Der Kurfürstendamm leuchtet an diesem späten Novemberabend leer, aber prächtig. Der Adventslichtschmuck hängt schon auf den Bäumen, was die Radfahrt den Boulevard hinunter zu einem Erlebnis macht: Weil kaum einer sonst auf der Straße ist, fühlt man sich gemeint; dass das ganze festliche Licht nur für einen strahle, eine Art privater roter Teppich.
Die Pracht des Kudamms hat eine Geschichte, und geprägt wurde sie durch Leute wie Max Herrmann-Neiße. Eine dieser Gestalten, durch die man auf das alte, glorreiche Berlin schaut. Das Berlin der zwanziger Jahre, in denen Max Herrmann aus dem schlesischen Neiße ein bekannter Schriftsteller war, ehe er fliehen musste vor den Nazis, in London starb und vergessen werden konnte. Ende Oktober 1926 schrieb Max Herrmann-Neiße in einem Brief über seine neue Adresse in diesem Teil Berlins: „Lies und staune: wir ziehen um, und das schon morgen, mittenmang ins Herz Berlins, wohnen von morgen abend an: Berlin W15, Kurfürstendamm 215, Gartenhaus 2. Stock. Es ist das Haus neben ‚Schweimler‘, vis-à-vis dem ‚Uhlandeck‘, also dichtbei Bardinet, ‚Romanischen Café‘, Maenz,Schwanneke, Nelson etcetera.“
Yva, Hitler, Becher, Springer
So klingt der Sound der alten Zeit, aus dem sich die Gegenwart Bedeutung bastelt. Seit Kurzem gibt es im neu gebauten Waldorf Astoria Hotel wieder ein „Romanisches Café“. Das Original war zu Zeiten Max Herrmann-Neißes ein berühmtes Künstlerlokal an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, der Ort, der nun den Namen trägt, ist ein austauschbarer Gastraum der hochstehenden Globalhotellerie.
In dieser Logik wird irgendwann ein Investor seine Pläne mit „Hotel Bogota“ überschreiben. Das ist das Ziel an diesem Abend auf dem leeren, leuchtenden Kudamm, das verschwindet gerade. Ein Haus mit Geschichte in einer Nebenstraße, leuchtet vom Baldachin über dem Gehsteig die Leuchtschrift. Schlüterstraße 45, und man muss nicht einmal die ganze Geschichte dieses Hauses erzählen, die in den letzen Tagen oft erzählt worden ist. Es reicht, dass man Namen sagen kann: Yva zum Beispiel, den Künstlernamen von Else Ernestine Neuländer-Simon, einer Modefotografin, die hier ihr Atelier hatte und einen jungen Mann ausbildete, der später als Helmut Newton in den USA berühmt werden sollte; Yva ist im KZ ermordet worden. Oder Reichsfilmkammer, die hier residierte, Filmabnahmen mit Goebbels und Hitler. Oder Johannes R. Becher, der 1945 hier die Gründungsrede zum Kulturbund hält (der die Wochenzeitung Sonntag herausgeben wird, den Vorgänger des Freitag). Oder Axel Springer, der bei der britischen Spruchkammer zur Entnazifizierung für den kulturellen Sektor seine Lizenz zum Zeitungsmachen erhält.
Das alles kann man sagen, weil das große, verwinkelte Haus seit 1964 als Hotel Bogota betrieben wird. Betrieben wurde. Die Geschichte wird dem Haus weiter gehören, aber die, die sie sich erzählen können, sind dann nur noch die Mieter oder Leute, die in Büros sitzen. Das Hotel Bogota hat geschlossen: seit Anfang Dezember den Gastbetrieb. Und ab Mitte Dezember finden dann auch keine Swing-Abende, Vernissagen und Auktionen statt, auf denen jetzt das Mobiliar versteigert wird.
48 Euro, Fließwasser
Aus dem Einzelzimmer Nummer 423, das ich für eine letzte Übernachtung bekommen habe, wird sicher nicht viel Geld einbringen, Schrank, Betten (es gibt kurioserweise eins neben der Tür und eins am Fenster) und Stühle sind von pressspanfurnierter Durchschnittlichkeit. Das Zimmer hat „Fließwasser“, wie es in der Sprache des Hotels heißt, Toiletten und Dusche sind auf dem Gang. Aus dem nahe gelegenen Literaturhaus ist zu erfahren, dass hier einquartierte Gäste mitunter wenig begeistert waren über solch niedrigen Standard. Andererseits kann sich nicht jeder die Preise des Waldorf Astoria leisten; es hat also etwas Demokratisches, wenn in dieser Lage für 48 Euro übernachtet werden kann – und Überschaubarkeit und Schlichtheit des Raumes aufgewertet werden durch die Kultur auf dem Flur.
Das Hotel Bogota – das Holz, der Fahrstuhl, die Teppiche, die Tapeten –, alles verströmt ein Bewusstsein für Stil und Dekadenz, in dem man sich den übermütigen Berliner Künstler vorstellen kann, der hier die Nacht mit einer Frau verbringt, die früher Muse geheißen hätte. Aber das Haus verkrampft darüber nicht: Der freundliche Herr am Tresen merkt sich unangestrengt meinen Namen, sein schwarzer Pullover über schwarzem Hemd mit schwarzer Krawatte strebt nicht in jene Perfektion, die einen unangenehm berühren kann. Geschichte als Gegenwart ist hier normal.
Weil diese Normalität verschwindet – das Hotel hat Mietschulden, der Rezeptionist spricht von juristischen Problemen –, versuchen die letzten Gäste sie mit ihren Smartphones und Fotoapparaten festzuhalten. Man geht durch das Hotel Bogota schon wie durch ein Museum. Das Alltägliche wird, in dem Moment, in dem es verschwindet, angeschaut wie die Sixtinische Kapelle, von jedem Schriftzug, jedem Durchblick, jeder Lampe erwarten die Besucher Bedeutung.
Der Moment des Verschwindens ist scheinbar paradox. Am Abend, an dem ich im Hotel schlafe, wird mit großem Hallo und Lilo Pulver der Zoo Palast wieder eingeweiht. Von den Covern der Stadtmagazine kündet das Comeback der Berliner City West. Aber sie kommt zurück als Disneyversion. Das Café „Grosz“ um die Ecke vom Bogota sieht so aus, wie man den Glam der zwanziger Jahre gern hätte. Es hat aber keinen eigenen. Max Herrmann-Neiße: „Donnerstagnachmittag und gestern Vormittag war ich bei Grosz, ist ja jetzt auch hübsch nah, der zeichnet mich noch mal, diese Zeichnung soll vorn in den Gedichtband von mir hinein, den der [Verleger] Wasservogel herausbringen will.“ Am nächsten Morgen Frühstück im luftigen Saal. Aber das wird nicht das sein, woran man sich erinnert beim Hotel Bogota.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.