Das Erbe des Guttenberg

Tatort: Fernsehen Eva Mattes aka Kommissarin Blum macht auf Columbo, Kollege Perlmann hadert mit der Karriere und unter Reichenkindern tobt der Klassenkampf: Der SWR-Tatort "Herz aus Eis"

Die Adelsbegeisterung, die sich an der Nominierung des neuen Bundeswirtschaftsministers entzündet hat, kennt naturgemäß zwei Seiten. Der Adel ist nicht nur das gute Gewissen in dunkler deutscher Nacht (Widerstand), ein sicherer Rettungsschirm gegen die Wurfgeschosse und Niederschläge globalen Wirtschaftens (Familienbetrieb), Ausbund geschmackvollen Lebensstils, guter Manieren und exzellenter Bildung (Schloss).

Nein, der Adel ist naturgemäß auch die Depravation all dessen.

Anschauung für die Kehrseite des Wohlgeborenseins bietet die Tatort-Folge Herz aus Eis: Geschickt mixt die Geschichte (Drehbuch: Dorothee Schön) die Verderbtheit der adeligen Klasse mit dem, was man Schreckliches über die Schule hört. Es fallen Stichworte wie Wikipedia (gegen die sich das Wallenstein-Zitieren behaupten muss), es ist die Rede von Passwörtern, USB-Sticks und zuletzt auch Drogen, Handyfotos von Toten werden gemacht (ohne diese recht neue mediale Praxis in ihrer Ambivalenz allerdings zu würdigen).

Abgesehen davon, dass man die Hintergründe des Mordes (irgendeine diffuse Transaktion, die High-Society-Variante des „Abziehens“) nicht zur Gänze versteht: Der Mord ist durchaus gut durchdacht. Stefan Fürst-Bergedorff (Vater: Topbanker, Mutter: Schauspielerin, beide: geschieden) treibt ertrunken im Schwimmbad des Internats. Wie er dahingekommen ist, hat der Zuschauer miterleben können. Olga mischt ihm „Flunis“ in den Wodka, die dort die Form so genannter K.o.-Tropfen annehmen. Viktoria und Max, die eigentlichen Bösewichte, schleppen den derart Ausgeknockten in seinem Bettlaken zur Schwimmhalle und ertränken ihn, wie es mehrmals heißt, „wie eine Katze“. Auch dem Zuschauer, der bei den Technik der Katzentötung nicht versiert ist, erschließt sich die Raffinesse des Plans.

Der Literaturliebhaber erkennt in Herz aus Eis entfernte und nicht weiter originelle Nähen zu Laclos’ Gefährliche Liebschaften. Dem aufmerksamen Krimifreund wird die Nähe zur Strickart der Columbo-Serie nicht entgangen sein. Allerdings muss bemängelt werden, dass Kommissarin Klara Blum (Eva Mattes) viel cleverer ist als das Original: Sie löst in der Zeit, in der Columbo normalerweise einen trickreichen Fall enträtselt, gleich zwei. Viktoria und Max wollen nämlich auch Olga zum Schweigen bringen, die, nach dem sie schon nicht im Eis ertrunken ist, im Koma auf der Intensivstation liegt und dort Insulin verabreicht bekommt, das keine Spuren hinterlässt. Der Coup gelingt der Kommissarin jedoch nur, weil das drehbuchtechnische Problem, das die Cleverness der Mörder darstellt, nur durch eine irrationale Dummheit aufgelöst werden kann: Obwohl es gerade das Tolle am Insulinmord ist, dass man zur Tatzeit ganz woanders ist, hängen Viktoria und Max so lange in der Krankenhauskantine ab, bis die Kommissarin eintrifft. Und damit die es noch rechtzeitig mitbekommt, entledigt sich Max beim Geschirrwegbringen der Tatwaffen. Dämlicher kann man sich nicht anstellen.

Aufschlussreich ist der Tatort aber sowieso ob des Bildes, das er von der Gegenwart zeichnet. Die Finanzkrise ist unpassenderweise fern, denn Stefans Topbankervater scheint keine Sorgen zu haben und hat noch im letzten Sommer, als in Amerika die Dämme brachen, mit einer amerikanischen Investmentbank einen Superdeal gemacht.

In Sachen, sagen wir ruhig mal, Klassenstandpunkt bezieht der Tatort anwanzerhaft die Perspektive von Lieschen Müller: Kommissarin Blum war selbstredend nicht auf dem Edel-Internat und hat als Streifenpolizistin die „Cashmerebubies und -barbies“, die in ihren „Cabrios“ die Bodenseeer Szene unsicher machen, missbilligen gelernt. Kollege Perlmann (Sebastian Bezzel), um dessen Beförderung es in einer Nebenhandlung geht, die Zweifel an Bürokratie und Karrierismus zumindest erahnen lässt, scheint von den Uhren der Reichenkinder dagegen durchaus beeindruckt.

Aber, und das ist die erste Lehre von Herz aus Eis: Es ist nicht jeder reich, der eine Internatsuniform tragen darf. Der Drogendealer ist ein Unterschichtskind (Vorname: Kevin, Mutter: alleinerziehende Krankenschwester), das sich sein Stipendium durch gute Leistung erarbeiten muss und dem Lifestyledruck nur durch Zuverdienst eben im Drogengeschäft gewachsen ist. Gleiches gilt für die Waisin Viktoria, die den Mordplan ausgeheckt hat, um mit dem gehackten Geld ihr Studium in Harvard bezahlen zu können. Beim wirklichen Reichsein ist zu unterscheiden zwischen der neureichen Maßlosigkeit der Ich-scheiß-Dich-zu-mit-meinem-Geld-Fraktion (Olgas Eltern, russischer Milliardär, offenbar auch krisenfest, spendiert Turnhalle) und den knausrigen Protestantismus des alteuropäischen Kurzhaltens (Max, deshalb anfällig für Viktorias Machenschaften).

So gelingt diesem Tatort eine Volte, die man erstmal hinkriegen muss: Reiche sind nicht sympathisch, aber kriminell werden immer nur die Armen, die dazugehören wollen. Das erinnert den avancierten Krimifreund an die Mentalitätslage, wie sie im Kommissar herrscht, der später am Abend in einem Lehrstück zum Heroinmissbrauch ermittelt (22.50 Uhr, 3sat).

Bemerkenswert sind im Übrigen die Überschneidungen von Milieu und Besetzung (Nora von Waldstätten, Constantin von Jascheroff).

ENTSCHEIDUNGSFRAGEN, DIE IMMER LÄSSIG KLINGEN: "Ist sonst noch was? Ich hab' jetzt Philosophie" (Max zur Kommissarin)

DAS IST AUS THOMAS MANN GEWORDEN: „Wo meine Ex-Frau ist, ist immer die Presse“ (Der Topbankervater über seine Schauspielerinexfrau zur Kommissarin)

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Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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