Die Karikatur der originären Karikatur

Kino Es wird lustig: Helmut Dietls "Zettl" hängt im Leerlauf seines putzigen Gschaftlhubertums hoffnungslos hinter der Wirklichkeit zurück

Vermutlich ist schon diese ganze Helmut-Dietl-Geschichte falsch. Sie handelt von tollen Fernsehserien (Münchner Geschichten, Der ganz normale Wahnsinn, Monaco Franze, Kir Royal) aus den siebziger und achtziger und zwei beliebten Kinokomödien (Schtonk!, Rossini) aus den neunziger Jahren. Und sie macht den Fehler, daraus eine Ewigkeitsgröße abzuleiten, die sich im Beschwören von Charakteren (das Spatzl, der Baby) und Nachsprechen von Dietl-Sätzen („Ich scheiß dich zu mit meinem Geld“) artikuliert.

Dass mit dieser Geschichte etwas nicht stimmt, kann man schon daran merken, dass der letzte Dietl-Film nicht Rossini von 1997 war, sondern eine, milde gesagt, zähe Orpheus-und-Eurydike-Variation mit dem prägnanten Titel Vom Suchen und Finden der Liebe von 2005. Der Film ist so vergessen wie sein Vorgänger Late Show (1999), und es fällt schwer zu sagen, dass das zu Unrecht geschehen ist.

Die Helmut-Dietl-Geschichte aber zeigt sich davon unbeeindruckt, wie das mediale Crescendo zum neuen Film Zettl demonstrierte. Da wird nun alles wieder und wieder erzählt als hoffnungsfrohe Erwartung an eine Art ultimativen Berlin-Politik-Journalisten-Film, bei dem man sich, nüchtern betrachtet, fragen kann, wer den braucht außer Journalisten und Politikern, die sich gern im Spiegel anschauen, um sich ihrer Wichtigkeit zu versichern.

Man muss sich fragen, wer da in Dietls Tisch getreten ist

Es wird erzählt, wie lange und pedantisch Dietl mit seinem Co-Autor Benjamin von Stuckrad-Barre, einem Journalisten, an dem Buch gearbeitet habe, dass Dietl zur Recherche extra nach Berlin-Mitte gezogen und dort in schlechte Restaurants gegangen sei, wo sofort all jene Lakaien des Betriebs an seinen Tisch gekommen wären, deren größte Sorge, obwohl sie naturgemäß das Gegenteil behaupteten, darin bestanden habe, nicht in Zettl vorzukommen.

Wer Zettl gesehen hat, muss sich fragen, wer da an Dietls Tisch getreten ist – Aschenputtel? Daniel Düsentrieb? Professor Brinkmann? Echte Menschen können es jedenfalls nicht gewesen sein, Zettl besteht nur aus Karikaturen, deren Originale Karikaturen gewesen sein müssen. Es gibt eine Bürgermeisterin, die eigentlich ein Mann ist und Mutter vom titelgebenden Zettl wird, einen Schweizer Verleger, der mit ihr/ihm schläft, einen Bundeskanzler, der im Sterben liegt, einen Ministerpräsidenten, der rumvögelt, eine alkoholkranke Talkshowmoderatorin und einen Chauffeur, der mal eben so Chefredakteur einer wahnsinnig tollen Zeitschrift wird. Aber diese und all die anderen Chargen, von den großen Namen des deutschen Kinos dargestellt (Herbig, Tukur, George, Manzel, Melles), könnten sich auch Clownsnasen aufsetzen, Pferdeschwänze wachsen lassen, drei Brustwarzen haben – es wird einfach nicht lustig.

Zettl hängt im Leerlauf seines putzigen Gschaftlhubertums hoffnungslos hinter einer Wirklichkeit zurück, in der ein schnäppchenjagender Klassenbuchführer als Bundespräsident immer „man“ sagt, wenn er von sich spricht, und eine miese Zeitung ihre miesen Methoden als Journalismus verkauft. Und dann sagt der nette Bully Herbig als drolliger Zettl stolz, er sei „unschlagbar charakterlos“ – in einer Welt, die sich an amoralische Berufszweige wie den Investmentbanker gewöhnt hat. Das könnte niedlich sein, wenn es nur nicht so langweilig wäre.

Die Helmut-Dietl-Geschichte endet mit Rossini. Und das macht sie, anders als diese 10-Millionen Euro teure unfreiwillig-lausige Parodie einer Gesellschaftskomödie, nicht schlechter.

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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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