Das haben Sie wirklich toll gemacht

Tatort Öfter einfach mal "danke" sagen: Die Jubiläumsfolge "Borowski und der Engel" in Kiel hält eine dicke Geschichte mit schlichten Tipps zur Kriminalitätsprävention bereit

Komplimente sind die Kreide, die der Wolf frisst. Ein schiefes Bild. In jedem Fall ist die Komplimentologie, die das Presseheft zum Zehnjährigen von Boro auffährt, derart attraktiv, dass man umgehend in einem poshen Exzellenzcluster um eine Promotionsstelle bitten wollte, damit Grundlagenforschung geleistet werden könnte unter dem vielversprechenden Titel: Ästhetik des Kompliments. Strategien einer freundlichen rhetorischen Handlung.

17 "Glückwünsche" sind versammelt, wozu noch mal zwei Geleitworte kommen, also quasi privilegierte Glückwünsche – das erste stammt vom gut aussehenden NDR-Fernsehdirektor Frank Beckmann (den mancher vielleicht noch in Erinnerung hat als sympathischen Programmgeschäftsführer des Kinderkanals, der keine Kenntnis hatte von den Betrügereien fehlgeleiteter Subalterner), das zweite von der für Kiel zuständigen NDR-Redakteurin Sabine Holtgreve.

Unter den 17 Grüßen finden sich nun solche von Kolleginnen, wobei selbst denen, die es wohl gut meinen (Sibel Kekilli, Maren Eggert), die Grammatik entgleist ("Mit Deiner skandinavisch zurückhaltenden Art, Deinem englischen Humor und Deiner grummeligen herzlichen Art ist Borowski uns allen ans Herz gewachsen"), weil sie nicht so recht wissen, wen sie adressieren sollen mit ihren guten Wünschen: den Schauspieler Milberg oder die Figur Borowski? Maria Furtwängler wanzt sich geschickt an, indem sie so viele Gemeinsamkeiten mit Milberg aufzählt, dass man als Leserin stantepede bereit ist, das Brot des Respekts, das man sich für Boro gebacken hat im Laufe der Zeit, auch mit ihr zu teilen.

Glanz auf Axens Antlitz

Interessant sind die Glückwünsche der Nicht-Schauspieler, -Regisseure, -Drehbuchautoren: Sie stammen von Politikern (Ministerpräsident Albig, Ex-Ministerpräsident Carstensen – vermutlich fehlt die Kieler Oberbürgermeisterin nur, weil der Posten nach dem Rücktritt von Susanne Gaschke vakant ist und die Amtsgeschäfte von einem Menschen mit dem beeindruckenden Namen Peter Todeskino geführt werden) und anderen Stützen der Gesellschaft (Chefredakteuren, Theaterregisseuren, Lokalstars), so dass man sehen kann, welche Staatsaffaire der Tatort ist.

Das Allertollste aber ist, dass beim NDR neben Beckmann und Holtgreve noch drei weitere Würdenträger ihre Glückwünsche loswerden müssen (zählt man Gerhard Delling als eine Art Sender-Darling dazu, sogar vier): Intendant Lutz Marmor, Abteilungsleiter Christian Ganderath, Landesfunkhausdirektor Volker Thormählen. Wer das Neue Deutschland schon vor 1989 gelesen hat, wird sich an die späte DDR erinnert fühlen, wo Gold-Kati Witt nach ihren Olympiasiegen immer vor einer ganzen Bunch of Wichtigkeit antanzen musste, auf dass der Glanz der Goldmedaille auch das Antlitz von, sagen wir, Hermann Axen illuminierte.

Ist Axel Milberg die Katarina Witt unserer Tage? Zumindest verschwindet er hinter dem Spiegel eines Erfolgs, in dem sich fünf NDR-Hierarchen unbedingt selbst betrachten müssen (als könnte es nicht einfach deren Arbeit sein). Wobei man sich eben fragt, wer da eigentlich wem zu was gratuliert, was also Verantwortung in diesem Kontext meint: Die Entscheider sagen dem, den sie mit ihren Entscheidungen beauftragt haben, dass er seine Sache gut macht? Bescheidenheit war eine Zier.

