Da wächst dann ein Strauch aus dir

Im Gespräch Sebastian Baumgarten und Paul Kalkbrenner diskutieren über Tod, Markt, Clubmusik und Nichtstun


FREITAG: Haben Sie schon einmal voneinander gehört?

KALKBRENNER: Von Sebastian hab´ ich natürlich gehört. Obwohl ich ein Opernmuffel bin, wie ich gestehen muss.
BAUMGARTEN: Das kann ich nachvollziehen. Ich bin auch lieber im Club.
KALKBRENNER: Ehrlich? Das Komische ist, dass man sagen kann: Techno interessiert mich nicht. Bei Theater oder Oper glaubt man dagegen sagen zu müssen, dass man ein Muffel ist.

Woher kommt das Desinteresse?
KALKBRENNER: Das ist grundlegend, das kann ich nicht näher erklären.
BAUMGARTEN: Wenn man sich an den Peaks von Popkultur, Schnelligkeit, elektronischem Lebensgefühl bewegt, versprüht die Oper eine Staub-und-Erde-Trägheit. Ich finde den Reibungswiderstand interessant. In meinen Inszenierungen habe ich mit Bands der Berliner Elektronikszene gearbeitet, Tarwater, To Rococo Rot. Für die war es schwer, Theatermusik zu machen, weil man da auf den Punkt kreativ sein soll. Das nervt schon mal, aber da gibt´s einen Plan, in dem auch ich drin stecke.

Wie groß sind die Widerstände des Betriebs gegen elektronische Musik?
BAUMGARTEN: Das hat sich stark verändert. Die Oper öffnet sich gerade, weil sie spürt, dass sie am Ende ist. Sie ist erstarrt in ihren 60, 70 Stücken, die immer wieder neu aufgewärmt werden, trotz neuer musikalischer Interpretationen und Finessen des stimmlichen Gesangs.
KALKBRENNER: Die Filmbranche auch. Überall, wo wir hingekommen sind mit dem Film und die Vorführung mit einer Party verbinden wollten, haben die Leute gesagt: Ja, toll, wollten wir immer mal machen. Da spürt man einen Hunger, sich zu öffnen. Hannes Stöhr, der Regisseur von "Berlin Calling", hat uns Musiker darum beneidet, wie frei wir arbeiten. Natürlich kann man das nicht vergleichen, aber seine Filme werden eben nicht geremixed. Das ist alles viel vereinzelter beim Film, da gibt´s eine viel geringere Solidarität. Bei uns ist das offen. Ich find´s schön, wenn jemand von mir etwas samplet. Dadurch lebt das überhaupt. Auch wenn es beim Samplen um Millisekunden geht, so dass man nicht mehr erkennt, welche Musik das ist.
BAUMGARTEN: Das ist die Voraussetzung dafür, dass das Sample eine neue Qualität bekommt. Beim "Requiem" haben wir den Mozart runtergefahren auf 20 Beats per Minute. Dann wird ein Klangteppich draus, mit dem du wieder etwas machen kannst.
KALKBRENNER: Es wird egal, was es war. Die Quelle interessiert nicht mehr.
BAUMGARTEN: Oper und Schauspiel sind mit dem Begriff Drama verbunden. Für Leute wie mich hat der Weg, intellektuell gesprochen, zum postdramatischen Theater geführt. Wo es nicht mehr um Herz-Schmerz, Aktion und Intrige geht, sondern die Frage gestellt wird: Wie geht man mit einem aktuellen Lebensgefühl in so etwas wie Theater? Dann glaubt man diese Geschichten nicht mehr oder findet höchstens, dass sie in Hollywood besser gemacht sind. Samplen vollführt diese Bewegung: Ein minimaler Moment, der bei Puccini wahnsinnig dramatisch ist, wird entdramatisiert. Einerseits wird er profanisiert auf eine gute Weise, andererseits durch die permanente Wiederholung von Loops wieder heilig gemacht. Loops wecken bei mir das Gefühl von Glockenläuten, von etwas Rituellem.
KALKBRENNER: Mozart jagt dich durch seine Sinfonien, dabei stecken da so krasse Sachen drin. Wenn man das mal rausnimmt, eine Folge von sechs, sieben Tönen, drei oder vier Sekunden lang, und das dann loopt, bekommt man erst die Möglichkeit hinzuhören, was da eigentlich passiert.

