Der gestoppte Zenit

Medientagebuch Fußball und andere Nebensächlichkeiten: Die Magazine "11 Freunde" und "Rund" zum Saisonbeginn

Eine beliebte Wendung nennt den Fußball die schönste Nebensache der Welt. Selbst bei einer Nebensache ist aber noch einmal in Haupt- und Nebensächliches zu unterscheiden. Das Hauptsächliche bei der Nebensache Fußball sind die Tore, Ergebnisse und Tabellen. Organ dieser Primärwahrnehmung ist in Deutschland der Kicker, was sich besonders deutlich zum Start jeder Bundesliga-Saison zeigt. Dann liegt das voluminöse Sonderheft am Kiosk, das unter dem Slogan Alles über die 1. und 2. Bundesliga. Alles über die Regionalliga mit Mannschaftsfotos, Geburtsdaten, Ab- und Zugängen ein präzises statistisches Bild des deutschen Fußballs zeichnet, wie er sich am Nullpunkt des Redaktionsschlusses dargestellt hat.

Das Interesse an der Nebensache umfasst aber auch das Nebensächliche. Als Beleg kann ein Leserbrief aus der aktuellen Ausgabe von Rund - Das Fußballmagazin herhalten, in dem es heißt: "Ich bin seit der ersten Ausgabe ein treuer Begleiter Ihres Magazins und freue mich, dass es Ihnen gelungen ist, endlich eine Zeitschrift zu schaffen, die nicht nur das schnöde Einerlei von Fußballtabellen und ›Expertenmeinungen‹ aufweist." Die Idee, das Nebensächliche am Fußball zum Hauptgegenstand zu machen, hat Rund, das wenn auch mit unabhängiger Redaktion im gleichen Verlag wie der Kicker erscheint, allerdings nur geliehen. Von 11 Freunde, einem kleinen Magazin für Fußball-Kultur, das im Laufe seiner nun 57 Nummern eine nicht unbeeindruckende Wertschätzung bei tradierten wie avancierten Mediennutzern erfahren hat. Zur Weltmeisterschaft kooperierte das Monatsheft mit dem Berliner Tagesspiegel und betrieb zugleich einen öffentlichen, stark frequentierten Schauort im Herzen der hauptstädtischen Szene-Geographie.

Liest man 11 Freunde1 und Rund mit Blick auf den erfolgten Start der Bundesliga-Saison, so beschränkt sich der Informationsgehalt auf das Nebensächliche. Dazu zählt mehr als einen Monat nach ihrem Ende zweifellos die Fußball-Weltmeisterschaft. Rund entledigt sich des Dilemmas, ein bedeutendes Thema abzuhandeln, dem man mit monatlicher Erscheinungsweise unmöglich gerecht werden kann, durch eine Bilderstrecke und einige Spielereien, zu denen eine visuell überzeugend umgesetzte Statistik der Hamburger Wasserwerke über getätigtes Klospülen während des Deutschland-Polen-Spiels gehört. 11 Freunde verspricht dagegen auf dem Titel 36 Seiten WM-Tagebuch, das sich aus den Weblogs nährt, die die Redaktion während des Turniers auf ihrer Homepage betrieb. Wenn die Zeitung von gestern schon langweilt, dann ist nichts öder als abgedrucktes Internet von vor sechs Wochen.

Immerhin, gut ein Drittel der Ausgabe ist damit gefüllt. Den Rest erledigen unter anderem zahlreiche Bilder, die den Erfolg von 11 Freunde mitbegründet haben. Wobei die Frage gestellt werden kann, ob leere, verfallene Stadien oder Bolzplatz-Aufnahmen aus der Totalen in Serie nicht von dem Reiz verlieren, der sie einst gegenüber tagesaktuellen Spielbildern privilegiert hatte. Bei kontinuierlichem Lesen entpuppt sich 11 Freunde als ein etwas statisches Unterfangen - geboren aus dem Geist des regressiven Nutella-Schleckens, dem wir einige der so genannten Generationsbücher verdanken. Hier wie dort geht es um die Festschreibung eines unbestimmten Gefühls, das hier (11 Freunde) frühkindliche Stadionbesuche und irrationale Begeisterung für Mannschaftsnamen und Spielerfrisuren meint. Im Generationenbuch lässt sich das ein- für allemal abhaken, im monatlichen Magazinbetrieb bleibt dagegen nicht aus, dass das schwindet, was einmal Originalität war. Nichts anderes beweist die Kolumne von Hardy Grüne, die sich skurrilen Vereinsnamen widmet. Die Behauptung, dass der "Kultname" Dnepr Dnepropetrowsk "hierzulande regelmäßig für stirnrunzelnde Anerkennung schlichter Fußballanhänger sorgt", ist gewagt in einem Magazin, dessen Leser eint, sich für genau den repetitiven Klang von Dnepr Dnepropetrowsk begeistern zu können. Zudem hapert es sprachlich ("Erst dort stoppte der FC Aberdeen den unvergessenen Zenit der Vereinshistorie").

Der an Nebensächlichkeiten nicht uninteressierte Fußballfan ist mit Rund, obwohl Epigone, besser bedient. Dort halten sich Pille-Palle (wie eine unlustige Fußballer-Puppen-Foto-Story) und Informatives die Waage. Ein Schwerpunkt versucht die internationale Unattraktivität der Bundesliga zu ergründen, während ein Hintergrundbericht über die Persönlichkeitsrechte von Spielern und das fiskalische Unwesen, das damit getrieben wird, sich kritisch mit dem Profifußball befasst. Mit Alemannia Aachen und Carl-Zeiss Jena werden zwei Aufsteiger vorgestellt, die ob ihres Traditionsreichtums wie prädestiniert sind für den Leser, der die Stehtribüne höher schätzt als die moderne Arena.

Auch im direkten Vergleich liegt Rund vorn. Wo 11 Freunde in Sachen Fußballhistorie Uli Steins Erinnerung an das Supercup-Spiel von 1987 protokolliert, bei dem der Hamburger Torhüter dem Münchner Spieler Jürgen Wegmann einen Faustschlag verpasste, überrascht Rund mit den Fährnissen einer England-Tournee des sowjetischen Meisters Dynamo Moskau im Jahre 1945. Bei den Rezensionen erweist sich Mathias Heybrocks eingehende Betrachtung des Lexikon des Fußballfilms als hilfreicher als die Kurzbesprechung in 11 Freunde.

Die schönste aller Nebensächlichkeiten zum Fußball findet sich aber wie immer im Kicker-Sonderheft: die Stecktabelle, die in der Vorfreude der Saison aufgehängt, über den Stand des dritten Spieltags nie hinauskommen wird.


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