Horst aus der Sesamstraße

Um nun endlich die Partie anzupfeifen: Es gibt durchaus eine Verbindung zwischen diesen Paratexten und der Jubiläumsfolge. Borowski und der Engel (für unseren Geschmack metrisch etwas humpelig) handelt davon, was passiert, wenn Dankbarkeit ausbleibt und stattdessen Rachsucht glaubt, Anerkennung reinholen zu müssen (muss man sich Drehbuchautor Sascha Arango als Schelm vorstellen?). Die borderlinende Krankenpflegerin Sabrina Dobisch (ein Gesicht, in dem vieles möglich ist: Lavinia Wilson) probiert vor den Schwarzweißfilmen ihrer Sehnsüchte die Posen der großen Leinwandladies durch (von Katharine bis Audrey Hepburn), um sich, derart gewappnet mit schauspielerischem Talent, durch dramatisch ausgedachte Geschichten in fremde Leben einzulügen. In diesem Fall in den freudlosen Reichtum des Bankhauses van Meeren, dem Horst aus der Sesamstraße (Horst Janson) und seine – trotz des Altersunterschieds – von den Eskapaden des Gatten oder auch nur den anstrengenden bürgerlichen Manners verhärmte Frau (Victoria Trauttmansdorff) vorstehen.

Arango zeigt sich einmal mehr, wie der Sportreporter sagen würde, als einzig wahrer Enkel des großen Herbert Lichtenfeld, der sich vor der Schwarzwaldklinik einen Namen machte mit den Büchern zu den früher Kieler Tatort-Folgen unter Kommissar Finke. Spannung ist nicht nur dieses pflichtschuldige Verdächtigenportfoliovorgezeige, in dem sich die Tatort-Routine erschöpft, Spannung ist auch Zuschauers Wissensvorsprung um die Lüge, die enttarnt werden muss – hier eindrucksvollerweise durch eine oder besser zwei andere Lügen. Borowski und der Engel lässt einen in vielen Momenten über Grundsätzliches nachdenken, insofern ist der lange Anlauf mit Boros Eingangsvorlesung und dem Sinnen über Gut und Böse gerechtfertigt. Erzählerisch ist die Folge eindeutig ein, um eine Analogie aus dem Sportbetrieb dieser Tage zu wählen, Harrachov.

Der Reichtum der Geschichte zeigt sich noch gegen Ende, als kurz vor der Enttarnung Sabrinas in der Parklandschaft der van Meerens der Fall noch so viele Optionen hat wie das Bayern München Pep Guardiolas vor dem gegnerischen Tor. Andreas Kleinert wiederum inszeniert weitaus überschwänglicher als der stille Stephan Wagner es in der canonicanonischen Folge tat oder der präzise Christian Alvart in Borowski und der stille Gast. Das produziert zwar gerade am Beginn Momente der Desorientierung (dass man etwa braucht, um die Doris-Ackermann-Figur von Leslie Malton zu verstehen), verschafft Solitude-Sabrina aber große Szenen im petticoatesken Kleid auf sonnenstrahlender Straße. Der Unfall ist mit Entschiedenheit ausgeführt.

Gäbe es eine Winterpause, wäre Borowski und der Engel ein rundherum versöhnlicher Kalenderjahresabschluss und startete mühelos von einem der Spitzenplätze in die Rückrunde.

Eine Satz, den man selbst einmal sagen möchte: "Das ist unser Hausdressing."

Ein Hinweis, der die Beliebtheit bei Vorgesetzten steigert: "Sie haben ja nicht sehr viel Feingefühl."

Said the Actress to the Bishop: "Ich war mal bei der Spurensicherung."

Der digitale Freitag

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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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