DVD Die Filme des Studios H&S sind in einer umfangreichen Edition erschienen und ermöglichen die Wiederbegegnung mit ästhetisch ambitionierter Propaganda
So muss ein Dokumentarfilm auch erst mal anfangen. „Fräulein Doris“, sagt der väterliche Sprecher, „das Bier hat in den letzten Jahren ihres Lebens eine gewisse Rolle gespielt.“ Woraufhin Fräulein Doris etwas beschämt, aber auch ein wenig kokett ergänzt: „Überhaupt der Alkohol“, ehe der Sprecher fortfahren kann: „Ich hab mir erlaubt, ein kleines Arrangement zu treffen. Darf ich einschenken?“
Die Szene stammt aus O.K. von 1965, dem ersten Film, den Walter Heynowski und Gerhard Scheumann gemeinsam gemacht haben, der Beginn einer langen, erfolgreichen Zusammenarbeit. Aus einer Gruppe innerhalb der DEFA wurde Ende der 60er Jahre das eigenständige „Studio H&S“ mit Büro in der Berliner Kronenst
r Berliner Kronenstraße und kurzen Wegen zu Kulturpolitik, Finanzministerium und Fernsehen. Eine derart herausgehobene Rolle wurde den Dokumentaristen nicht aus Liebe zur Kunst zugestanden, sondern bedeutete Verpflichtung auf eine Funktion: H&S drehten Filme, die im Kalten Krieg der Bilder Wirkung entfalten konnten.Was erklärt, wieso die mehr als 70 Filme, die im Laufe von 25 Jahren entstanden sind, nach 1989 in der Versenkung verschwanden. 2011 gab es eine bemerkenswerte Arte-Dokumentation von Siegfried Ressel, die die Geschichte der beiden H&S-Filme über den „Kongo-Müller“ erzählte (der in diesem Jahr ein Theaterstück gleichen Namens in Stuttgart angeregt hat), 2013 eine Werkschau im Wiener Filmmuseum.Nun sind bei Absolut Medien gleich zwei DVD-Boxen mit H&S-Filmen erschienen: eine zweiteilige mit den vier Filmen über im Vietnamkrieg abgeschossene US-amerikanische Soldaten (Piloten im Pyjama, knapp 300 Minuten) und eine fünfteilige in der Reihe „Die großen Dokumentaristen“ (über 900 Minuten), die einen repräsentativen Teil des Werks zugänglich macht.Enthalten ist mit Der lachende Mann (1965) der paradigmatische Film von Heynowski und Scheumann, dessen Erfolg die „Studio“-Gründung mit beförderte. In Kommando 52 waren kurz zuvor deutsche Legionäre im kongolesischen Bürgerkrieg auf der Seite von Moïse Tschombé und seinem Generalstabschef Mobutu Sese Seko porträtiert worden, unter ihnen „der Chef“, Siegfried Müller. Jener „Kongo-Müller“, der durch Der lachende Mann zum Synonym für die skrupellos-zynische Verlängerung des nazistischen Soldatentums in die neokolonialen Stellvertreterkriege nach 1945 wurde. Das Selbstverständnis seiner bezahlten militärischen Arbeit wollte Müller nicht als Söldnertum abgetan wissen: „Wir dienen zwar unter einer fremden Fahne, aber wir haben doch eigentlich dasselbe Problem wie die Bundesrepublik: der Kampf gegen den Bolschewismus.“Die Fratze des glatzköpfig-grinsenden Siegfried Müller taugte als Inbild der agitatorischen Bemühungen Ost-Berlins, den Westen als alleinigen Nachfolger Nazideutschlands und entsprechenden Gedankenguts zu behaupten (dabei erweist sich der Film zeitlos wohl zuerst als Dokument eines machoiden Militarismus). Von heute aus rückt überdies die Frage nach der Entstehungsgeschichte von Der lachende Mann in den Vordergrund.Umgang mit SchriftenHeynowski und Scheumann mussten, wie bei all ihren BRD-Filmen, den Protagonisten über ihre Herkunft und ihre Motive im Dunkeln lassen. Sie mieteten über ihren zumeist als Kameramann gelisteten Mitarbeiter Peter