Es ist natürlich ungerecht, einem Film die Sprüche vorzuhalten, die sein Verleiher machen zu müssen glaubt, um ihn zu promoten. Aber Aussagen wie „Die Presse liebt den Film“ oder „Sebastian Koch hat ihn mir auf einer Fahrstuhlfahrt in Toronto verkauft“ sind Teil des Missverständnisses, das dieser Film bildet: Sie rufen Bilder auf, die mit seiner Wirklichkeit nichts zu tun haben, Bilder, die selbst nur aus Filmen stammen, aus amerikanischen wohlgemerkt. Man kann den Eindruck kriegen, dass der deutsche Film Kino nur spielt, auf Hollywood macht, weil von dort die glamourösen Erzählungen über die Filmwelt kommen, die er selbst gern hören würde.
Das funktioniert aber nicht bei Filmen wie diesem: Das Wochenende, den Nina Grosse, die Regisseurin und Drehbuchautorin, mit viel Einsatz und wenig Geld durchkämpfen musste, obwohl er von außen aussieht wie Kalkül. Als Vorlage diente das Buch eines deutschen Bestsellerautors (Bernhard Schlink), in dem es um große geschichtliche Fragen geht (Umgang mit der RAF heute) und besetzt wurde mit relativ prominenten Schauspielern (Katja Riemann, Sebastian Koch, Barbara Auer, Tobias Moretti, Sylvester Groth).
Das Missverständnis beginnt damit, dass in etwas, das derart kalkuliert wirkt, viel Herzblut investiert werden musste, von dem man leider sagen muss, dass es umsonst vergossen wurde – zumindest sieht man nicht, wohinein es geflossen wäre: Das Wochenende ist ein eklatant indifferenter Film. Er handelt von Jens Kessler (Koch), der als Christian-Klar-Anleihe nach 18 Jahren Gefängnis wegen Terrors freikommt, von der Schwester (Auer) ins Brandenburgische verbracht wird, wo sich am titelgebenden Wochenende die Liebe von einst (Riemann), jetzt liiert mit einem Confiserie-Unternehmer (Moretti), und der Kampfgefährte von einst (Groth), jetzt Autor, einstellen. Hinzu kommen Kesslers Sohn Gregor (Robert Gwisdek) und dessen Halbschwester Doro (Elisa Schlott).
Laktosefreie Milch
Grosse hat Schlinks selbst schon kalkulierten Baukastenroman zur Christian-Klar-Entlassung 2008 entkernt. Was sicherlich ein kluger Zug war, der angesichts des Films nur zu der Frage führt, warum Schlinks Roman überhaupt als Vorlage herhalten musste – weil man damit die Zuschauer, die auch den Vorleser mochten, für das Kino zu interessieren hofft?
Diskursiv kommt der Film über die ewiggrobe Gegenüberstellung von Idealist und Bourgeois nicht hinaus, was den Figuren schon so vertraut ist, dass sie, wie Morettis Unternehmer, sich selbst als „dekadent“ bezeichnen, wenn sie Wörter wie „Périgord-Trüffel“ und „Valrhona-Schokolade“ gesagt haben. In solchen Szenen hat Das Wochenende vermutlich insgeheim sein Zentrum: Kochs RAF-Mann ist nur dazu da, rauchend und vor sich hinstierend rumzusitzen als schlechtes Gewissen eines deutschen Wohlstands, der sich vor allem über Ernährungsfragen definiert.
Dass Riemanns Inga eine morgendliche Einkaufsfahrt mit dem Geliebten von damals mit der Suche nach „laktosefreier Milch“ begründet, soll beim Zuschauer eben jene ambivalenten Gefühle von Scham triggern: „Laktosefreie Milch“ ist zugleich Praxis und Parodie eines bürgerlichen Lebens von heute, das sein distinktives Bewusstsein vom besseren Leben in mikroalltägliche Konsumentscheidungen verlagert hat. Die Autorität der 18 Jahre Gefängnis von Kessler, die es ja nicht für nichts gegeben haben wird, agiert sich folglich in Mal-kosten-Verweigerung an der Fleischtheke aus. Wer für die Weltrevolution gekämpft hat, dem kann man nicht mit Schinkensortenwissen kommen.
100.000 Demonstranten
Damit nicht der Eindruck entsteht, das schlechte Gewissen des Wohlstands könnte zu sehr drücken, werden Kessler in jedem Ansatz von Auseinandersetzung die Toten der Kämpfe vorgehalten. Am besten ist darin Sohn Gregor, in den Grosse interessanterweise zugleich die Figur des heutigen Revolutionärs aus Schlinks Roman gesteckt hat – das passt nämlich nicht zusammen.
Immerhin kann man daran sehen, in welchem Fantasialand von politischer Wirklichkeit Das Wochenende lebt. Gregor gibt sich anfangs als der Revolutionär aus, der Kessler für eine „Grußbotschaft“ (sic) gewinnen will – bei einer Demonstration gegen Gentrifizierung, zu der 100.000 Leute erwartet würden. Wenn sich der Film für Politik interessieren würde, sollten die Prämissen schon stimmen: 100.000 Leute kommen heutzutage beim Public Viewing auf der sogenannten Fanmeile zusammen, nicht bei Protesten gegen Gentrifizierung.
Aber der Film interessiert sich nicht für Politik, er ist ironischerweise das, was Kessler am Buch seines gewesenen Kampfgefährten kritisiert: „eine billige Psychonummer“. Inga muss sich wieder in Jens verlieben, oder zumindest muss ihr Unternehmergatte feststellen, dass sie ihn nie richtig geliebt habe, wobei sich außer durch sentimentale Blicke und alles erklärende Erklärungen dem Zuschauer nicht recht mitteilt, woher Ingas Gefühlsaufwallung rührt. Und die beste Kritik an Kesslers politischer Verfehlung liefert der vernachlässigte Sohn mit der ganzen Pampigkeit seiner Blutsverwandtschaft.
Unglückliche Kindheiten
Dass sich in Sachen RAF-Umgang die eigenen Kinder wie die Staatsanwälte des gesellschaftlich unnachgiebigen Diskurses gerieren, scheint sich zum Standard im deutschen Film auszuwachsen. In Es kommt der Tag von Susanne Schneider, die einmal Grosses Drehbuchautorin war, musste die borderlinende Katharina-Schüttler-Tochter Flaschen werfen gegen das terroristische Iris-Berben-Mutter-Erbe. Das Totschlagargument des eigenen Kindes als erstem Opfer falschen Engagements übersieht aber, dass man nicht RAF-Mitglieder als Eltern braucht, um unglückliche Kindheiten zu führen – das klappt auch mit Bundeskanzlern wie Helmut Kohl.
Das Missverständnis an Nina Grosses Film besteht also darin, sich Attribute zu wählen (RAF, Politik, Engagement), die dann gar nicht ausbuchstabiert werden wollen. Für die Geschichte einer romantischen Liebe, die sich über 18 Jahre Trennung erhält, bräuchte es den gesellschaftlichen Überbau so wenig wie für die Figur des bockigen Kinds. Die Frage bleibt also, wieso Nina Grosse ihre Energie nicht in etwas anderes gesteckt hat, sondern in diesen Film – zumal es den, mit Blick auf Es kommt der Tag, ja eigentlich schon gibt.
Trailer
Das Wochenende Nina Grosse 89 Min.
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