Auf einem bisweilen verheerenden Podiumsgespräch, das von der Deutschen Filmakademie in Berlin unter der versöhnlichen Frage „In guten wie in schlechten Zeiten?“ das Verhältnis von Kino und Fernsehen diskutieren wollte, erhob sich am Sonntag kurz vor Schluss ein verdienter Mann des Fernsehens. Die Diskussion, die zu diesem Zeitpunkt nicht mehr so sehr über Kino und Fernsehen als vielmehr über deutschen Film und deutsche Filmkritik ging, käme ihm bekannt vor, sagte der Mann, am hiesigen Film habe die hiesige Filmkritik immer mehr zu mäkeln gehabt als an Filmen aus anderen Länder. Er wünsche sich „Begeisterung“. Als ob es damit nicht genug wäre, ergriff wenig später noch eine verdiente Frau des Kinos das Wort, die ihrerseits die Forderung aufstellte, die amerikanischen Filme, die noch immer funkelnd der Sehnsucht nach einem erfolgreichen und bedeutsamen Kino den Weg weisen, selbst zu machen. Die Stoffe seien doch da, wieso müsse Schindlers Liste dann von Spielberg gedreht werden oder Operation Walküre mit Tom Cruise?
Deutsch als Standort-Marketing
Interessant an diesen Fragen und Forderungen ist, dass sie überhaupt gestellt werden. Weil die Auffassung vom deutschen Film, die sich dadurch artikuliert, bemerkenswert weltabgewandt ist: „Deutsch“ meint hier nicht die Bezeichnung einer Wirklichkeit, die man filmisch abgebildet wissen möchte, sondern nichts als Standortmarketing und Erbauungsrhetorik. Wo sich solches Sprechen nicht selbst karikiert, hilft der Blick von der durchaus namhaft besuchten Veranstaltung in der Akademie der Künste am Pariser Platz auf die Realität der Berlinale nur wenige Meter entfernt.
So hat sich, eine beinahe triviale Feststellung, seit der Intendanz von Dieter Kosslick das Verhältnis zum deutschen Film spürbar entkrampft. Und so zeigt der diesjährige Wettbewerb als Schaufenster des Großkinos, dass die national orientierte Erbsenzählerei im globalisierten Kino nicht mehr aufgeht. Das Reden vom „deutschen Film“ unter einer anachronistischen staatsbürgerschaftsrechtlichen Perspektive ist unadäquat, wo Tom Tykwer (The International) oder Hans-Christian Schmid (Sturm) in internationalen Ko-Produktionen Regie führen oder Stephen Daldry für „Hollywood“ in Babelsberg und Görlitz Bernhard Schlinks Bestseller Der Vorleser verfilmt.
Partitur von Ökonomie und Genre
Einst stärker national formatierte Kinematografien sind in einem Maße durchlässig geworden für länderübergreifende Beteiligungen, die den Anwälten der reinen Herkunftsforschung Rätsel aufgeben müssen – und das offenbart sich mittlerweile nicht nur den Buchhaltern beim Blick auf die Finanzierungsmodelle, sondern auch dem gewöhnlichen Zuschauer. In Filmen wie Der Vorleser beschränkt sich (wie zuletzt auch am Sprachgewirr allein der englischen Akzente in Valkyrie erkennbar) die Besetzung nicht mehr auf den einen hiesigen Alibi-Namen fürs Nationalkolorit, vielmehr tauchen bis zum Ende Gesichter in Nebenrollen auf, deren Namen auf Anhieb nur denen geläufig sind, die bei den Abspännen deutscher Kino- und Fernsehfilme gründlich lesen.
