Das Buch der Stunde spielt vor dreizehn Jahren. 1993, das war ein Jahr bevor Arafat, Rabin und Perez den Friedensnobelpreis bekamen, und fast ein Jahrzehnt bevor man dazu überging, Terrorattentate nach ihren Daten zu benennen. 1993, so informiert eine als "Anlage" eingefügte "interne Auflistung", hat es bis zum November 35 terroristische Anschläge allein in Ägypten gegeben. Gewalttätige Auseinandersetzungen, gezielte Morde, vor allem Sprengstoffexplosionen. Hätten Sie´s gewusst? Die schlichte Chronologie unbekannter Attentate erinnert an Luis Buñuels Film Dieses obskure Objekt der Begierde von 1977, der immer wieder von Erschütterungen unterbrochen wird, die mit der Handlung scheinbar nichts zu tun haben: ein Auto fliegt in die Luft, ein Elektrizitätswerk, ein Hotel.
Der Terror verbleibt unkonkret im Zwischenschnitt; nichts anderes sagt die "interne Auflistung". Sie stammt aus dem jüngsten Roman von Christoph Peters. In Ein Haus im Zimmer des Krieges wagt sich der 1966 in Kalkar geborene Autor an die Auseinandersetzung heran, deren Existenz aus hiesiger Sicht zuletzt Papst-Rede und die Idomeneo-Absetzung triftig bestätigt haben. Die Auseinandersetzung, sagen die einen, wird geführt zwischen dem "Haus des Islam" und dem "Haus des Krieges", um es mit der Auffassung der traditionellen islamischer Rechtslehre zu sagen, die seit gut einem Jahrtausend die Welt unterscheidet in den Teil, in dem der Islam herrscht und in den Teil, in dem er nicht herrscht. Kampf der Kulturen, sagen andere. Dass Peters vor dem seit 2001 prominenten und in diesen Tagen so drängend erscheinendem Konflikt in die Vergangenheit flieht, mag oberflächlich wie nachgeholte Besserwisserei aussehen. Tatsächlich aber erscheint der Kunstgriff vor dem Hintergrund der erregt um Positionsbestimmung ringenden, aktuellen Debatte als Chance, sich den Luxus von Reflektion leisten zu wollen.
Peters´ Zimmer im Haus des Krieges, so lässt sich zumindest mutmaßen, meint die Gefängniszelle im zweiten Teil des Buches - "schmucklos bis auf die ägyptische Flagge an der Stirnwand und das unvermeidliche Portrait des Präsidenten, diesmal in Uniform" -, in der sich der deutsche Vertreter Claus Cismar ("Ich bin Ihr Botschafter") und der deutsche Terrorist Jochen "Abdallah" Sawatzky ("Meiner?") begegnen. Erzähltechnisch treffen dort distanziert Er und Er aufeinander, von der Gesinnung her ein früh gealterter, aber nicht ignoranter Achtundsechziger und ein ungemein ernsthafter, zum Islam konvertierter Ex-Junkie.
Im ersten Teil hatte Peters den Leser ohne Warnung in die Welt des Ich-Erzählers Jochen geworfen, unter die Bewohner des Hauses des Islam, allesamt Araber, deren verbliebene Zweifel an seiner Aufrichtigkeit Sawatzky mit Entschlossenheit kontert: "Ich heiße Abdallah!" Gleichwohl hier scheuklappig eine eingeschränkte Weltwahrnehmung präsentiert wird, bleibt der stream of consciousness bei Peters kühl und klar. "Ich frage mich, auf wessen Seite Mohammed steht. Sie achten einander. Freunde sind sie nicht geworden. Wenn er über El Choli redet, mischt sich Abscheu mit Bewunderung." So ergeht es dem Abdallah-Ich in Bezug auf die Gruppe. In die Beschwörung von Heimat und gemeinsamer Sache mischt sich die Einsamkeit des zum Sterben Entschlossenen. "Ich will, daß es endlich anfängt, damit es bald vorbei sein kann." Neun Männer planen irgendein Attentat in Ägypten, das vereitelt wird, weil einer weich geworden ist; ob wegen des Geldes oder des Schmerzes bleibt genauso offen wie: wer. Der Glaube an das Paradies macht wie die Gewissheit, das Richtige zu tun, stumpf gegenüber den Opfern. "Ich weiß nicht, was ich empfinden werde, wenn der fette Amerikaner mit Schirmmütze, seine schweinsgesichtige Frau, die ich tausendfach zur Hölle gewünscht habe, vor mir im Sand liegen, - ihr fünfjähriger Sohn, die kleine Tochter."
