Zu den Neuerungen der diesjährigen Berlinale, für die der bis mindestens 2019 verlängerte Intendant Dieter Kosslick nichts kann, gehört die „Woche der Kritik“. Eine Veranstaltungsreihe, in der nicht nur Filme gezeigt werden, sondern auch Filme diskutiert werden. Sie unterscheidet sich vom Rest des Festivals dadurch, dass ein um „Aktivismus“ bemühter Filmkritikerverband sie organisiert.
Denn ausgewachsene Filmfestspiele von der Größe der kosslickgepimpten (Kulinarisches Kino!) Berlinale ziehen Aufmerkseitsaddicts an wie Klondike und Yukon River die Goldsucher. Fast schon traditionell: die SPD, die in diesem Jahr ihren nunmehr 12. Filmabend ausrichtete. Man kann der Partei nur wünschen, dass ihr Begriff vom Kino nicht tatsächlich der Rhetorikkosmetik entspricht, mit der sich NRWs Medienstaatssekretär Dr. Marc Jan Eumann eine Einleitung schminken wollte – dass das Berliner Willy-Brandt-Haus deshalb der ideale Ort sei, um über Berlinale, Film und Politik zu reden, weil Intendant Kosslick mal Redenschreiber des Hamburger SPD-Bürgermeisters Hans-Ulrich Klose war.
Elefantös
Das ist doch gerade das Elend, könnten nämlich Spaßvögel rufen, die, wie Sigmar Gabriel, „Filmfans“ sind. Denn mit solch einer Vorstellung von Stallgeruch wird man immer nur Arbeiten bekommen wie 2014 Lauf Junge Lauf (ohne Interpunktion im Original) von Oscar-Preisträger Pepe Danquart, der nicht weit ist, wo die SPD vom Kino spricht. Einen Film also, der von einem „wichtigen Thema“ (jüdische Kinder überleben in polnischen Wäldern den Holocaust) in jedem Moment so erzählt, als wäre er sein eigener Trailer, dauererregt und durchemotionalisiert, der hier aber als Konsequenz des Richtigen erscheinen musste, schon weil sein Macher auf dem Podium saß. Der Woche der Kritik könnte das eine Lehre sein – es lässt sich über Filme leichter debattieren, wenn diese nicht zugleich noch die eigene diskursive Überlegenheit repräsentieren müssen.
Es ist nicht schwer, sich über Politiker zu amüsieren, wo die sich auf ein Feld begeben, das nicht das ihre ist – wobei es Eumann dem Spott noch einmal besonders leicht machte, als er bei der Vorstellung einer aktuellen Fotoporträtreihe im Brandt-Haus (Heimat. Deutschland deine Gesichter von Carsten Sander) Egon Bahr mit dem 1990 (sic) verstorbenen Herbert Wehner (sic) verwechselte und sich einen Rüffel vom Parteichef einhandelte („Du bist wirklich sehr jung“). Tatsächlich ist das politische Reden über Film (Förderung, Urheberrecht, TTIP, Arbeitsbedingungen beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen) kaum weniger prickelnd als sich vorzustellen, was Sigmar Gabriel wohl gedacht haben mag, da Regisseurin Connie Walther ihm von Titeln (Blau ist eine warme Farbe/La vie d’Adèle) und Namen (Abdellatif Kechiche) französischer Festivaldarlings als etwas erzählte, „das wir alle gesehen haben“.
Gabriel ist ein unterhaltsamer Charakter, der auf Kosten des Politikbetriebs mit dem Publikum fraternisiert („Heute war Parteivorstandssitzung. Da sitzen auch lauter Künstler. Lebenskünstler“) und dessen Sottisen („Ich sehe nicht nur aus wie ein Elefant, ich habe auch ein solches Gedächtnis“) das unwitzige Geschwurbel, das ein deutscher Fernsehfilm als Politikersprechen verkaufen würde, locker übertreffen. Dabei ist Gabriels Ironie („Die SPD ist eine anstrengende Partei“, „So’n Scheiß gab’s bei uns nicht“) auch suspekt, weil sie den Machtmenschen im Zenit seiner Hybris erahnen lässt, dessen hier ausgestellte Souveränität einen Halbton tiefer in Zynismus und Verachtung für alles umschlagen muss, das bei drei nicht beim Zupacken ist. In diesem Sinne konnte der Auftritt des SPD-Parteichefs die Sehnsucht nach einer deutschen Serie wie House of Cards oder West Wing befeuern. Und die Vorstellung einer deutschen „Qualitätsserie“, wie das Genre unter Fernsehkritikern heißt, hat sich noch nicht erledigt, auch wenn die Berlinale in ihrer kosslickkonsequenten Totalausdehnung in diesem Jahr das Fernsehen integriert und je zwei Episoden ausgewählter Produktionen präsentiert.
