsfehler.

1:0 für Amerika.

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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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