Hellmich ein Studio in München an, zahlten ein gutes Hotel und üppiges Honorar (für eine Extrazahlung legte Müller seine Uniform samt Eisernem Kreuz an) und ließen Zweifel an ihrer Weltgewandtheit beim Essen in einem feinen Restaurant nicht erst aufkommen. Zum Reden verführte den Gesprächspartner nicht zuletzt der Pernod, der bei jedem Rollenwechsel großzügig nachgeschenkt wurde, was am Ende des Films in einem breiten Lallen Müllers resultiert. Im Sinne von H&S und der damaligen Zeit dürfte dieses Mittel durchaus unproblematisiert dazu gedient haben, den Söldner zur Kenntlichkeit zu entstellen.Im Falle des „Kongo-Müllers“ dürfte der Auftritt vor der Kamera zudem nicht so schwer gefallen sein, insofern der Söldner bereits stolz auf seine globalmediale Prominenz („von Peking bis Washington“) verweisen konnte. Zu den Ironien der Systemkonkurrenz – wenn man sie als starres Gegenüber zweier monolithischer Blöcke denkt – gehört der Umstand, dass H&S auf den „Kongo-Müller“ durch die Stern-Artikel des späteren Hitlertagebücher-Besorgers Gerd Heidemann aufmerksam geworden sind. In Kommando 52 sind Fotos zu sehen, die Heidemann auf seiner Reportage im Kongo gemacht hatte, Zitate der Söldner sind, wie zu Beginn bemerkt wird („Jedes Wort des Textes ist dokumentarisch“), durch „westdeutsche Zeitschriften“ belegt.Man könnte die Arbeit von H&S, zumindest wenn sie die BRD betraf, mit der von Auslandskorrespondenten vergleichen, die im medial noch übersichtlichen vordigitalen Zeitalter gegenüber ihren Zuschauern im Vorteil waren, exklusiven Zugang zu den Medien des anderen Landes zu haben. Weiter gedacht wäre Der lachende Mann dann nicht der Trumpf gegen den Klassenfeind, der die gesamte bundesrepublikanische Gesellschaft entlarvt, sondern die Verfilmung von Heidemanns Geschichte, die gemacht werden musste, um mit dem televisuellen Bild für noch mehr Verbreitung zu sorgen. Wo die Vorführung nicht politisch hintertrieben wurde, war Der lachende Mann (wie andere H&S-Filme) anschlussfähig an Weltsichten auf westdeutschen Filmfestivals.Das gilt auch für die Ästhetik. Das aus der Not geborene, dem Zeitdruck des Drehens geschuldete Konzept, Müller allein vor einem schwarzen Hintergrund in die Kamera reden zu lassen, korrespondiert mit der nüchternen – das Gegenüber freilich weit freundlicher aussehen lassenden – Einrichtung von Günter Gaus’ Interviewreihe Zur Person. Der gestalterische Modernismus der H&S-Filme zeigt sich an dem elaborierten, manchmal fast übertrieben spielerischen Umgang mit Schriften, auch Schnitten und Überblendungen. Der von Paul-Dessau-Chören unterlegte Blutspendefilm für Vietnam 400 cm3 (1966) wirkt mit Abstand zum Kalten Krieg in diesem Sinne beinahe grotesk – gerade wegen seiner ästhetischen Ambition. Die heutige Betrachterin wird in den DVD-Boxen also nicht nur einer Geschichte der politischen Agitation begegnen, sondern kann nebenher immer wieder medienarchäologische Beobachtungen machen.Abgang mit SchwipsDer 1927 geborene Heynowski und sein Partner Scheumann (1930 bis 1998) kamen als Journalisten zum Dokumentarfilm. Scheumann hatte für den DFF das Fernsehmagazin Prisma erfunden, Heynowski mit der Satirezeitschrift Frischer Wind den Vorgänger des Eulenspiegel konzipiert; er war an der Gründung des Verlags beteiligt, in dem heute der zweite Band seiner Memoiren erscheinen soll (Der Film meines Lebens. Zerschossene Jugend kam 2007 