Lassen Sie uns über den Tod sprechen. Das "Requiem" handelt davon und in "Berlin Calling" zieht ihn die Figur, die Sie spielen, in Erwägung. Ist der Tod nicht weit weg für Menschen zwischen 30 und 40?
KALKBRENNER: Keine Ahnung.
BAUMGARTEN: Man weiß es halt nicht.
KALKBRENNER: Mit jedem Tag kommt er näher.

Aber man macht sich keine Gedanken.
KALKBRENNER: Je zufriedener man wird, desto weniger Angst hat man vor dem Tod. Natürlich habe ich keine Lust, den Löffel abzugeben. Aber wenn ich im Flugzeug sitze und und der Blitz einschlägt, denke ich: Lieber 31 Jahre, die schön waren, als ein langes Leben in Armut und Bitternis.

Gut, wenn das Flugzeug wackelt. Aber man sitzt doch nicht zu Hause und überlegt: Was mache ich, wenn der Tod kommt?
KALKBRENNER: Ich fliege halt viel.
BAUMGARTEN: Man tut das meistens in Momenten, in denen das Tempo ziemlich hoch ist. Bei mir kam zum "Requiem" dazu, dass meine Mutter vor einem halben Jahr gestorben ist. Das ist dramatisch, wenn du das durchmachst: Leiche sehen, Bestattungsindustrie beschenken. Du bist dann auf einem anderen Level mit dem Thema.

In der Gesellschaft begegnet einem der Tod aber zumeist nur im "Tatort".
BAUMGARTEN: Im Theater sind wir mit diesem Endlichkeitspunkt häufig konfrontiert, bei der Musik - wie fängt das an, wie hört das auf. Und da finde ich interessant: Im Club läuft etwas, das eigentlich nicht aufhört. Clubmusik ist endlos.
KALKBRENNER: Im Theater gibt´s am Ende Applaus, beim Film kommt der Abspann. Aber die Musik bei einem Technoabend, die ist einfach weg. Wenn der letzte Ton verklungen ist, bleiben nur leere Bierflaschen.

Ist der Tod der Aussicht auf ein endloses Leben deshalb nicht vorzuziehen?
KALKBRENNER: Ich will nicht ewig leben. Mir würde es reichen, schockgefrostet zu werden und alle hundert Jahre aufzuwachen für eine Woche, um den Überblick zu kriegen: was abging auf politischer Ebene und alle Fußballweltmeisterschaften. Nicht mehr upgedated zu werden, das wäre das Schlimmste für mich.
BAUMGARTEN: Vor dem Tod müssen wir keine Angst haben, denn wenn er da ist, sind wir nicht mehr. Wir haben Angst vor dem Sterben und dem Prozess, der da dranhängt. Das habe ich jetzt erlebt. Diese Garantien der Medizin, dass es schmerzlos sein wird - das stimmt einfach nicht. Die Qualen sind ungeheuer. Das ist ein Moment, wo sich, das hat auch wieder mit Musik zu tun, Zeit so ausdehnt, dass eine Sekunde unendlich wird, wenn du verreckst. Die letzten Nächte, die ich bei meiner Mutter mitbekommen habe, die waren unendlich lang. Wenn die Angst vor der Dunkelheit einsetzt, weil dann die Dämonen über die Bettdecke krabbeln. Da denke ich: Ich würde mich lieber mit 350 auf der Autobahn an die Betonwand lehnen.

Die Entdämonisierung des Todes ist doch aber zu begrüßen.
BAUMGARTEN: Für unseren Job ist die Angst nicht unwichtig. Ich halte das für einen Kulturgenerator: Da, wo Ängste herkommen, entstehen Bilder, entsteht Kreativität. Gleichzeitig dauert es in den Jobs, in denen wir tätig sind, lange und ist schwer genug, überhaupt eine Rolle zu spielen. Und wenn man die dann spielt, kommt man in eine Ruhe, die das Allerschlimmste ist.
KALKBRENNER: So eine Sättigung. Daraus entsteht dann höchstens noch die Angst vor dem eigenen Fundus.
BAUMGARTEN: Genau. Wenn du anfängst, in eine angstfreie Zone reinzugehen, bist du als Künstler erledigt.
KALKBRENNER: Man muss kurz davor bleiben. Nichts ist schlimmer für die Kreativität, als in zu jungen Jahren zu viel Geld zu verdienen.
BAUMGARTEN: Ich denke das auch oft. Auf der anderen Seite ist es befreiend: die Sicherheit, zu wissen, wie´s geht. Du hast 50 Stücke inszeniert und jede Variante von Musical, Drama, Kammerspiel bis zum Requiem durch. Du weißt, dass du immer eine Produktion hinbekommst. Und dann gibt es den Moment, wo man bei den Proben sagt: Wir wissen, dass wir das können, lasst es uns doch mal so probieren. Es muss aber immer auch die Bauchlandung zwischendurch geben.

