Leipzig hat sich entschieden, zuerst gut aussehen zu wollen. Also schminkt sich der Tatort: Türkischer Honig auf Kino, wenn er unter die Leute geht und die Kamera (Jakub Bejnarowicz) springleitet totaldynamisch durch die Szenen. Das Art Department (Szenenbild: Claus-Jürgen Pfeiffer) tut sein Werk; es gehört ja zu den ästhetischen Merkwürdigkeiten, dass der deutsche Fernsehkriminalfilm umgehend Exotismus kriegt, wenn der Rote Teppich des Staatsfernsehens einmal in spezifische Milieus hineingerollt wird wie hier in Communities mit leicht erkennbarem Migrationshintergrund (als gehörten die zum normalen Leben nicht dazu und müssten erst staatsbesucht werden).
Heißt: Leipzig sieht plötzlich aus wie Little Istanbul mit so holzgetöpferten Schildern ("Internationale Lebensmittel"), wie sie sich im New York des frühen 20. Jahrhunderts gut gemacht hätten. Die Musik hat ebenfalls Hüzün und arbeitet meistens um den Bauch herum, nimmt in Türkischer Honig (Fabian Römer et al.) notfalls aber auch die unbekannte Schwester von Eva Saalfeld (Simone Thomalla) in den Arm. Außerdem werden fremde Essgerichte vorgestellt, ein Team Member (Menzel: Maxim Mehmet) entpuppt sich als sprachenkompetent und kulturinformiert (Opas Börek) – das ist das Set des guten Willens, mit dem der Tatort seine Expedition in die unbekannte Welt vor unserer Haustür unternimmt.
Die Schwester ist dabei ein kleiner Witz auf die Genealogie solcher Expeditionen: Josefine Preuß spielte bereits in Türkisch für Anfänger. Leider ist die Schwester auch sonst ein Witz: Leipzig hat aus der schlimmen Eva-Saalfeld-Privatisierungsfolge, mit der einst der Stasi-Vater vorgestellt wurde, nichts gelernt. Im Gegenteil, der Schmus von damals ("Da haben wir doch Footage, das können wir doch verwenden, das macht die Sache doch glaubwürdiger") muss für krasse Flashs noch mal herhalten. Dass solche Familiengeschichten sinnlos sind, weil man als Zuschauer mit den Figuren nicht vertraut ist und es deshalb völlig egal, ob die jetzt Schwester, Freundin oder Unbekannte heißen, schreiben wir gern noch einmal auf (bei einem Peinsack wie diesem Vater, gespielt vom großen Günter Junghans, hätte man auf ein Wiedersehen auf jeden Fall verzichten wollen). Für den Film (MDR-Redaktion: Sven Döbler, Regie: Christine Hartmann) hat's wohl den Vorteil, dass sich Sister und Sister schön angiften können, wobei auch Vergangenheitsdiskussion nicht zu kurz kommt: "Er war Opfer eines Regimes" – "Sag mal, wie naiv bist du denn eigentlich?" Fünf Euro in das Phrasenschwein von Hubertus Knabe.
In the Streets of Lipsia
In der Entwicklung des Falles geht so vieles durcheinander – nicht nur mit der Schwester, hinter der die Schwester ermittelt, sondern auch mit diesem Geldverleihersohn, der als Autoverleiher hervortritt, damit der Film schöne Bilder mit altem Cabrio in the streets of Lipsia machen kann. Ob Martin Wuttkes Haupt wirklich dafür gemacht ist, sich von hinten/oben anzuschleichen als Kamera, würden wir als Frage noch mal in den Ausschuss geben.
Wuttke spielt seinen Sono Keppler dafür so, als käme er direkt aus einer Pollesch-Inszenierung in der Volksbühne, wo das Verzweifeltsein so wirkungsvoll ist ("Sag mal, was soll das eigentlich alles: Erst willst du mit mir essen gehen beim Griechen, dann sagst du mir ab und dann soll ich zum Türken kommen?"). Das Gekabbel mit dem Autoverleiher (Denis Moschitto) geht i.O., sieht man von Geduze, Autoverleih und Glaubwürdigkeit ab – man würde auch verstehen, wenn die twitternden Bürgerrechtler-Grünen heute abend hinschmössen mit der Begründung, dass Türkischer Honig ihnen dann doch zu blöd ist.
Was für diesen Tatort alles zählt, ist das Dramatisierungspotential des Sachsenklinik-Schmonzes. Also dauernde erregteste Auftritte, Türenschlagen wie im Stadttheater: "Ersoy!" – "Waffe runter!" – "Nein, jetzt nicht". Vielleicht könnte ein Sonderforschungsbereich einmal den decline von Erzählformen untersuchen; dazu gehörte auch, dass einem die Mördersuche irgendwann zu anstrengend wird: Wenn's keiner gewesen wäre, es hätte nicht gestört.
Außer dich
Immerhin lässt sich in der Folge studieren, was der Schnepfism für hübsche Blüten treibt. Eva Saalfeld ist einer seiner wichtigsten Repräsentantinnen. Beim Schnepfism geht es bekanntlich darum, Unsicherheit und Inkompetenz durch dämliches Professionalitätsgetue zu überspielen. Meistens von oben herab, also aus der Chefposition. Bestes Beispiel: "Die sollen aber in einer Seitenstraße parken, ich will keinen hier vorne sehen." Die sollen natürlich in einer Seitenstraße parken, damit niemand anderes sie sieht. Streng genommen müsste fragen, who cares, wenn Eva Saalfeld etwas will? Es kommt einfach nicht als Argument.
Ein Fun Fact für die Sprachfüchse: Wenn das Drehbuch (Andreas Pflüger) Nora Tschirners Figur von letzter Woche (Drehbuch: Andreas Pflüger, Murmel Clausen) vorgelegen hätte, hätte die Nora-Tschirner-Figur den Klops von Vater Saalfeld korrigieren können: "Ich habe doch niemanden außer dich."
Ein Satz, der nicht bibelfest ist: "Sie sind Eva, sie haben ihren eigenen Vater verhaftet."
Ein Hinweis, der aus Kollegen Freunde macht: "Jetzt tun sie doch nicht so engagiert"
Ein Kompliment, dass man gern öfter hören würde: "Also ich finde, ihr Auge sieht schon viel besser aus"
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