Berlin hat in letzter Zeit bessere Tage. Ob man von System oder Glück, der schönsten Spielart des Zufalls, sprechen muss, kann hier nicht endgültig beantwortet werden, ist für "aufm Platz" aber auch erst mal nicht von Belang. Gegen den Kopf, Drehbuch und Regie: Stephan Wagner, der zuletzt die canonicanonische Boro-Folge einrichtete, wie man in der High-End-Theaterszene gern sagt. An der Größe der Kieler Folge dürfte zwar das originelle Drehbuch von Sascha Arango den sogenannten Löwenanteil gehabt haben, von ganz alleine kommt so eine Geschichte ja aber auch nicht zu ihrem Film.
Wagners damals zu beobachtender Zug ins Präzise tut Gegen den Kopf gut, man könnte auch von Unaufgeregtheit sprechen, was für Themenkomplexe, die das Pech haben, im Anschluss bei Günther Jauch verwurstet werden, unbedingt ein Vorteil ist. Gegen den Kopf übersetzt, wie der Name schon sagt, vage den Fall Dominik Brunner ins Berlinische, wo er anschlussfähig fähig ist durch gewisse Fälle von Gewalt im U-Bahnhof.
Das Präzise, Unaufgeregte zeigt sich nun gleich am Anfang, in dem es dem Film gelingt, in einer U-Bahnfahrt zwischen zwei – vielleicht etwas weit auseinander liegenden – Stationen Atmosphäre einzufangen und Spannung aufzubauen, ohne zu den klassischen Spannungsverdickern wie Dramo-Musik, Hekti-Schnitt oder Klartext-Dialog zu greifen. Wagner gelingt es, zu beobachten, zu verschieben und das eigentliche Unheil dann so weit evoziert zu haben, dass es im Schnitt des Tunnels verschwinden kann. Thank god, ist das nicht Leipzig .
Ein hervorragender Journalist
Für deutsche Verhältnisse, also die des Tatort, ist das beachtlich, insofern die Kommissare Ritter (Dominic Raacke) und Soffy Stark (Boris Aljinovic) moralisch nicht so sehr betroffen sein müssen und der Fall sich um einen Kontext bemüht. Dass Dagmar Reim aka Michaela Wilmes, die Mordkommissionschefin (Ruth Reinecke), Druck macht und Ergebnisse will, hat anders als bei den üblichen Chef-Angestellten-Beefs eine gewisse Logik – den Günther-Jauch-Faktor des Falles, der eben lauter nach Ergebnissen schreit zur Bevölkerungsberuhigung als Insiderhandel an der Börse. Weber (Ernst-Georg Schwill), der in dieser Folge wenig Einsatzzeiten bekommt (eben auch: weil große Lage, dicker Stab ist), missfällt hier etwas, weil er sich aus Empörung das Rauchen wieder angewöhnen muss. Das hätte ausführlicher erzählt werden müssen oder gar nicht. Zumal die halblaienhaften Zeugen, die mittendrin durchvernommen werden, als Volkes Stimme völlig ausreichend sind.
Das mit der Verkürzung gilt auch für die selbsternannte vierte Gewalt, die hier in Form von Boulevard-Journalisten am Haus des toten Helden in gebührlicher Distanz abhängt. Es ist lovely, dass der Tatort sich überhaupt Mühe macht, ein größeres Gravitationsfeld von Interessen aufzurufen, und dass der Versuch unternommen wird, die Eigenlogik des Schweinejournalismus zu erläutern. "Ich muss meine Kinder auch irgendwie groß kriegen" ist ein Ansatz, mit mehr Zeit wäre auch hier mehr Spannung und Verständnis möglich gewesen.
Immerhin kann man an Olaf Grüneke (Lutz Blochberger) jene Spielart der Boulevard-Schmeißfliege erkennen, die sich die Themen abtrainieren müsste und noch mindestens zehn Jahre in besseren Anzügen vor sich hätte, um Mitglied der Spiegel-Chefredaktion zu werden. Handwerklich ist dieser Grüneke aber sicherlich ein "hervorragender" (Wolfgang Büchner) Journalist. Das Feld des Medialen wird in Gegen den Kopf noch gedehnt, auch das ein Plus dieser Folge, aufs Leaken innerhalb der Polizei, wobei Ritter als Rasa-Tabulator etwas unglaubwürdig wirkt, wo er das Springers real existierender B.Z. nachempfundene Film-Blatt dann wiederum interessiert liest.
"Von hinten, ffffftt"
Wesentlich ist der Detailism der Folge, weil daran die ganze Spannung liegt: also in der Ermittlung, dem Rausfinden. Dass am Anfang Zeit geschunden wird mit dem Aufgesage von routinierter Information im U-Bahnhof und dass der Fall gestreckt wird durch das – aber eben recht gut getarnte – Auslassen des Nächstliegenden (Handyauswertung!), bleibt lässlich, wenn es darum geht, ob und wie die Moves der Kommissare zu dem Ziel führen, dass der Zuschauer kennt. Insofern bräuchte es den Fall Brunner auch gar nicht, der Fall Brunner ist nur die ideale mediale Folie, die vom Helden bis zu Zweifeln an diesem Helden eben alles bereithält, was ein Film braucht, der Gewissheiten auf das Eis der Ambivalenzen schickt.
Das eigentlich totalaktuelle Großthema, das Günther Jauch, dieses Argusauge des Offensichtlichen latürnich nicht diskutiert, ist der NSA-Skandal. Dabei ist der biografische Volkszählungsschabernack zwischen Stark und Ritter noch das Uninteressanteste, vielmehr fetzt doch, dass der Auswertung von Überwachungskameras Datenschutzmechanismen vorgesschaltet sind. Beziehungsweise wie der interne Nerd Jonas Goede (Tristan Seith) das Ermitteln in der Cloud von Held Haessler (Enno Kalisch) beschreibt: "Passworte sind was für Amateure. Von hinten, ffffftt."
Eben.
Ein Kulturpessimismus in seiner rührendsten Form: "Zu meiner Zeit hat man aufgehört zu schlagen, wenn ein Mensch am Boden lag"
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