Die Hölle voller Geigen

Verwirrspiel Der lieblose Hallenser Polizeiruf "Der Tod und das Mädchen" spielt im Musikschulmilieu, wo der Konkurrenzdruck hoch ist, und sich der blasierte André mit Nico prügelt

Die Hallenser Polizeiruf-Folge Der Tod und das Mädchen ist nicht zu verstehen, ohne das Netz an vielfältigen Beziehungen, das ihn durchzieht. Alles hängt mit allem zusammen, weshalb man während des Schauens tatsächlich Gefahr läuft, den Überblick zu verlieren. Daher der Versuch einer Rekapitulation.

Johannes Steuben ist das Mordopfer. Es handelt sich bei ihm um einen jungen Musikstudenten (Geige), der von einem Auto überfahren wird. Steubens Eltern bilden eine Sackgasse in dem Geflecht, sie spielen nur kurz eine Rolle. Anders als Nico Ziehrer (Klavier), der mit Steuben musiziert hat und befreundet war. Ziehrer ist ein Knotenpunkt der Beziehungen und damit des Verdachts. Nicos Vater (gespielt von, kleiner Gag, Ex-Tatort-Kommissar Bernd Michael „Kain“ Lade) ist ein eher problematischer Zeitgenosse: Er hatte ein Drogenproblem, heißt es, und macht aber, schwitzend, zitternd, verwirrt, den Eindruck, es immer noch zu haben. Außerdem muss er seinem Sohn auflauern, weil der mit ihm nichts mehr zu tun haben will. Also lungert Vater Ziehrer vor der Haustür rum. Seine Geldnot steht im Kontrast zur schmuck eingerichteten Wohnung von Nico, der als Außenseiter nicht im Internat wohnt.

Ebenfalls nicht im Internat wohnen die Geschwister David (Klavier) und Lilly Dahlenberg (Geige). Der Name deutet an, dass sie eher vornehm zu denken sind. Ihre Mutter heißt dementsprechend Therés, wird von Sunnyi Melles gespielt, hat eine Firma und ist außerdem Vorsitzende der Stiftung des Konservatoriums. Vater Ziehrer sucht sie gelegentlich auf, um für die Zukunft von Nico zu kämpfen. David und Lilly, aber das bestätigt ja erst der Schluss, treiben die Beziehungsdichte in dem Polizeiruf auf die Spitze: Ihr inzestuöses Gebaren kann als mise en abyme zur gesamten Folge gelesen werden. Die Geschwisterliebe ist auch das dramatische Zentrum, aus dem die kriminelle Energie entspringt: „Eifersucht ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft“ (Friedrich Schleiermacher) – Lilly hatte sich nämlich jüngst mit Nico eingelassen, was auch zur Zerstörung von dessen Flügel führt.

Es gibt im Konservatoriumsmilieu noch weitere Figuren (etwa den blasierten André, ohne den kein Internat auskommt, und der sich mit Nico prügelt), die mit den oben genannten bekannt sind, zugleich allerdings konkurrieren um ihre Karrieren beziehungsweise die Stipendien, die Therés Dahlenberg vergibt und die ihr potentieller Schwiegersohn (der, der nicht gleichzeitig ihr richtiger Sohn ist) benötigt (siehe: drogensüchtiger Vater). Man lernt daraus, dass der Leistungsdruck unter Musikern noch krasser ist als in der restlichen Welt.

Das Spiel mit den Verbindungen, das auf der Bühne in den verschiedensten Farben die herrlichsten Vergnügungen gestiftet hat, es ist hier reiner Ballast: Der Zuschauer verwendet seine ganze Energie darauf, die jungen Romeos voneinander zu unterscheiden, jeder Witz, jeder Schärfe, jede Täuschung versickert in der drögen Inszenierung. Man mag sich nicht vorstellen, dass mit Xao Seffcheque ein Exponent der deutschen Punk-Bewegung das Drehbuch mitverantwortet, das jeden Reinecker-Krimi an Stanzen übertrifft. Jaecki Schwarz und Wolfgang Winkler perfektionieren ihre gut abgehangene Routine auf niedrigem Niveau, Halle ist saniert, und so bleibt der einzige Lichtblick in diesem lieblosen Krimi Sunnyi Melles, die auf der Irm-Hermann-Skala selbstironischen Irrlichtens 70 Punkte erreicht.

EIN ALIBI MIT ÜBERZEUGUNGSKRAFT: „Ich habe Doppelkopf gespielt, wie jeden 4. Sonntag im Monat.“
WAS MAN KOMMISSAREN ALS VERDÄCHTIGER NICHT OFT GENUG SAGEN KANN: „Freut mich, Sie wieder zu sehen, aber müssen Sie nicht ermitteln?“

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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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