Ein wenig zu ordentlich
Neben dem gerade gestarteten Breaking-Bad-Spin-off Better Call Saul zeigen sich auch erste deutsche Unternehmungen. Etwa Deutschland 83, ein Achtteiler von Nico Hofmanns Produktionsfirma UFA Fiction, der im Herbst bei RTL läuft und ans US-Fernsehen verkauft ist. Das Setting ist in vielerlei Hinsicht geschickt kalkuliert. In der Hochzeit atomarer Abschreckung nach dem NATO-Doppelbeschluss wird ein Ostberliner Spion (Jonas Nay) in das Vorzimmer eines Bonner Generals (Ulrich Noethen) versetzt. Wenn Serien dem abendfüllenden Spielfilm überlegen sind durch ihre epischen, tendenziell endlosen Erzählmöglichkeiten, dann wirkt Deutschland 83 allerdings bloß wie die verlängerte Spielfilmvariante.
Das Doppelleben des Spions, das so viele Anlässe stiften müsste fürs Ausredenerfinden und Lügenentwerfen, bahnt sich grobklotzig den Weg zu einer zumeist musikalisch motivierten Billigspannung: Der DDR-Spion ist aus der Kantine verschwunden, um Dokumente abzulichten, er fehlt einfach beim Abendessen, um Safes zu knacken, statt dass das Davonstehlenmüssen durch teure Ausflüchte erkauft würde. Einer Änderung bei der Zimmerbelegung in einem Hotel wird zugestimmt mit dem traurigen Dialogsatz „Ich guck eh nicht raus“, der leider das Niveau des Drehbuchs besser vermittelt als die PR-trächtige Idee, eine in den USA geborene Autorin (Anna Winger) würde automatisch die Komplexität amerikanischer Serien importieren. Zudem ist Jonas Nay hübsch anzuschauen, für die Doppelexistenz seiner Figur aber ein nach Plan spielender Akteur. Das Publikum im Haus der Berliner Festspiele ließ seinem Wohlwollen dennoch freien Lauf, und der Stolz der Präsentation übersetzte sich in ein von Lichtspots verfolgtes Teameinlaufen, das dem Drumherum beim Boxen nicht unähnlich war.
Womöglich verdankte sich diese Wahrnehmung aber nur dem zufällig unmittelbar zuvor geschauten Wettbewerbsbeitrag Als wir träumten. Der große Menschenfreund Andreas Dresen hat Wolfgang Kohlhaases Reduktion von Clemens Meyers Roman verfilmt, und als Höhepunkt des Nichtgewinnens ruft eine Parallelmontage (mit dem Kampf des Filmhelden Rico) den Ost-West-Rumble unter umgekehrten Oben-Unten-Verhältnissen zwischen Henry Maske und Graciano Rocchigiani auf. Im Triggern solcher Erinnerungen liegt die Stärke von Als wir träumten, worin vom Aufwachsen in rauer, ungeordneter Zeit vielleicht ein wenig zu ordentlich erzählt wird. Als größere Idee hält der Film ein am Ende doch relativ pessimistisch wirkendes „Vom Wir zum Ich“ bereit: Die Verluste, die der Rausch der frühen Jahre in der Leipziger Jungsclique fordert, sind groß.
Vornehmlich Frauen erinnern sich im lang angelegten Oral-History-Projekt der 2012 verstorbenen Filmemacherin Katrin Seybold, weshalb Ula Stöckl den Dokumentarfilm Die Widerständigen schließlich fertiggestellt hat. Berichtet wird von nicht näher bekannten Weiterungen des Weiße-Rose-Protests nach dem Auffliegen der Geschwister Scholl – mit beeindruckender Nüchternheit und einem Interesse an Details, nach dem man im trüben ZDF-Geschichtsbrei vergeblich stochern würde.
Ein großer Quark ist dagegen das neueste Terrence-Malick-Geraune Knight of Cups, bei dem zwei Stunden lang Bewegungsschnitte und Esoterikgedräun auf der Suche nach Sinn im Leben eines Schauspielers (Christian Bale) schwelgen, der sich alles leisten kann, aber trotzdem nicht die richtige Frau findet (Cate Blanchett, Natalie Portman und ungezählte Nacktmodels). Wobei der Witz am größten Streitgegenstand des Wettbewerbs ist, dass Debatte sich hier schwer entzünden kann, weil Malick kryptoreligiös funktioniert: Glauben kann man nur oder gar nicht.
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