Köln geht immer, Köln ist die Mitte von allem. Man kann sich über Köln zwar immer auch aufregen, wenn einen elitöseste Verzweiflung befällt ob der Durchschnittlichkeit all unserer Bemühungen um ein wenig Afterglow on planet earth. Aber vor allem stabilisiert Köln doch: Nach schlimmen Wochen ist Köln der alte Freund, der einem sagt, dass es wieder aufwärts geht, dass da Licht am Ende des Tunnels und alles sowieso halb so wild.
Und nach Ausflügen auf die Zugspitze der Tatort-Landschaft ist Köln der kurze Schnappus, der den Sack zumacht, auf den Boden der sogenannten Realität zurückholt. Oder eben das Taschentuch, das die Träne der Wehmut trocknet, die seit dem Ende von Conny Mey in Frankfurt am Auge rumhängt. Wenn man Köln sieht, ahnt man, dass es den Tatort noch geben wird, wenn der Flatscreen "dereinst" (Thomas Mann) so angeschaut werden wird wie heuer das Grammophon.
In Trautes Heim beeindruckt everybody's Köln zur Abwechslung mal mit einer Geschichte, die spannend ist (Buch: Frank Koopmann, Roland Heep) – das kommt in der geschätzten Sonntagabendkrimireihe ja nicht so oft vor, dass man vom "häufig" sprechen könnte. Für eine auf Spannung setzende Krimidramaturgie ist dabei zu lernen, dass thrilling dann vorliegt, wenn der Zuschauer mehr weiß als die handelnden Figuren: Zwischen zwei Lügen wohnt der wahre Kitzel. Das Highlight von Hand-in-Sesselarmlehne-Krall oder Auf-die-Zunge-Beiß ist hier der Moment nach einer halben Stunde, als Roman Sasse (Barnaby Metschurat) von Phone 2 auf den Balkon bei Familie 1 gerufen wird, um zu erfahren, dass Ballauf (Klaus J. Behrendt), der Familie 1 kennt, bei Familie 2 steht und nach ihm fragen lässt – was tun?
Charles Lindbergh
So schnell fällt einem keine Lösung ein, Roman Sasse auch nicht, obwohl man vermuten wollte, dass jemand, der mit so viel Aufwand zwei Leben im biologisch-göttlich-kulturellen Rahmen von einem führt, für diesen Fall ein paar Ausreden parat haben sollte und nicht gleich mit der Kavallerie ausrücken müsste, die nur aus ihm besteht. Abschweif, abschweif: Was schön an dieser Szene ist und eben spannend, dass man mit Sasse fühlt, seine Moral annimmt und versucht, Wege aus dem Dilemma zu finden. Man versteht auch, warum – fast ein sorgenvoller Blick – Barnaby Metschurat so ausgezehrt ausschaut: "all die Hektik, all der Stress" (Clueso).
Das Tolle für die Atmo von Trautes Heim ist, dass mit der Entdeckung des an – wie da brav lexikalisch anmerkt wird – Charles Lindbergh orientierten Doppellife gleich noch unangenehme Gefühle aufgehen. Jedes Setting im Tatort bringt ja ihm eigene emotions mit in die Liaison zwischen Fernsehfilm und Zuschauer vor der Knipse: Im Falle von Mord und Totschlag im Haus von Reichens atmet der Kleingeist in uns etwa beruhigt durch, weil bei denen da auch die Kacke dampfen kann und die Dekors trotzdem schön sind.
Bei so einem dem ungesund ausschauenden Sasse dagegen, der dazu noch dauernd von der Organisation seiner Lügen geplagt ist und Frau 1 (in der Reihenfolge ihres Auftretens: Alma Leiberg) schon so krass abdreht in ihren Staubsaugerfilm, wird einem eher eng ums Herz: Die Luft ist dünn wie in einer Wohnung von Messies, man kann davon fasziniert sein, aber befassen will man sich damit lieber nicht näher. Solcher Eindruck trägt sicher bei zur Intensität von Trautes Heim.
Before Facebook
Und eigentlich hätte man vom Planungsaufwand Sasses gern noch mehr gesehen, von diesem abgefahrenen Heimlichkeitsmanagement, das nowadays, thank god, schon auf so krassspezialisierte Bürodienstleister trifft, die dem dislozierten Sasse gefaketen Halt in Form von Sekretariat und fancy Bahnhofsdurchsagen geben (die allerdings nicht so gut gemacht sind; da hätten wir als Agenturbetreiber mehr investiert).
Gleichzeitig wird man melancholisch, weil lazy Lindbergh mit einem weniger prekären Männerbild im Rücken bestimmt noch größere Freiheiten hatte bei der Ausgestaltung seiner gleich vier Familienleben. Beziehungsweise fragt man sich, ob diese Doppellife-Ding nicht – wie so vieles – zugleich auch bedroht ist von digitaler Revolution and so on: Klar kann man seine Urlaubsfotos unverdrossen ausdrucken und einkleben ins Album. Mit Facebook oder anderen Sozialnetzwerken fällt die Heimlichtuerei aber schon schwerer.
Die Spürhunde der Innerlogik unter uns kommen sicherlich ein ums andere Mal ins Grübeln: Wenn das vom entführten Sohn 1 gefundene Handy auf Sohn 2 zugelassen war und dieser Umstand mit "Vertauschen" im Geheimhaltungsstress erklärt wird, dann bleibt trotzdem die Frage, wie das praktisch funktionieren soll: SIM-Karten sind doch auch an Nummern gebunden. Anyway, würden wir sagen, Trautes Heim kriegt schon hin, was es hinkriegen will.
Auch wenn dafür, und das ist dann die Nachtseite von Durchschnittköln, der Grat an mancher Stelle dieses Films eben null abgeschliffen ist. So tricky die Geschichte, so stullig manche Inszenierung (Regie: Christoph Schnee): Die Kinder fallen beide nicht durch sonderlich überzeugendes Spiel auf. Das Telekolleg "Rocky Horror Picture Show", bei dem alle wichtigen Momente von Interaktion durchgegangen werden, wirkt so derbe auf Information ausgerichtet, dass man sich flugs umschaut, ob da nicht eine Schulstunde mit Viertklässern hinter einem Platz genommen hat, die Populärriten der Gegenwart in dialogischen Kurzreferaten diskutiert. Und die finale, äh, soll man wirklich sagen: Pointe auf Fränzis (Tessa Mittelstaedt) mäßig interessantem Männerhustle an der sogenannten Wurstbraterei, ist mit so viel Verve umgesetzt, dass man nicht sicher ist, ob das Budget tatsächlich für nur mehr eine Probeaufnahme gereicht hat zum Zeitpunkt des Drehens oder die Schauspieler sich in echt so wenig Mühe geben mit dem, was sie ihren Beruf nennen.
Musik (Günther Illi) blieb die ganze Zeit über etwas unklar.
Ein Programmpunkt, der jede To-Do-Liste schmückt: "Ich muss das Bett beziehen, ich muss das Bett beziehen"
Ein Satz, mit dem die Gegenseite künfitg jede Diskussion beenden sollte: "Nein, ich war doch blöd"
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