Zurück zum Tod und seinen Ritualen. Ist das "Requiem" eine Alternative zum Hospiz?
BAUMGARTEN: Ich würde es langsamer machen. Todeszeit als ritualisierte Zeit, unabhängig vom Industrialisierungsgrad. Paul und ich, wir haben diesen geschützten Raum, da kann passieren, was will. Man macht den Terminkalender einfach zu. Aber wie Familien das hinkriegen, in denen es kein Geld gibt, ist mir schleierhaft. Sterben ist extrem teuer. Allein der Sarg: 5.000 Euro. Und du siehst das Ding nicht mal, bevor´s verbrannt wird, und dann kommt da so eine lächerliche, geschmacklose Urne im Normformat raus.
KALKBRENNER: Vollkommene Preisintransparenz.
BAUMGARTEN: Ja, wir haben auf der Bühne einen Pappsarg für 250 Euro. Geschmacklich ist´s die Wahl zwischen Pest und Cholera. Wenn du sagst, es soll was mit dem Verstorbenen zu tun haben - geht nicht.

Es gibt ja Initiativen, die das Friedhofsmonopol auf die Beerdigung auflösen möchten.
KALKBRENNER: Wenn ich darüber nachdenke: Ich möchte nicht irgendwo liegen. Ich möchte, dass mich Leute, die mich gern hatten, verstreuen.
BAUMGARTEN: Würdest du das gut finden?
KALKBRENNER: Ja. Oder es gibt da was, wo Asche mit Erde vermischt wird, und die Saat geht nur auf, weil die Asche als Zugabe dabei ist. Da wächst dann ein Strauch aus dir.

Würde das nicht zu weiteren Geschmacklosigkeiten führen. Leute, die im Vorgarten...
BAUMGARTEN: ...Tempel aufbauen.
KALKBRENNER: Das ist die Frage, ob´s geschmackloser wird. Oder ob das letztlich nicht viel schöner ist als das, was durch die Industrie normiert wird.
BAUMGARTEN: Vielleicht hast Du Recht: Dann ist es eben so. Das wird sich dann regulieren.
KALKBRENNER: Ich glaube einfach an den Markt. Das sind immer alle, das ist das Demokratischste, was es gibt.
BAUMGARTEN: Das sagt man so. Aber ich finde nicht, dass es so rein ist. Da finden doch immer auch Manipulationen statt.
KALKBRENNER: In dem Moment, wo´s nur ein Prozent reguliert oder beeinflusst wird, ist es nicht mehr Markt. Das ist das Problem, was ich mit diesem Land habe, die Utopie Kapitalismus, dass es das gar nicht gibt. Fatal ist, wenn der Staat so zur Hälfte eingreift.

Zeigt die Finanzkrise nicht, dass der Markt allein es nicht richtet?
KALKBRENNER: Ich bin der Meinung, dass das, was gerade passiert, der Anfang vom Untergang des Westens ist. Es gibt keine gemeinschaftlichen Glücksvorstellungen mehr. Ich war gerade in Nordamerika, da geht es in den Werbespots nur noch um die eigene Gesundheit, die eigene Sicherheit, das eigene Glück. Ich habe kürzlich ein Buch gelesen, das sind dieselben Symptome wie vorm Untergang von Ancien Regime und Römischen Reich. Wahrscheinlich wird der Westen sterben. Nicht weil er unterlegen wäre, sondern weil die Leute nicht mehr bereit sind, ihn zu verteidigen. Jeder nimmt die Gesellschaft als gottgegeben, für die jahrhundertelang die besten und klügsten Leute, die für Humanismus und Aufklärung gekämpft haben, in den Kerker gegangen und dafür gestorben sind.
BAUMGARTEN: Da verstehe ich dich, dieses Unentschlossene: So ein bisschen Staat, aber eigentlich doch nicht, und wenn man merkt, es wird jetzt wieder zu viel Freiraum für die Industrie, dann greift man wieder ein. Aber ich glaube, wenn du auf Markt, Markt, Markt machst, dann hast du ein Problem mit den Leuten, die nicht in der Lage dazu sind, Kranke, Schwache. Was mich interessiert: Der Musikmarkt bricht zusammen, Plattenfirmen gibt´s bald nicht mehr...
KALKBRENNER: ...Feierabend.
BAUMGARTEN: Genau. Vor acht Jahren hätte darüber niemand gesprochen...
KALKBRENNER: ...erst 2001, als die Brenner in die PCs Einzug hielten...
BAUMGARTEN: ...was tut das mit deiner Arbeit?
KALKBRENNER: Das ist wie eine Medaille. Natürlich ärgert es mich, wenn in Deutschland meine Musik so oft kostenlos herunter geladen wird. Aber dann gibt´s Länder wie Indien, in denen mein Label kein funktionierendes Vertriebswesen hat. Da kann mir als Künstler, der nicht beworben wird über 1.000 Fernsehstationen, nichts Besseres passieren, als dass da jemand meine Musik liebt, die auf CD brennt und seinen Kumpels gibt, die dann dasselbe machen.

