Botox für die Sorgenfalte

Kino Ob das ein Erfolg wird? Simon Verhoevens deutsche Komödie „Willkommen bei den Hartmanns“ nimmt einen Geflüchteten auf
Ausgabe 44/2016

Wer tatsächlich etwas über das Leben von Flüchtlingen erfahren will, über das Hin und Her, die Schwierigkeiten und die Träume, der sollte versuchen, What about Eric? zu gucken. Einen Film von Lennart Stuyck und Ruben Vermeersch, der 2014 den Preis für den besten belgischen Dokumentarfilm auf dem Festival Docville in Leuven gewann. Der titelgebende Protagonist ist Eric Kabongo, der sich als Musiker Krazy-E nennt und in den nuller Jahren aus dem Kongo nach Belgien floh.

Die sonderbaren Bewegungen, die globale Migration bewirkt, führen Eric Kabongo nun in eine deutsche Komödie. Willkommen bei den Hartmanns heißt der Film, und schon das Plakat dazu lässt keinen Zweifel, dass die Perspektive von Kabongos Figur nicht interessiert, dass sie Objekt, nicht Subjekt der Geschichte sein wird. Auf dem Bild sind sechs Personen zu sehen, darüber stehen aber nur fünf Namen.

Für Prominenzbemessung ist das billing, wie die Credit-Politik im durchprofessionalisierten Amerika heißt, ein zentraler Schauplatz. Wessen Name wann, wo und wie groß auftaucht, ist Gegenstand von durch Eitelkeit und Marktwertsorge getriebenen Vertragshandlungen; in Flammendes Inferno wurde 1974 das Attraktionspatt zwischen Steve McQueen und Paul Newman auf der Höhe ihres Startums salomonisch gelöst: Man ordnete beide Namen diagonal versetzt an, der eine links, aber unten, der andere oben, aber rechts.

Es ist also kein Zufall oder Versäumnis, wenn „Eric Kabongo“ auf dem Willkommen-bei-den-Hartmanns-Plakat nicht zu lesen ist. Der Schauspieler als Gastarbeiterstar: Er wird gebraucht, soll aber nicht bleiben, sich keinen Namen machen und damit auch keine Hoffnung auf Anschlussbeschäftigung, für die Hollywood einst die Formel „and introducing“ erfunden hatte; so konnten vielversprechende Debütanten mit den arrivierten Namen assoziiert werden, ohne ihnen gleichgestellt zu sein.

Im Prolog des Films werden die Clubregeln formuliert: Bevor Kabongos Figur mitmachen darf in der deutschen Komödie, muss sie zum Friseur – eine kleine, scheinbar nebensächliche Handlung. Aber wenn man sich nur daran erinnert, dass im Zuge der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA der Afro zu einem Symbol der Emanzipation wurde, von Selbstbewusstsein und Stolz, dann steckt in, ausgerechnet, dieser Handlung eben das erwartbare Normierungsprogramm durch die weiße Mehrheitsgesellschaft, die in dem Film einen Flüchtling aufnimmt.

Überraschend ist dagegen: Willkommen bei den Hartmanns ist zugleich ein ziemlich erstaunlicher Film. Denn Autor und Regisseur Simon Verhoeven kennt man von Erfolgen wie Männerherzen (2009) und Männerherzen ... und die ganz ganz große Liebe (2011), zwei Ensemblefilmen, die qua Besetzung beeindrucken (Til Schweiger, Florian David Fitz, Wotan Wilke Möhring, Christian Ulmen). Und die das in Deutschland einzig populäre Genre pflegen: die regressive Männerkomödie, die seit 30 Jahren mit verhaltensstarren maskulinen Geschlechterbildern Gags produziert. Oder umgekehrt.

Mit Willkommen bei den Hartmanns füllt Verhoeven diese Form nun politisch auf (zaghafte Versuche in diese Richtung waren zuletzt in Matthias Schweighöfers Selbstgentrifizierungsreflektion Der Nanny zu erkennen) und lässt alle Positionen des parlamentarisch-publizistischen Diskurses von Familie Hartmann und ihren Nachbarinnen und Kollegen vortanzen. Mutter Hartmann (Senta Berger) will einen Flüchtling aufnehmen in der Münchner Ärztevilla, während Vater Richard (Heiner Lauterbach) den Seehofer macht – inklusive Nicht-aufhören-können und Herzinfarkt.

Gerade in der Figur des alten Mannes, den die Aussicht auf die eigene Sterblichkeit in Familie und Klinikum umso miesepetriger um schwindende Macht kämpfen lässt, zeigt sich die Cleverness von Verhoevens Idee, die deutsche Geschlechterbilderkomödie mit großen politischen Fragen zu belästigen. Kabongos Herr Diallo ist in dieser Anordnung zwar einerseits nur der Spiegel, in dem sich die Familie wieder versöhnen kann: Rumhänger-Tochter Sophie (Palina Rojinski) verliebt sich in den richtigen Mann, den Arzt Dr. Berger (Elyas M’Barek), Corporate-Anwaltssohn (überraschend vielfältiges Spiel: Florian David Fitz) lässt Karriere zugunsten von Familie sein sowie Papa Richard seine Flausen mit dem Immer-noch-jung-sein. Aber anders als in Bodo Kirchhoffs Buchpreisgewinnernovelle, in der „Flüchtlinge“ dem westlichen Leben wieder Sinn geben, darf Diallo andererseits sprechen.

Dea ex machina

Dem Film tut die Gegenwart gut, wenngleich sie weirde Passagen komponiert: Erst sitzt Dr. Berger mit Sophie beim Kaffee wie in einem Reenactment der Reklame, die Elyas M’Barek macht. Dann hält er eine Rocky-IV-ähnliche nationale Versöhnungsrede („Wir sind ein geiles Land“), ehe es zum langersehnten Kuss aufs romantische Happy End kommt.

Dialoge und Rhythmus sind flott, und nicht nur Uwe Ochsenknechts fescher Botox-Spritzer (vielleicht die Rolle seines Lebens) lässt auf tiefere Kenntnis des Münchner Bürgertums schließen (dazu zählt auch die Trinksucht von Mutter Hartmann). Verhoeven eskaliert einige Szenen relativ ausdauernd: Anwaltssohns Versuch, ein Flugzeug doch noch zu erreichen etwa. Oder die Schlussszene, in der die Villa der Hartmanns von „Sicherheit“ skandierenden Pegidisten belagert und vom Staatsschutz gestürmt wird. Vor allem aber geht der Film nicht wie etwa Monsieur Claude und seine Töchter vom Ressentiment aus. Die Hater rippen sich vielleicht den Islamisierungsalbtraum von Mutter Hartmann, dürften den Film aber sonst nicht mögen. Denn er macht Ulrike Krieners Öko-Yoga-Afrika-begeisterte Weltenretterin nicht nur lächerlich. Am Ende ist sie der Deus ex machina, der den belagerten Hartmanns die Kunde von der Kavallerie bringt: „In ner halben Stunde ist die Antifa da.“ So ein Satz in einer deutschen Komödie – es ist schon lustig.

Info

Willkommen bei den Hartmanns Simon Verhoeven D 2016, 112 Minuten

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