Dass die Ergebnisse dieser internationalen Filmproduktionen im konkreten Fall ästhetisch hinter den Erwartungen zurückbleiben, die man an Schmid haben durfte und Tykwer einmal gehabt hat, steht in keinem Zusammenhang. Letzterer fungiert nach Heaven und Das Parfum schon zum dritten Mal als Dirigent einer Großproduktion, die im Wesentlichen den Partituren von Ökonomie und Genre folgt. Und Schmid scheitert mit seinem mutigen Projekt, das Haager Tribunal für Kriegsverbrecher zum Schauplatz eines Films zu machen, nur zum Teil: Sturm besitzt nicht in jedem Moment die erzählerische Anschaulichkeit und Präzision, mit der ein vermeintlicher Kronzeuge im Prozess gegen einen General der Falschaussage überführt wird. Das hoffnungsvolle Ende eines Filmes – der originellerweise auf zwei Frauen als Protagonistinnen setzt und damit die Vorstellungen symbolischer Ordnung zumindest irritiert (was Tykwers Anzugträgerwelt abgeht) –, bleibt, so sehr es emotionaler Gerechtigkeit entsprechen mag, etwas unbefriedigend; auch deshalb, weil man ihm das Ringen mit der Konvention von Gerichtsdrama und Politthriller anmerkt.
An der Grenze zur Parodie
Maren Ades Beziehungsstudie Alle Anderen, einziger „rein“ deutscher Wettbewerbsbeitrag, erzählt aus der Welt jener gut aussehenden Mittdreißiger, die zwar beruflich prekär leben, im Zweifel aber Mütter mit schicken Ferienhäusern haben und so ihrem geschmackvoll-sonnigen Lebensstil noch immer frönen können: Chris (Lars Eidinger), irgendwie Architekt, und Gitti (Birgit Minichmayr), Musik-PR, im Urlaub auf Sardinien auf der Suche nach der Balance zwischen eigenen Glücksansprüchen und zeitgemäßer Geschlechterpolitik.
Das ist im ersten Moment eine Enttäuschung, weil Ades fulminantes Debüt Der Wald vor lauter Bäumen (2005) auch daraus seinen Reiz bezog, eine Wirklichkeit genau zu zeichnen, die fern jenes wohlständig-lifestylegesättigen Lebens lag, von dem man nie weiß, ob es außerhalb der einschlägigen Berliner Szenebezirke überhaupt existiert. Alle Anderen findet aber mit dem Erscheinen des beinahe klischeehaften Kontrastpaars Hans (Hans-Jochen Wagner) und Sana (Nicole Marischka), bei dem die Geschlechterrollen traditionell verteilt sind, zu einer Außenansicht scheinbar aufgeklärten Paarverhaltens in der Großstadt, die zur Kritik einlädt. Der Film gerät deshalb immerfort an die Grenze zur Parodie seiner selbst, weil Ironie und Ernst ebenso schwer voneinander zu trennen sind in dieser Lebenswelt wie die Gleichstellung der Geschlechter gilt, obwohl diesbezüglich alle Schlachten geschlagen scheinen.
Am stärksten zeigt das deutsche Kino sich in der ersten Woche im Dokumentarfilm, obwohl Hans-Christian Schmid auch hier enttäuscht: Die wundersame Welt der Waschkraft gerät bisweilen etwas geschwätzig. Dafür erzählt Peter Dörfler in Achterbahn mit Sinn für große Bilder die Geschichte des Berliner Spreepark-Pleitiers Norbert Witte und seiner Familie, die hinter der einstigen Boulevard-Story steckt. Und Thomas Heise montiert in seinem zweieinhalbstündigen Film Material „Bilder, die auf Geschichte warten“. Das sind: Reste von früheren Filmen, Aufnahmen aus der Wendezeit, wie ein Blick auf die Rückseite der Demonstration vom 4. November 1989 oder die Fernsehabfilmung einer Volkskammer-Debatte über Stasi-Verwicklungen. Es ist faszinierend zu sehen, wie Heises Fragmente Geschichte erzählen, gerade weil sie partikulare Wirklichkeitsausschnitte sind. Sie regen an zum Denken durch eine Sprache, die ihre Protagonisten gerade lernen. „Ich stehe mit schmerzendem Herzen vor dem Scherbenhaufen meiner Parteiarbeit“, sagt ein Feuerwehrmann 1989 auf einer improvisierten Versammlung. Das ist deutsches Kino.
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