Die schwebende Aufregung um die geplante RAF-Ausstellung in den Berliner Kunstwerken resultiert vor allem aus der Frage, ob eine solche Bilderschau nicht verklärende Ansichten vom deutschen Terrorismus liefern könnte. Wenn man so will, ist schon passiert, was noch verhindert werden soll. Christopher Roths Film Baader aus dem letzten Jahr machte die Chronik zur Ästhetik des Terrors; an die Stelle des politischen Attentäters trat das stereotype Bild vom Kinogangsters. Roths Idee war die bewusste Fiktionalisierung der Wirklichkeit, und weil man Baader diese Idee deutlich ansehen konnte, hielt sich die Empörung, die den Berliner Kunstwerken jetzt entgegenschlägt, in Grenzen. Andererseits war Baader ein misslungener Film, was unter anderem einen Grund darin hatte, dass das Geschichtenerzählen in Europa eine Prosaform ist und keine Lebenshaltung.
Amerika, du hast es besser. Möchte man ausrufen, zumindest in diesem Fall, zumindest nach Ansicht des Dokumentarfilms The Weather Underground von Sam Green und Bill Siegel. Der Film ist das Resümee einer gewaltbereiten politischen Widerstandsbewegung, der Weathermen, die in den frühen siebziger Jahren einige Bombenanschläge auf symbolträchtige Ziele wie Gefängnisverwaltungen, Polizeistationen oder das Capitol verübten, ohne dass ein Mensch dabei getötet wurde. Die Geschichte der "Weathermen", die ihren Namen dem Subterranean Homesick Blues von Bob Dylan entliehen, erweist sich in ihrem Verlauf als Zwilling der RAF-Entwicklung, weswegen man die Parallele unweigerlich bis in die Gegenwart fortzieht. Da jedoch wartet der Unterschied; und so schaut man The Weather Underground ein wenig mit dem sehnsüchtig-ratlosen Blick, den der mit dem eigenen Wildwuchs beschäftigte Hobbygärtner auf die gepflegte Nachbarswiese hat: So sieht das also aus, wenn´s einigermaßen aufgeräumt ist.
Die Weathermen gingen 1969 aus der Studentenbewegung hervor. Sie verließen das wärmende Nest des gegenkulturellen Konsenses - und damit des Zeitgeists - in der scheinbar konsequenten Flucht nach vorn. Wenn das friedliche Aufbegehren gegen Vietnamkrieg und Rassismus nichts an der Führung des Krieges und der Existenz von Rassismus änderte, musste zwangsläufig anders aufbegehrt werden. Friedlicher Protest im Wissen um seine Harmlosigkeit bedeutete Einverständnis. Die RAF-Entscheidungsfrage "Teil des Problems oder Teil der Lösung" hieß in amerikanische Verhältnisse übersetzt: Unterdrückter oder Unterdrücker?
Trotz vergleichbarer geistiger Entschlossenheit sind die Weathermen einen unblutigen Weg gegangen. Dieser Umstand verdankt sich auch einem Menetekel, das auf der Schwelle von der Sachbeschädigung zum Mord stand: Die Bombe für ein geplantes Attentat auf einen Offiziersball, bei dem Menschen hätten zu Tode kommen können, ging in den Händen ihrer Erbauer hoch. Drei Tote Weathermen, ein zerstörtes Haus in New York. Die Verbliebenen Untergrundkämpfer trafen sich daraufhin an der kalifornischen Atlantikküste, wo nach tagelangen Gesprächen die definitive Ablehnung von Attentaten auf Menschen beschlossen wurde. Breiter Unterstützung in der Bevölkerung konnten sich die Aktivisten schon seit den days of rage Ende 1969 in Chicago nicht mehr sicher sein. Die aus dem Ruder gelaufene Demonstration, die in Straßenschlachten mit der Polizei endete, wurde vom Staat im Kampf gegen jeglichen Protest instrumentalisiert.
Die Auflösung der Weathermen erfolgte 1980, tatsächlich aber hatte bereits das Ende des Vietnamkrieges für endgültige Bedeutungslosigkeit einer Bewegung gesorgt, deren Motto "Bring The War Home" lautete. Die Linke hatte ein großes Problem mit dem Ende des Krieges, sagt einer der Weathermen im Film, ihre Energien richtete sie danach gegen sich selbst.
Sam Green und Bill Siegel vollziehen im Gespräch mit vormaligen Protagonisten und durch eine Vielzahl historischer Bilddokumente eine Art Anatomie des Protests, die deshalb einen Erkenntnisgewinn - für deutsche Verhältnisse - verspricht, weil der Sündenfall des politischen Mordes im Konjunktiv verbleibt. Der Schlussfolgerung, dass es keine unschuldigen Amerikaner geben kann, solange die US-Army in Vietnam tötet, wurde die fatale Konsequenz der Tat erspart. So ist es möglich, die Geschichte weitgehend in der Reflexion ihrer einstigen Akteure zu belassen, ohne dass eine betroffene Öffentlichkeit um ihr Recht zur Mitsprache gebracht wäre. Bernardine Dohrn, Mark Rudd oder Brian Flanagan erweisen sich zudem als Charaktere, die Glaubwürdigkeit gegenüber ihrer Biographie behaupten - also weder starrsinnig an obsoleten Positionen festhalten, noch zwangsläufig neue Oppositionen besetzt haben wie hierzulande etwa Horst Mahler.
Späte Einsicht in frühe Irrtümer ist nicht ausgeschlossen. Wenn Flanagan, der heute eine Bar betreibt, am Ende sagt, das Problem sei das Gefühl einer höheren Moral, die noch heute Terroristen glauben mache, sie mordeten für eine bessere Sache, dann ist diesen Worten jene Scham und Schuld anzumerken, die der jetzige Lehrer Rudd offen ausspricht. Die vehementen Opponenten von einst leisten sich den Luxus der Nachdenklichkeit, wiewohl sie lauthals triumphieren könnten gegenüber einer Strafverfolgung, die ihnen aufgrund eigener Mängel nichts anhaben konnte. Darin kann man - gerade vor dem Hintergrund der letalen Dynamik, die Teile des Protests hierzulande entfalteten - vielleicht so etwas wie beschwerte Erleichterung erkennen. Erleichterung darüber, dass man vom Bewusstsein einer höheren Moral nie tödlichen Gebrauch gemacht hat; beschwert durch die Ahnung, dass der Schritt zum politisch motivierten Mord nicht undenkbar gewesen ist.
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