Die Leere des Dazwischen

Asiatische Filme auf der Berlinale China gibt sich karg, Korea überdreht

Die Gegenwart von Chinas Kunst im Westen ist vom Schlagwort "Zensur" nicht zu trennen. Einen neuerlichen Beweis erbrachte die Aufregung um Lost in Beijing von Li Yu im Vorfeld der Berlinale, wo der Film im Wettbewerb nur nach nochmaligen Schnitten gezeigt werden durfte. So wohl der westliche Einsatz für die Kunstfreiheit in China gemeint sein mag, so unfruchtbar ist die Aschenputtel-Sichtweise für die Wahrnehmung von chinesischen Filmen. Die guten, "kritischen" Filme versus die schlechten, "offiziellen" ist ein Gegensatz, der nicht trägt. Wenn die staatliche Einflussnahme eine Realität ist, emigrieren die interessanten Filme sowieso in ein Dazwischen, wo der eigene Kunstwille so geschickt wie möglich mit dem Wohlwollen von offizieller Seite versöhnt. Oder umgekehrt: politische Auftragskunst hat noch selten Meisterwerke hervorgebracht.

Das Dazwischen der derzeitigen chinesischen Filmemacher findet sich an den Rändern der Gesellschaft - deren Wandel sich bekanntlich in den großen Städten eindrucksvoll bestaunen lässt -, in den Vor- und Nicht-Orten, auf dem Land. Die anonymen Repräsentanten der erodierenden chinesischen Gesellschaft sind die Wanderarbeiter, was sie zu Protagonisten eines Kinos privilegiert, das eine eigenständige Form von Öffentlichkeit schaffen will. Und das durch Bewegung zwischen den auseinander driftenden Polen der chinesischen Gesellschaft zu vermitteln versucht.

Getting Home von Zhang Yang, in der Sektion Panorama gezeigt, ist hierfür ein exemplarischer Film. Ein Bauarbeiter reist mit einer Leiche quer durchs Land, weil er sich verpflichtet fühlt, den toten Kollegen in der fernen Heimat zu beerdigen. Zhang erzählt die traurige Geschichte als Komödie, die trotz durchschaubarer Gags dank der tapferen Ungeschicktheit des Hauptdarstellers Zhao Benshan immer wieder zum Schmunzeln rührt. Dem neuen, westlichen China begegnet der abgerissene Leichenträger nur in Gestalt eines gut ausgerüsteten Mountainbikers, der sich - weil er noch nie etwas zu Ende gemacht hat - eine Tibetfahrt zum Ziel gesetzt hat. Das Lachen mag für den Moment darüber hinwegtäuschen, welch existenzielle Fragen der Film stellt, die in der bitteren Pointe münden, dass die Heimat des toten Wanderarbeiters nicht mehr existiert: Sie lag im Drei-Schluchten-Gebiet, eine beschriebene Holztür vermerkt die neue Anschrift der Familie.

In Mona Lisa von Li Ying (Forum) geht es darum, einer Frau die Fahrt ans Sterbebett ihrer Mutter zu ermöglichen. Kompliziert wird die Reise durch den Umstand, dass die Frau im Gefängnis sitzt wegen Kidnappings, und dass ausgerechnet ihre "Adoptivtochter" sich maßgeblich für sie einsetzt. Li Yings Film gibt sich ungleich rauer und unversöhnlicher als Zhangs heiterer Trip, was vor allem an dem dokumentarischen Duktus liegt. Die Schauspieler sind Laien und so beschleichen den Zuschauer gegen Ende immer deutlichere Zweifel, ob diese tatsächlich zu solch emotionalen Leistungen fähig sind oder nicht doch ihre eigene Geschichte abbilden.

Diesen wiewohl falschen Eindruck kann man ob seiner minimalistischen Strenge auch von Tuyas Ehe haben, neben Lost in Beijing und Desert Dream von Zhang Lu, der dritte chinesische Wettbewerbsbeitrag. Wang Quan´an zeigt die schmucklose Variante menschlichen Zusammenlebens in der mongolischen Steppe. Tu Ya ist gezwungen, sich neu zu verheiraten, da sie allein die mühsame Landarbeit nicht mehr bewältigen kann, seit ihr Mann Ba To Er durch einen Unfall zur Untätigkeit im Zelt verdammt ist. Die Ehe scheint so reduziert auf das anachronistische Modell einer Zweckgemeinschaft zum Überleben, das von der eigensinnigen Tu Ya jedoch gegen die Verlockungen des Reichtums, den ein zu Geld gekommener Bewunderer aus Schultagen ihr bieten könnte, und für die Kraft der Liebe - Ba To Er mag sie nicht abschieben - erkämpft werden will. Das Ende, wenn auf der Hochzeit ein Streit zwischen altem und neuem Mann ausbricht, stimmt pessimistisch und lenkt den Fokus damit noch einmal unerbittlich auf die Person, die den ganzen Film im Mittelpunkt steht: die Frau, die in der Krise auf keine Hilfe zählen kann.

Ästhetisch erscheint das gegenwärtige chinesische Kino karg. Die Einfachheit der Mittel, mit denen die jüngere Generation zu alltäglichen Geschichten zurückgefunden hat, mag als Reaktion auf die Flucht der Väter - Zhang Yimou, Chen Kaige - in spektakuläres Kunstgewerbe nachvollziehbar sein. Nur beschleicht den Betrachter allmählich das Gefühl, dass bei realistisch anmutenden und erzählten Geschichten ein gewisser Sättigungsgrad erreicht sei; dass dieses Kino linearer Schmucklosigkeit zwar Erwartungen an Einblicke in das fremde Riesenland erfüllt, der Anspruch an den künstlerischen Wagemut aber leidet.

Den löst auf dieser Berlinale vor allem das Kino aus Südkorea ein. Zahlenmäßig stark vertreten und ästhetisch aufgeweckt präsentiert sich das derzeitige Boomland des asiatischen Films. Dasepo Naughty Girls von E. J-Yong wirkt - wenn auch dramaturgisch plump - allein erfrischend durch sein souveränes Spiel mit den Zeichen; der klassische College-Film über die klassischen Sorgen Heranwachsender wird hier zur mitunter grotesken Poprevue, in der Armut, Schleier und die Schweiz problemlos nebeneinander Platz finden. Ich bin ein Cyborg, aber das macht nichts, der Wettbewerbsbeitrag des renommierten Park Chan-wook, spielt gleich in einer Irrenanstalt, wo das verträumte Mädchen Younggoon (Lim Soo-jung) mit Kaffeeautomaten spricht und keinen Reis mehr isst, weil es sich für eine Maschine hält. Zuneigung empfängt Younggoon von dem sanften Il-Sun, dessen Darsteller Jung Ji-hoon unter dem Namen Rain in Korea ein Popstar ist. Atem beraubend ist der Einfallsreichtum, mit dem Park seinen Film in ein betörend buntes Märchen verwandelt: Liebe heißt, den anderen so zu akzeptieren, wie er ist. Notfalls als Cyborg.


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