heraus). Auch wenn sich die Mittel des Feuilletons und der Satire verfeinert haben, ist der journalistische Stil von H&S unübersehbar: Das anfangs erwähnte Bier, das Fräulein Doris offeriert wird, soll nicht die Zunge lösen, sondern als Requisit schnurstracks in den Problembereich ihres Lebens als ostdeutsche Amüsier- und Bardame im Westen führen.O.K. steht exemplarisch dafür, dass sich der Kontext von Entstehungszeit und Intention nicht ohne weiteres rekonstruieren lässt. Fräulein Doris ist als Protagonistin eines Lagers für Rückkehrer in die DDR vorgesehen. Die Erzählung ihres kryptoprostitutiven Lebensstils als Kellnerin in einem rheinland-pfälzischen Lokal für dort stationierte US-Soldaten entzieht sich aber immer wieder einer plumpen Verdammung westlicher Dekadenz – auch weil die Interviewer durchaus fasziniert sind von der kecken jungen Frau.So ist nicht immer sicher, worauf der Paternalismus von H&S sich gründet: Teilen sie die Moral der US-Vorgesetzten, die eine zeitweise Schließung des Lokals durchsetzten, weil ihnen das Treiben zu bunt wurde? Oder werfen sie der jungen Frau im Sinne lokalen Deutschtümelns vor, sich mit afroamerikanischen Siegern eingelassen zu haben? O.K. wirkt wie eine streng politisch gedachte, dann aber aus dem Ruder gelaufene Mischung aus Das ist Ihr Leben und Laß Dich überraschen.Letztlich sind diese Momente der Irritation die von heute gesehen interessantesten. Die durchgängige Ambivalenz beim Schauen der Filme rührt nicht zuletzt daher, dass, gerade bei den internationalen Filmen über Vietnam und Chile – bei Kampuchea als Medium von Selbstreflexion vielleicht weniger – der offizielle Zweck eine als unabhängig identifizierbare Autorenposition überdeckt. Man bekommt die DDR als abstrakte Instanz einer staatlich intendierten Medienpolitik nicht aus diesen Filmen, selbst wenn man weiß, dass das Studio H&S 1982 geschlossen wurde nach einer Rede Scheumanns beim Kongress der Film- und Fernsehschaffenden, die gerade für freiere Arbeitsmöglichkeiten abseits der staatspolitischen Doktrin warb.Und man bekommt die DDR als unausgesprochenen Vorwurf auch nicht aus dem freundlichen und selten zugestandenen Gespräch mit Walter Heynowski. Vermutlich war es ungeschickt, bei der technischen Frage nach den Arbeitsbedingungen das Wörtchen „privilegiert“ zu verwenden (das heute sicherlich einen anderen Klang hat als am Ende der DDR). Wahrscheinlich wären aber, das merkt man beim Zeitzeugengespräch im Bonusmaterial der DVDs, die rhetorischen Abwehr- und Verteidigungsbewegungen von Heynowski kaum andere gewesen. Dabei, auch so eine Ironie, standen die bedeutendsten filmischen Propagandisten der DDR dem Arbeiter-und-Bauern-Staat habituell wohl ferner als bürgerlichen Kollegen im Westen. Heynowski erinnert sich gut an das Abendessen mit Henri Nannen, das sich ergab, als der Stern Fotos von H&S-Arbeiten drucken wollte.Unser Gespräch, das der in Ingolstadt geborene Heynowski als „Gläsle Wein“ am Nachmittag in einem Restaurant am Strausberger Platz annoncierte, beschert am Ende noch eine Pointe. Der Wein, zu so früher Zeit genossen, führt zu einer gewissen Beschwipstheit, was schon während der Unterhaltung als eine komisch-friedliche Parodie auf den Pernod vom „Kongo-Müller“ und das Bier von Fräulein Doris erscheint.DVD-Trailer von „Studio H&S: Walter Heynowski und Gerhard Scheumann“
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