Beckmanns Erzählungen

Medientagebuch Wirklichkeit als Ausnahmezustand oder: Vom dunklen Raunen der Anchormen und -women

In zeitlicher Nähe der Bombenanschläge von Madrid war eine Beobachtung zu machen, die man nicht direkt in einen Zusammenhang mit den Attentaten stellen würde. In einer Johannes B. Kerner-Sendung unterhielten sich Reinhold Beckmann und der Bremer Bildungssenator Willi Lemke auch über die Frage, wie Kinder vor Gewaltverherrlichung zu schützen seien. Gewaltverherrlichung, das war unausgesprochener Konsens, wurde hierbei synonym mit Horror- und Splatterfilmen sowie Videospielen gesetzt. Beckmann konnte zum Thema von eigenen Erfahrungen berichten. Er habe dem Drängen seines Sohnes schließlich nachgegeben, damit der nicht - ein Nachteil der Nicht-Gewaltverherrlichung - sozial isoliert wäre in einem Umfeld von lauter X-box-Besitzern. Seiner pädagogischen Aufsichtspflicht käme er, Beckmann, durch Mitspielen nach; allerdings, das im Ernst, wisse er nicht hundertprozentig, was sein Sohn da alles so spiele.

Was Beckmann erst als "Witz", dann als "Geständnis" äußerte, müsste Medienwächter und Sicherheitsexperten alarmieren, nimmt man den Begriff zum Maßstab, den die Kerner-Sendung von Gewaltverherrlichung hat. Denn reift nicht - wenn man dem plumpen Schluss Videospiel gleich Gewaltverherrlichung gleich Bedrohung für die Gesellschaft folgt - im Hause Beckmann ein potentieller Störer unserer Ordnung heran, der sich gerade unkontrolliert an womöglich Gewalt verherrlichenden Videospielen delektiert? Reinhold Beckmanns Rhetorik besteht darin, argumentative Widersprüche von einem schlecht gespielten Gestus des Bescheidwissens in scheinbar stimmige Aussagen verwandeln. Beckmann sagt nicht, was er meint, sondern das, wovon er glaubt, dass man es meint, ohne dass ihm auffallen würde, wie problematisch solche Meinungs-Mimikry ist.

Sein "Geständnis" zeigt, dass er selbst nicht an die Gewalt verherrlichende Wirkung von Videospielen glaubt, behauptet wird sie trotzdem. Das könnte man Ironie nennen, mit Blick auf die Einseitigkeit des Diskurses über Gewalt und Medien sollte man es besser Zynismus heißen. Der mögliche mediale Anteil an einem Schüren von Gewalt oder der Bereitschaft dazu wird im Abseits des Extremen verortet anstatt sich kritisch zu fragen, was man selbst dazu beiträgt.

Es soll hier nicht das simple Ursache-Wirkung-Prinzip vom Medienkonsum mit anschließender Gewalttat auf andere Gegenstände übertragen werden, aber hat sich je eine Untersuchung damit beschäftigt, was das Ansehen von Fernsehsendungen wie etwa der Beckmann-Talkshow im Zuschauer bewirkt? Beckmann vollbringt eine Leistung von Münchhausen´schen Format, nämlich den Verfall zu produzieren, den er klagend dauernd konstatiert. In einem gewissen Sinne, könnte man einschränken, ist dieses Paradox die Voraussetzung jedes Mediums.

Dabei ist es egal, ob Beckmann über Politik, Sport oder Boulevardeskes redet, immer lädt er seine Gegenstände übermäßig dramatisch auf, was man vor allem hören kann. Beckmanns Tonfall ist ein leidendes Raunen, das mit vielen Pausen durchsetzt innerste Nachdenklichkeit suggeriert, wo doch nur banale Dinge oder gängige Klischees gefragt oder erzählt werden. So versucht seine Sendung unentwegt, sich den Schein des Exquisiten zu verleihen. Analog dazu besteht seine Interviewtechnik aus lauter Fazits. "Lassen Sie uns das noch mal...", "Richten wir noch mal...", "Nehmen wir die Situation von damals..." Beckmann gibt im Grunde nur vor, ein aufmerksamer Fragesteller zu sein, tatsächlich ist er ein Rosstäuscher, dem keine Miene zu sorgenvoll und keine Formulierung zu drastisch ist, um so etwas wie Bedeutsamkeit zu kreieren.

Beckmanns verantwortungsloser Umgang mit Sprache überzieht die Wirklichkeit subtil mit einem bedrohlichen Dunkel. Deshalb wäre es interessant zu sehen, ob und wie die Vorstellung von Farbigkeit beim Zuschauer darunter leidet. Anders gefragt: Inwiefern torpediert Reinhold Beckmann Weltwahrnehmung, Werte oder Haltungen, weil sein Beispiel in totaler Scheinhaftigkeit immerfort die größte Geste übt? Beckmann ist nicht der einzige Schmierenkomödiant des Dramatischen im deutschen Fernsehen.

Die Wirklichkeit als permanenten Ausnahmezustand kann man täglich in den Nachrichtensendungen von RTL oder ZDF erleben. Gezielt wird auf Angst, und der Anwalt dieser Verunsicherung ist der Anchorman, an sich eine widersprüchliche Konstruktion. Die Figur des Anchorman klagt in der Fixierung auf eine Person ein Vertrauen in Seriosität ein, dass erst durch die Fixierung auf Personen zerstört wird. Während die Tagesschau Nachrichten verliest, stellen heute oder RTL aktuell Nachrichten dar. Petra Gerster zuckt schmerzvoll mit den Augen, wenn sie von Terroropfern spricht, und Peter Kloeppel guckt scheinbar gebannt dem gerade gesendeten, hochdramatischen Beitrag nach, während er sich betroffen auf die Unterlippe beißt: der Anchorman erklärt uns nicht nur die komplizierte Welt in einfachen Worten, er zeigt uns auch, was wir angesichts des Elends fühlen sollen. Solche Mienenspiele werden nicht nur bei Anschlägen wie in Madrid veranstaltet, sondern funktionieren auch problemlos bei Gesundheitsreform und Steuererhöhung.

Vor ein paar Wochen wurde in Berlin ein Rentner freigesprochen, der einen HipHopper niedergestochen hatte. Allem Anschein nach war die Tat eine Verkettung unglücklicher Umstände: der HipHopper wollte den schwerhörigen Mann zur Rede stellen, der Rentner vermutete einen Angriff. Dass er sich dagegen mit einem Messer wehrte, wurde damit begründet, dass der alte Mann nach der Wende nicht mehr mit den Verhältnissen zurechtgekommen sei und sich bedroht gefühlt habe. Käme in diesem Fall jemand auf die Idee, dem Rentner den Konsum von Fernsehsendungen zu unterstellen, die durch Beschwörung von Angst und Bedrohung Gewalt ex negativo verherrlichen?


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