In Münster wird renoviert, was man zum Beispiel daran sehen kann, dass man das Staatsanwältinnenzimmer zum ersten sieht in der Form: also mit diesem schönen "Holz", wie die große Astrid Meyerfeldt hauchen würde, gehaucht hat in der eher mittelgroßen Volksbühneninszenierung Der kleine Muck ganz unten – Die Welt zu Gast beim Feudeln, die hier nur deshalb zitiert wird, weil der Titel so lustig ist. Das Staatsanwältinnenzimmer hat in Münster bislang keine Rolle gespielt, weil die Staatsanwältin (Mechthild Großmann) bislang eher immer so in den Ermittlungen rumstand, wie auch die Bilder der Münsteraner Folgen eher so rumstanden zwischen den Gags und Slaps(ticks). Nun aber dieses schöne "Holz".
Das kann beim nächsten Mal schon alles wieder ganz anders aussehen, denn der Tatort denkt ja wie Uwe Neuhaus, also von Spiel zu Spiel. Weil aber der Zuschauer dauert Entwicklungsgeschichten schreiben will in seinem Leben, dieser Entwicklungsgeschichte, könnte man in diesem Sinne auch sagen, dass Die chinesische Prinzessin eine reformistische Folge ist. Sie wird zum Beispiel selbstrefentiell: Der sexuell eher so underachievende Thiel (Axel Prahl) versucht sich in Nadeshda (Friederike Kempter) zu vergucken in einer Weise, die einem sexuell eher so underachievenden Mann eben offen steht.
Dafür darf Nadeshda häufiger was sagen als sonst und auch mal privaten Kram, wobei man feststellt, dass Friederike Kempter sehr guckelig und freudvoll lachen kann – etwa über den Umstand, dass Thiel glaubt, er habe sie im Suff beschlafen. Wenn nicht alles so kuschelig wäre in Münster oder auch nur um so einen knuffigen Darsteller wie Prahl herum, wäre das Nadeshda-Lachen ein kaltes; streng darwinistisch gemessen reißt eine aparte junge Frau mit großen Augen auf dem Dating-Markt natürlich way more als ein in die Jahre gekommener kleinerer Mann mit dickerem Bauch. Anders gesagt: Nadeshda müsste doch an jedem Finger zehn haben, haltlose Gesellen vielleicht, zwielichtige Charaktere, but.
Weak ist der Mann
In Münster aber lacht sie nicht kalt oder nur für eine Weile, am Ende holt die Folge (Buch: Orkun Ertener, Regie: Lars Jessen) die Bewunderungsbehauptung von Vatter Thiel (Claus D. Clausnitzer) wieder ein wenig rein. Wenn das weitergeht, würde sich Münster schnell unmöglich machen. Es gilt doch die alte Arbeitsplatzklassiker: "Ist dir deine Ruhe lieb, do it niemals im Betrieb." Und melancholische Männer, die ihre Loneliness jammerlappig performen, kommen sowieso selten kool, es gibt sie außerdem schon an vielen Tatort-Schauplätzen.
Auch selbstreferentiell: Boerne (Jan Josef Liefers) soll das Mordes verdächtig sein, was man keine Sekunde glaubt, aber in 90 Minuten erstmal beweisen muss. Also dass es nicht so ist. Die retrograde Amnesie (die der Ivo schon mal eine Folge lang durchgezogen hatte wie die Bundesregierung das Abgasordnungsverzögern) hat über den Tod der Power-Bürgerrechtskünstlerin Songma (Huichi Chiu) eingesetzt, die sich so – weak ist der Mann – sexyhexy die Bluse von der Brust reißt, dass es selbst für Boerne schwierig wird, Sexualität vom Seziertisch fernzuhalten. Angesichts von soviel Schissigkeit kann man fast sentimental werden – der Draufgänger, er gehörte doch auch mal zum männlich inspirierten Figurenarsenal. Fast.
Reformistisch daran: Boerne muss viel von seiner Klugscheißerei draußen lassen. Dass er vor Songma in die Knie geht, wirkt fast wie eine Schrulle, denn die ganze Vernissagen-Anbahnungsszene ist gefilmt in jenem Distant-Doku-Style (Kamera: Jana Marsik), der da Raum und Stimmung zu behaupten versucht, wo das Budget sonst keinen Platz für lässt. Für Münster fast zu impressionistisch, dort regieren ja auch deshalb Bilder, die nur informieren, weil es um Sprüche und Pointen geht. Auch in der Vagheit wird Boerne weich.
AA in Münster
Auch so reformistisch: dass die Geschichte zwar im Titel so nostalgisch-putzig münstermäßig tut, die Tochter vom Kaiser von China quasi (und Thiel wundert sich ja auch die ganze Zeit, dass das alles in Münster passieren soll), dann den Fall aber fast krass systematisch auslegt: Triade, Geheimdienst, Bürgerrechtler. Dass ein Mensch vom AA in Münster rumsitzen könnte wie dieser Dr. Müller-Arnke (Thomas Meinhardt), ist doch, was stutzig macht, wenn auch immer noch humoristisch und nicht so ernsthaft böse (Die nehmen uns unseren Fall/Das ist für euch eine Nummer zu groß).
Das Spiel zwischen diesen sich wohl mitunter überlappenden Interessen könnte bisweilen schärfer konturiert sein und etwas origineller erzählt (dass die Superzeugin Xia Miao, gespielt von Yvonne Yung Hee, einmal befragt, alles aussagt und verrät, würde man nicht für eine dramaturgische Finesse halten). Am allerbemerkenswertesten fällt aber auf, dass die Krimilogik die Moral nicht schont, was im deutschen Film doch selten ist: Zu Songma nimmt die Folge eine durchaus ambivalente Position ein. Sie tritt vor der Ai-Weiwei-Silhouette of größtmögliche Affirmation in Erscheinung, wird aber auch als selbstgefällige Showdame charakterisiert von ihrem Assistentencouple, die sich das mit dem Arbeitsplatzklassiker nicht so zu Herzen genommen haben; sie ist schwanger.
Apropos Ai Weiwei. Der hat den tollsten Auftritt in einem Sprachspiel, dem Münster grundsätzlich nicht so fern steht: Neben "shin zu hören" sagt Thiel am Ende, als die Sogenannte am Dampfen ist eben auch mal "Ai Weiwei". Kann man auch machen: diesen " FBI, CDU, GEZ"-Rant-Rap.
Ganz anders als sonst nicht zuletzt: Nicht ein Witz über die Größe Frau Hallers (Christine Urspruch).
Ein Satz, der aus Kollegen Freunde macht: "Sie haben nichts gemacht"
Eine Berufsangabe, mit der man auf Stehempfängen nicht reüssieren kann: "Ich bin Kurator"
Etwas für den Grabstein: "Aber sie war Bürgerrechtlerin"
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