Die neue Cyber-APO?

Ortstermin Sind Hacker engagierte Bürger oder Kriminelle? In Moskau haben deutsche und russische Info-Spezialisten diese Frage gemeinsam untersucht

Zu den Standardsituationen der Nachrichtenvermittlung gehört in Russland unbedingt Wladimir Putin. Staatspräsident Medwedjew ist auch manchmal im Fernsehen zu sehen, aber der erste Auftritt in den Nachrichtensendungen des staatlichen ersten Programms, des Perwy Kanal, der mit einer stilisierten „1“ für sich wirbt, die an ältere Varianten des ARD-Logos erinnert, gehört zumeist dem derzeitigen Ministerpräsidenten.

Im Grunde gibt es für diesen Aufritt zwei Formen: das Einzelgespräch und die Runde. Beim Einzelgespräch ist Putin mit ernster Miene von der Seite zu sehen, ihm gegenüber sitzt ein Interviewer oder ein anderweitig legitimierter Gesprächspartner, man könnte auch sagen: das Problem. Das Problem stellt Fragen oder berichtet, damit die Lösung, also Putin, erklären kann, was zu tun ist. In der Runde verhält es sich mit den Sprechanteilen ähnlich: Putin sitzt dann am Kopf einer Tafel, in leichter Distanz zu mehreren Männern beiderseits des Tisches. Putin redet, erklärt, dekretiert mit ernster Miene, und wenn einmal einer der Männer an der Tafel etwas beitragen darf, dann wirkt er wie jemand, der etwas ausgefressen hat.

Aufklärung in der Schokofabrik

In Deutschland zeigen Nachrichtenbeiträge den Beginn von Kabinettsrunden und rücken dafür das übliche Sitzungsset aus Keksen und Erfrischungsgetränken sowie das freundliche Abstellen der Aktentaschen durch die eintreffenden Minister ins Bild. Russische Kameras hingegen wohnen der Sitzung selbst bei. Sie zeigen aber keine Diskussion, sondern eine Kommunikationskultur, wie man sie in Internaten älterer Prägung vermuten würde: In Schlafsaal 6 ist die Nachtruhe wiederholt erst nach 22 Uhr eingekehrt, und nun muss sich die Schlafsaalaufsicht vor dem Internatsleiter verantworten, der seinen Unwillen über den Regelvorstoß zugleich vor den Aufsichtskräften der anderen Schlafsäle äußert. Schon damit diese selbst besser auf die Einhaltung der Nachtruhe achten, damit sie bloß nie in die missliche Lage geraten, in solcher Runde Antworten geben zu müssen.

Diese Bilder, mit denen in Russland Politik vermittelt wird, sind wichtig für den Abend, den das Goethe-Institut Moskau über den „Bürger Hacker“ gemeinsam mit zwei russischen Partnern veranstaltet. Das Institut sitzt in einem eindrucksvollen Betonbunker, in dem früher die DDR-Botschaft residiert hat. Er liegt weit draußen, in einem Plattenbaugebiet im Südwesten der riesigen Stadt, und diese Lage macht die Kräfteverhältnisse im Nachhinein doch anschaulicher als jedes Geschichtsbuch: Während der „große Bruder“ in Ostberlin mit seiner diplomatischen Vertretung selbstverständlich in Mitte, Unter den Linden, fast am Brandenburger Tor ansässig war, bekam die DDR von den „Freunden“ für ihre Repräsentanz einen Platz in einer Art Marzahn zugewiesen.

Das Goethe-Institut muss, wenn es für seine Veranstaltungen Leute interessieren will, also einen zentraleren Ort finden. Der Ort für den „Bürger Hacker“-Abend ist das Strelka, ein Ort zwischen lauter Postkartenblicken. Hinter der wieder aufgebauten Erlöserkirche führt eine Fußgängerbrücke über den Fluss Moskwa. Zur Linken schaut man auf den Kreml und vermisst sofort den Fernsehkorrespondenten mit Mikrofon, der vor dieser Kulisse Auskunft über die politische Lage geben könnte. Zur Rechten, direkt am Fluss, liegt das Strelka.

Das Strelka war mal eine Schokoladenfabrik und ist seit zwei Jahren ein Medien-Architektur-Design-Institut mit Bar und Restaurant. Oder eine Bar und ein Restaurant mit Medien-Architektur-Design-Institut. So genau lässt sich das nicht sagen. Jedenfalls sitzen dort gut aussehende, professionelle Freizeitangestellte zwischen 30 und 40 in engen Jeans und mit modischen Frisuren hinter ihren Laptops und konsumieren nebenher Nahrung.

Das Strelka ist, wenn man so will, kein russischer Ort, keine Moskauer Institution. Es fällt aus dem Rahmen, weil seine Fassade durch funktionales Grau und geschmackvoll-gezieltes Bunt die machtvolle Wucht unterläuft, aus der alles Gebaute ist, was in Moskau Bedeutung hat. Es ist ein hot spot der globalen Digitalgesellschaft, deren Niederlassungen sich weltweit in ihrem lässigen Schick ähneln.