Für wen machen Sie eigentlich Musik? Das "Requiem" war ja ursprünglich eine Totenmesse für eine konkrete Person. Heute ist es eine Art offizielle Trauermusik, die dann bei der Schleyer-Beerdigung gespielt wird.
KALKBRENNER: Ich denke an mich.
BAUMGARTEN: Ja? Würdest du das sagen?
KALKBRENNER: Ja, das ist etwas total Selbstbezogenes. Ich bin kein DJ, der stundenlang mit dem Publikum kommunizieren muss. Ich spiele eine Stunde live, meistens zur Peak-Time des Abends. Nach fünf Minuten sehe ich nicht mal mehr das Publikum. Ich verschwinde unter einer Glocke - nur noch ich und meine Maschinen. Das ist schon eine ziemliche Ego-Show.

Braucht Ihre Musik die Aufführung?
KALKBRENNER: Ich brauche sie. Wenn ich drei Wochen nicht gespielt habe, werde ich juckig.

Und das Komponieren?
KALKBRENNER: Je älter ich werde, desto konkreter wird´s. Man experimentiert nicht mehr, wenn man Geld damit verdient. Man hat einen schönen Beruf, aber ein Hobby weniger. Ich finde das eine Errungenschaft, nicht mehr stundenlang zu probieren, bis ich etwas habe. Man setzt sich mit einer fixen Idee hin und produziert. Ich versuche, weniger Zeit dafür aufzuwenden, auch weil ich nicht mehr die Energie habe, von morgens bis abends rumzuklimpern. Da kann man natürlich sagen: Du hast die eigentliche Antriebsfeder verloren, das Spielen und so. Das muss man sich woanders wieder holen.

Und wofür ist Zeit dann da?
KALKBRENNER: Um auch mal nichts zu machen. Ich bin nicht gierig nach dem Geld, aber ich bin gierig danach, nichts zu machen. Das heißt nicht: Ich mache mir jetzt einen schönen Abend mit Freunden. Das heißt: Ich mache absolut nichts. Ich liege nur und denke nach. Telefon aus, Email, alles weg, maximal Nahrungsaufnahme. Zwei Tage einfach nur nichts tun. Nicht die Uhren, die Zeit, das ist das Luxusgut heutzutage.
BAUMGARTEN: Boris Groys sagt, ich will eigentlich erstmal nichts tun, der Mensch ist grundsätzlich faul. Und was macht er als Philosoph? Er ackert wie ein Irrer und schreibt ein Buch nach dem anderen. Das ist ein Widerspruch, den man nicht auflösen kann. Diese Dinge sind auch so. Es muss das Bedürfnis da sein, den Motor anzuschmeißen, und andererseits braucht man den Moment, wo man wahnsinnig darüber wird und, wie er sagt, stoppt. Und da ist der Tod - oder die Krankheit, ich denke da an Christoph Schlingensief - eine sehr elementare Erfahrung, weil man das nicht verhindern kann. Das ist das Existentielle an unserer Arbeitssituation. Wenn du eine Firma hast, kann die auch drei Wochen ohne dich produzieren. Als Künstler geht das nicht: Du bist mit dir selber sofort weg.

Das Gespräch führte Matthias Dell

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