Sie liebe die Freiheit hier, hatte Mirjam Kubescha gesagt. Damit meinte sie die Freiheit der Quinzaine des Réalisateurs, in der die Münchner Studentin der HFF ihren Film präsentierte. Ecce Homo aber verdeutlichte exemplarisch, dass Freiheit erstens nur ein Wort ist und man zweitens mit ihr etwas anzufangen wissen muss. Weil die Unabhängigkeit von kommerziellen Zugeständnissen im Umkehrschluss nicht das bessere Kino ergibt, lässt sich die diesjährige Quinzaine resümieren wie der Wettbewerb: durchwachsen.
Was bei Ecce Homo im Titel noch tiefblickend erscheint, offenbart sich als reine Oberflächenbetrachtung. In sehr schönen Schwarz-weiß-Bildern hat die Filmemacherin ihre Schauspieler aufgenommen, die zudem sehr stimmungsvoll von Musik unt
zudem sehr stimmungsvoll von Musik unterlegt sind. Aber es sind dies alles finale Bilder eines Prozesses, dessen Geschichte nicht erzählt wird, dessen Protagonisten uns zwar gezeigt, aber nicht nahegebracht werden. Es fehlt das Vorher, das Eigentliche - ein Best-Of-Album, zu dem es keine Diskographie gibt.An diesem Problem scheitert auch Ethan Hawke. Der junge Schauspieler, der mit Reality Bites, dem Film zum Grunge, wenn man so will, Anfang der neunziger Jahre bekannt wurde, und der die Quinzaine durch seinen Auftritt in Begleitung von Uma Thurman und Quentin Tarantino zum Glitzern brachte, hat die eigene zeitgeistliche Sozialisation zum Thema seines Erstlings gemacht. Chelsea Walls heißt das Schaubild, das fiktive Bewohner des wirklich existenten, legendären New Yorker Chelsea Hotels versammelt: Künstler allesamt, Slacker, um im Grunge zu bleiben, und also Leidende. Konkreter geht es bei Hawke leider nicht, soll heißen: Gründe für die Scheuheit, Zerbrechlichkeit, Beziehungsunfähigkeit seiner Protagonisten bietet der Regisseur nicht an. Die Freiheit, der Ausbruch aus künstlerischen Beschränkungen ist bei Hawke in einer Sackgasse angekommen. Das Dogma-Bild der wackeligen Handkamera, das einmal neue, lebensnähere Perspektiven eröffnen sollte, hat Hawke domestiziert zu einer starren Pose des Sentiments, in der alle Figuren nur zu verschiedenfarbigen Tupfern eben dieses Gefühls, des Leidens gerinnen. Chelsea Walls führt vor, wohin das Kino gelangen kann, wenn es selbstverständlich zu werden beginnt, wenn es nicht immer wieder neu anfangen will und das Wissen um alles schon da Gewesene unreflektiert lässt.Es verwundert also nicht, wenn die bemerkenswerten Beiträge dieser Quinzaine allesamt aus der Beschränkung rühren. Wie die formal selbst auferlegte bei dem neuseeländischen Rain von Christine Jeffs oder dem amerikanischen The Deep End von Scott McGehee und David Siegel, in deren auch optisch engem Fokus Familientragödien ablaufen. Christine Jeffs schildert das Zerbrechen einer Familie, indem sie sich auf den doppeldeutigen Konflikt zwischen Mutter und Tochter konzentriert, der zum einen ein familiärer ist, zum anderen einer zwischen zwei Frauen, die um einen Geliebten konkurrieren. The Deep End verhandelt dagegen den Zusammenhalt der Familie, um den die großartige Tilda Swinton als Mutter und Frau eines abwesenden Mannes kämpft - für den sie einen Mord begeht und vertuscht.Den Dokumentarfilm kann man auch als Beschränkung begreifen, weil er sich allein am Faktischen orientiert. In der französisch-belgischen Produktion Made in the USA blättern Solveig Anspach und Cindy Babski den Fall Odell Barnes auf. Barnes, schwarz, arm, vorbestraft, wurde im letzten Frühling nach zehn Jahren vergeblichen Prozessierens hingerichtet für einen Mord, den er der Beweislage zufolge kaum begangen haben kann. Aber die Beweislage ist eine Sache, Gerechtigkeit eine andere, denn die orientiert sich in Amerika noch immer an der Nähe zur gesellschaftlichen Sonne. Die Aussage George W. Bushs, niemand in Texas wäre unschuldig exekutiert worden, entlarven die beiden Autorinnen geschickt als hohl: Sie zeigen unter anderem einen Staatsanwalt, der auf immer neue, evidente Zweifel monoton abspult: Was ändert das an der Schuld von Odell Barnes? Prägnanter lässt sich die Ignoranz der Justiz, die Vorveruteilung nicht benennen, die Barnes lange vor der Tat erfuhr. Weil er aus zutiefst amerikanischen Verhältnissen kam, ist er quasi schuldig geboren.Eine dritte Form von Zwang ist der ökonomische. Debütant Wang Chao, der Assistent bei Chen Kaige war, hat für Der Waise von Anyang nicht viel Geld zur Verfügung gehabt. Deshalb steht die Kamera bei ihm zumeist, gibt es keine Fahrten, keine Schwenks, und doch transportieren seine wenigen, langen Einstellungen mehr als etwa Hawkes ästhetisierendes Brimborium, nämlich Zwischentöne, Details einer einfachen Geschichte von einem Mann, der seine Arbeit verliert und deswegen die Betreuung eines Findelkinds übernimmt, mit dessen Mutter, einer Prostituierten, er später in einer Art (Zweck)Gemeinschaft zusammenlebt. Der Zwang, nicht die Freiheit, hat Wang Chao auf die Elementarteile des Kinos zurückgeführt.In thematischer Hinsicht bildete so Amos Kollek mit seinem vierten Film, Queenie in Love, der den heiteren Ton von Fast Food, Fast Women aufnimmt, den idealen Abschluss der Quinzaine: Queenie nämlich ist eine Tochter aus gutem Hause, die in größtmöglicher Selbstbestimmung leben will. Und deshalb freiwillig aus dem sorglosen Vorortleben ins entbehrungsreiche East Village von Manhattan zieht.
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