Ein Zimmer im Haus des Krieges kreist um diese neuralgische Frage, die seit je ein hoher Trumpf auf der Hand des christlichen Humanismus ist: Was ist ein Menschenleben wert? "Jeder Tote ist ein Toter zu viel", meint Cismar im Brustton des Idealismus und das beste Beispiel ist Sawatzky, den er für verblendet hält und doch vor Folter bewahren und vom sicheren Tod erretten will. Dass nicht jeder Tote jedem Toten gleich sei, die Opfer wirtschaftlicher Interessen ungezählt blieben, behauptet Sawatzky und ist selbst wieder das beste Beispiel: ein Terrorist, der aufgrund seiner Herkunft privilegiert werden soll vor dem Urteil, das seinen Kampfgenossen droht.
Die Frage streift den Streit über das Gewaltmonopol und damit die Erinnerung an ´68, Cismars Erinnerung, ein Déjà-Vu, das sich als Irrglaube entpuppt, seitdem habe sich etwas zum Besseren gewendet auf der Welt. Klug verzahnt Peters zwei zeitlich verschiedene und doch nicht unähnliche Lebensentwürfe. Er gestaltet seinen Botschafter in der Midlife-Crisis offen genug, dass er den ethischen Rigorismus früherer Jahre nicht vergessen hat, und den Terroristen, das ist vielleicht nicht sonderlich konsequent, inkonsequent genug, dass er an dem Leben, von dem er sich schon verabschiedet hat, doch noch etwas finden will. Die Konkurrenz zwischen Sawatzky und Cismar ist die Konkurrenz um das gelingende Leben. Sie spielt sich zwischen der Notwendigkeit und der Möglichkeit zu Kompromissen gegenüber den eigenen Ansichten ab. Ein Scheitern bestünde dann in der Unehrlichkeit gegen sich selbst und andere.
Ein Zimmer im Haus des Krieges ist ein anregendes und zugleich spannendes Buch, das in seiner überschaubaren wie tiefsinnigen Konzeption fast ein wenig zu perfekt erscheint. Lange Zeit gelingt es Peters, den fruchtbaren Graben zwischen dem Staatsverächter und dem Staatsdiener nicht zuzuschütten mit dem Erklärungsmüll des Gewöhnlichen. Das Ende, bei dem die Liebe, die im Terrorismus keine Rolle spielt, ins Spiel kommt, muss deshalb etwas unbefriedigend, beinahe kitschig wirken. Das ist der einzige Vorwurf, den man Christoph Peters machen kann.
Diesen allerdings schon relativ früh. Denn ein Mensch, der wie Sawatzky auf der Suche nach Eingebung durch den Koran zu der erstaunlichen Beobachtung in der Lage ist, dass man ein Buch nie zufällig aufschlagen kann, weil das Aufschlagen von vorderen oder hinteren, oberen oder unteren Textteilen immer im Ruch des Absichtsvollen stünde, solch ein Mensch weiß um die Bedingtheit allen Denkens. Zum Fanatiker wäre der nicht fähig.
Christoph Peters: Ein Zimmer im Haus des Krieges. Btb, München 2006., 320 S., 19,95 EUR
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