Zu den positiven Effekten der Globalisierung kann gerechnet werden, dass in einer kurdischen Höhle zu Beginn eines Hahnenkampfes ausgerechnet der christliche Existenzphilosoph Sören Kierkegaard zitiert wird. "Solang wir sind, ist der Tod nicht", ruft der Master of Ceremony, der sich später Kako nennen wird, durch sein Megaphon der ungeduldigen Menge zu, "sobald er da ist, sind wir nicht mehr. Nicht Sieg noch Niederlage zählen mehr als der Tod."
Der Ausspruch ist nicht allein ein bedenkenswerter Ansatz, um den eigenartigen Existenzialismus des Hahnenkampfes zu fassen, bei dem der Tod in seiner zufälligen Allgegenwärtigkeit hinter allem steht: Die Niederlage wird mit dem Leben des Tieres bezahlt, und der Sieg verlängert das Leben nur bis zum nächsten Kampf. Kierkegaards Satz dient Bahman Ghobadis neuem Film als Motto. Half Moon zeigt eine kurdische Gesellschaft zwischen Sieg und Niederlage: Von Ferne tönt die Nachricht von Saddam Husseins Sturz, aber das Ende des verhassten Unterdrückers bedeutet nicht zwangsläufig den Gewinn der Freiheit. So bleibt im Film der Tod die einzige Gewissheit, der letzte Ausgang aus einer Geschichte zwischen Repression und Hoffnung.
Anders als in dem mehrfach ausgezeichneten Vorgängerfilm Schildkröten können fliegen (2004) stehen diesmal nicht Kinder, sondern Alte im Mittelpunkt. Ein Konzert in Irakisch-Kurdistan wird zum Antrieb für eine letzte Reise des Sängers Mamo (Ismail Ghaffari). Kako, der Hahnenkampfveranstalter, lässt ab vom Hahnenkampf, entleiht sich den Bus eines Bekannten mit der Aussicht auf den Ruhm, den das Konzert dem Bus und seinem Besitzer zu bringen verspricht: "500.000 Zuschauer, BBC, CNN." Bald sitzt die muntere Gesellschaft beisammen, Mamo und sein gutes Dutzend Söhne, von denen unklar bleibt, ob sie tatsächlich blutsverwandt sind oder ob Sohn nicht ein recht dehnbarer Begriff für Bandmitglied ist in einer Gegend, in der jeder irgendein Instrument beherrscht: eine Art Buena Kurdish Social Club. Im Gegensatz zu Wim Wenders´ exotischer Kuba-Dokumentation ist Mamo und seinen Gefährten Weg in die Befreiung durch die Musik aber verwehrt. In dieser Analogie wird der Schmerz sichtbar, den die Gegenwart für 40 Millionen Kurden an den Rändern von Türkei, Irak und Iran verheißt. Wo die von Wenders portraitierten kubanischen Musiker am Ende ihres Lebens auch über den Film hinaus den Ruhm und die Aufmerksamkeit ernteten, von der sie ein Leben lang träumen konnten, scheitert die fiktive Reisegruppe noch immer an der Grenzbürokratie einer niederschmetternden Jetztzeit. Eine Sängerin, ohne die Mamos Konzert nicht stattfinden kann und die er in einem sagenhaften Dorf der 1334 verbannten Sängerinnen in Hesho (Hedye Tehrani) findet, ist eine Frau, und eine Frau darf nicht in den Irak einreisen. Die Fahrt in die neue Zeit, zu dem Konzert jenseits der Berge, erweist sich nicht als erhoffte Erfüllung eines langen Lebens, sondern wiederholt nur die Repressalien der Geschichte: Wer keinen Militärausweis vorzeigen kann, weil er zur Schahzeit aus Iran geflohen ist, darf auch heute nicht einreisen.
Bahman Ghobadi, derzeit der vielleicht profilierteste kurdische Filmemacher, federt die deprimierende Ausweglosigkeit seiner Reisegesellschaft durch Humor ab. Mühelos mischt Half Moon Witz mit frustrierendem Realismus, so wie er die traditionelle kurdische Musik und den aktuellen Stand westlicher Technik zusammenbringt. Der Bus, der "Kurdistan Eagle", mag Holzbänke haben und in den steilen Bergen klappern, aber drinnen sitzt ein Sohn, der auf Geheiß Mamos per Laptop eine Mail an zwei weitere Söhne in Deutschland schreibt. Man kann solche Hybridisierungen als gleichmachende Resultate eines global geförderten Weltkinos skeptisch beäugen, bei dem im Falle von Half Moon sich zu den iranischen Produzenten solche aus Österreich und Frankreich gesellten. Die Könnerschaft von Ghobadi lässt sich dadurch aber nicht in Frage stellen. Absichtsvoll wechselt die Bildgestaltung (Kamera: Nigel Buck) zwischen der Weite des kargen Landes und der Enge von Bus, Haus und Höhle. Das Grau der Männergruppe findet seinen Kontrast im Bunt der Frauenkleider, dessen Lebendigkeit in der Tristesse mythischen Charakter gewinnt: Frauen als reale, als handelnde Personen kommen in einem Road Movie wie Half Moon nicht vor, weil sie zur Bewegungslosigkeit verdammt sind wie in dem apokalyptisch anmutenden Dorf der Verbannten. So wirkt auch die zweite Sängerin (Golshifteh Farahani) nach Heshos Verhaftung, deren Name Niwemang den Titel des Films bedeutet, weniger als Hoffnung dafür, dass das Konzert der mittlerweile arg dezimierten Gruppe noch stattfinden kann, sondern vielmehr als Engel am Ende einer Geschichte, die von Beginn an mit den Todesvisionen Mamos durchsetzt war.
Half Moon ist nicht zuletzt ein sehenswerter Film ob seiner Schauspieler, die zumeist Laien sind. Aus dem Ensemble heraus ragt schon kraft seiner beeindruckend tannenartigen Physiognomie, seines voluminösen Schnauzbartes und eines Lockenkopfes, den er wie eine Mütze trägt, Allah Morad Rashtinai. Er spielt Kako, den Hahnenkampfveranstalter und Busfahrer, als Trickster, der die Reise und den Film, den er darüber zu drehen glaubt, aus Liebe zur Musik und dem Sinn fürs Geschäft antritt. Der aber immer scheitern muss, selbst wenn er richtig handeln will, weil er ein gutmütiger Tölpel ist, der mit großer Geste Kierkegaard zitiert.
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