Der Gag ist weg

Kino „Goodbye, Lenin“ bescherte Wolfgang Becker einen Riesenerfolg. Nun hat er Daniel Kehlmanns Buch „Ich und Kaminski“ ausgestattet
Ausgabe 38/2015

Der deutsche Film feiert selten Erfolge. In den letzten Jahren hat sich als einzig kalkulierbares Modell eines hiesigen Blockbusters die sogenannte Komödie erwiesen, die Genderfragen und Sexualität um einen der wenigen Starkkörper (Schweiger, Schweighöfer, M’Barek) herum verhandelt. Das verkauft dann zwischen zwei und sieben Millionen Kinokarten; siebenstellige Besucherzahlen können sonst noch Kinderfilme aufweisen.

Oder Zeitgeschichtsbearbeitungen, die promigeil historische Großkopferte wieder auflaufen lasssen wie Der Untergang (die Anklagebank des Nürnberger Prozesses plus Hitler) oder Der Baader Meinhof Komplex (alle „Terroristen“-Fahndungsplakat-Gesichter) und mal erzählerisch-origineller das gesellschaftliche DDR-Erbe ausmalen wie Sonnenallee (lässiger Style) und Das Leben der Anderen (bürgerliche Wiederaneignung).

Wolfgang Beckers versöhnliche Satire Good bye, Lenin (2003) sticht aus diesem Segment am weitesten heraus: 6,5 Millionen wollten seinerzeit einen Film sehen, der der DDR (also: ihren Bewohnern) fast 15 Jahre nach ihrer Übernahme durch die Bundesrepublik ein Ende in Würde erfand. Was aber macht man nach so einem Erfolg? Eine Literaturverfilmung. Merkwürdigerweise.

Originalität delegieren

Denn zum einen garantiert die Adaption von häufiger verkauften Büchern des überschaubar-behaglichen deutschen Literaturbetriebs keineswegs eine gewisse Zahl an Zuschauerinnen (also: Leser, die ins Kino gehen). Daniel Kehlmanns Die Vermessung der Welt, tatsächlich ein Bestseller, zog in der aufgemotzten 3-D-Version von Detlev Buck gerade 600.000 Leute ins Kino, lediglich ein Viertel der Buchverkäufe.

Zum anderen garantiert ein Buch nicht automatisch eine packende Geschichte, die dem nach einem Stoff suchenden Filmemacher bei der Arbeit an einem stimmigen Plot entgegenkommt. Das Beispiel liefert wiederum Daniel Kehlmann; dessen Vor-Vermessung-Roman Ich und Kaminski ist ein dünnes Buch und doch noch zu lang. Becker hat für seinen ersten Langfilm nach Good bye, Lenin dennoch Kehlmanns Buch als Vorlage gewählt, was das Interesse am neuen Werk – unabhängig davon, wie man Beckers Filme (Schmetterlinge, Kinderspiele, Das Leben ist eine Baustelle) findet – gehörig dämpft: Auf eine eigene Erfindung, die sich zu diesem Werk verhalten könnte, wird verzichtet, Originalität delegiert.

Solcherart Literaturverfilmung bedeutet nämlich in der Regel, brav den Inhalt des Buchs durchzubebildern. Und das stellt sich im Falle von Ich und Kaminski als komplett spannungslose Angelegenheit dar: Seine Pointe plaudert das Buch schon im Titel aus. Kaminski ist ein berühmter, aber vergessener Maler, auf dessen Kosten sich ein unsympathischer Journalist profilieren möchte, deswegen drängelt sich das unbedeutende Journalisten-Ich vor seinen bedeutenden Gegenstand.

Der Journalist will seinem prominenten Gegenüber ein problematisches Geheimnis entlocken (Ist er gar nicht blind? Was geschah mit der frühen Liebe?), wird vom Buch aber selbst problematisiert als Blender, dessen Privatleben in Scherben liegt.

Sitzen machen

Das ist der trostlose moralische Haushalt des Textes, über den leider keine treffenden Beschreibungen von Medienbranche oder Kunstbetrieb hinwegtäuschen. Dabei wären das zynische Journalistengewerbe wie das exaltierte Kunstbiz formbarer Teig; Kehlmann begnügt sich aber mit den gröbsten Förmchen, um so was wie Eitelkeit oder Geltungssucht rauszustechen. Was immerhin zur biederen Sprache passt, die scheinbar witzige Dialoge generiert: Kaminiski wird vom Journalisten-Ich stolz auf einer Vernissage präsentiert. Sagt einer: „Der lebt doch nicht mehr.“ Darauf der alte Mann, der schon – Running Gag – die ganze Zeit nach einer Sitzmöglichkeit sucht: „Wenn ich mich nicht bald setzen kann, stimmt das.“

Die Geschichte von Ich und Kaminski ist also eine dröge und konfliktfreie Angelegenheit, die das Buch des Films noch ein wenig versöhnlicher auslegt als Kehlmann. Ansonsten setzt der Film aufs Geldvorzeigen, also auf seine zehn Millionen Euro Budget, die als Belohnung für den Erfolg, der Good bye, Lenin war, ausgegeben werden dürfen. Als Investition in einen ähnlichen Erfolg (wie bei Fack ju Göhte 2) kann das Geld unmöglich gedacht sein. So sieht alles erlesen aus, die Landschaften, die Wohnung von der Ex-Gattin des Journalisten-Ichs wie das Bergdorf, in dem Kaminski lebt. Zu loben sind das Szenenbild von Christian Goldbeck (dieses herrliche, auf abgenutzte und wohlgeordnete Überfülle getrimmte Atelier von Kaminski) und die Location-Scouts (Anna Maria Fanzun, Nick Hertwig). Der Titel variiert historisches Bildmaterial, um Kaminskis Prominenz zu behaupten, die Abspannsequenz variiert europäische Kunstgeschichte.

Besetzt ist ein Ensemble, das dem Europäischen Filmpreis Tränen olympischer Rührung in die Augen treiben müsste: Jesper Christensen (Dänemark) als Kaminski, Geraldine Chaplin (Schweiz/USA) als Jugendliebe, Amira Casar (England/Frankreich) als Kaminski-Tochter, Denis Lavant (Frankreich), Jan Decleir (Belgien) und Karl Markovics (Österreich) mit Auftritten. Als Journalisten-Ich stellt Daniel Brühl (Deutschland), der mittlerweile eine Art Außenbeauftragter des deutschen Kinos geworden ist, eine Verbindung zu Good bye, Lenin her, in dem er die Hauptrolle gespielt hat.

Wie Daniel Kehlmanns fade Journalisten-Künstler-Eitelkeitsposse Wolfgang Becker überhaupt dazu animiert hat, ein paar Posen seines Künstlertums auszuprobieren. Er zitiert mit Brühl aus dem eigenen Werk (der Werbevogel, in dem in Das Leben ist eine Baustelle Jürgen Vogel einen Aushilfsjob erfüllte, steht etwa an einem Schnellrestaurant rum) und verewigt sich in einem der letzten Bilder schließlich selbst: in Öl. Was man so macht nach dem Erfolg.

Info

Ich und Kaminski Wolfgang Becker Belgien/Deutschland/Frankreich 2015, 123 Minuten

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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