Mercedes Bunz ist als deutsche Teilnehmerin aus London angereist, wo sie für den Guardian gearbeitet hat und jetzt ein Buch schreibt. Ihre Beschreibungen der Urbanitätsperformance der britischen Hauptstadt lassen sich problemlos an die Erfahrungen ihrer Moskauer Gesprächspartner anschließen. Insofern muss man sich den „Bürger Hacker“ als wahren Kosmopoliten vorstellen.Er ist überall zu Hause, wo ein schnurloser Internet-Zugang zu entspannter Musik und aparten Speisen existiert.

Ganz so einfach ist es aber nicht. Auf der Bühne sitzt neben Bunz noch Constanze Kurz aus Deutschland, eine Sprecherin der Hackervereinigung Chaos Computer Club. Die beiden anderen Podiumsteilnehmer, der Journalist Michail Fischman, Chefredakteur von Springers einstiger Russki Newsweek, und der IT-Experte Alexei Ostrouchow, der die Musikplattform zvooq.ru gegründet hat, sprechen ebenso russisch wie Moderator Iwan Begtin, der sich in Russland für die Offenlegung staatlicher Datenbestände engagiert.

Tag Clouds ziehen auf

Es muss also gedolmetscht werden, was zwei Simultan-Übersetzer übernehmen, was aber zwangsläufig zu gewissen Ungenauigkeiten führt, zumal der Funkkontakt der Übersetzungsgeräte mitunter abbricht. Außerdem ist eine aus Monitoren bestehende Twitter-Wand aufgebaut, auf der um 20 Uhr, als die Veranstaltung noch nicht begonnen hat, die ersten Nachrichtenabschicker, die per Livestream den Abend verfolgen können, unruhig mit den Füßen scharren.

Es wäre nun ein Leichtes, sich über die technischen Unzulänglichkeiten zu mokieren. Das hieße aber zu übersehen, dass in der vielleicht auch modisch wirkenden Anlage des Abends der Kern dessen steckt, um den es im Gespräch geht: Wie ist Kommunikation bei (sprachlichen) Differenzen möglich? Und wozu eine Technik, deren Beherrschung ihren Möglichkeiten immer hinterherhinken wird? Interessant ist also weniger, welche praktischen Handlungsanweisungen am Ende der Diskussion stehen, sondern welche Unterschiede mit Blick auf gemeinsame Begriffe deutlich werden: „Fragen stellen ist schwieriger als antworten“, twittert irgendwann ein Zuhörer auf der Monitorwand, der die Komplexität des Unterfangens erfasst hat.

Der Himmel ist blau an diesem Abend, auch wenn im sommerlich-heißen Moskau Gewitterstürme vorhergesagt waren. Die einzige Wolke, die über dem Strelka schwebt, ist die tag cloud aus Schlüsselworten, um die sich das Gespräch dreht. Der Moderator etwa insistiert auf dem schwammigen Wort von der Informationsgesellschaft, von der er als einziger annimmt, dass wir bereits in ihr lebten. Constanze Kurz schlägt dagegen als Bedingung für das Zutreffen des Begriffs die Digitalisiertheit des sozialen Miteinanders vor. Davon aber kann in Russland keine Rede sein, wo gerade 40 Prozent der Menschen überhaupt Zugang zum Internet haben. Durch die geringe Verbreitung von Englischkenntnissen entsteht zudem ein Effekt, der den entscheidenden Vorteil des Netzes – die globale Kommunikation – praktisch hemmt. Das Internet gleicht in Russland, überspitzt gesagt, eher einem landesweiten Intranet für eine Minderheit.

Und dann gibt es da noch den Begriff des Hackers, die zentrale Vokabel des Abends, unter der mit gewisser Konsequenz das aufgeklärt-tätige Mitglied der kommenden Informationsgesellschaft verstanden werden könnte. Wer allerdings an diesem Abend „Hacker“ auf russisch sagt, spricht im nächsten Satz von Cyberkriminalität. Hacker zeichnen, relativ wertfrei, avancierte Fähigkeiten auf dem Feld der Informatik aus, die zweifelsohne für Betrügereien eingesetzt werden können. Der Stuxnet-Wurm, mit dem ein Angriff aufs iranische Atomprogramm ausgeführt wurde, würde in diese Definition passen – wobei damit, für eine deutsche Wahrnehmung, der enorme finanzielle Aufwand und das geheimdienstliche Interesse, das hinter Stuxnet steckte, unterschlagen wird.

Flucht in den inneren Komfort

Solchen Vorstellungen vom Hacker als tendenziell bösen Programmierer mögen sich in Deutschland noch manche hingeben. In der Debatte hat aber schon lange die Einsicht Einzug gehalten, dass der Hacker ohne seine spezifische Ethik nicht zu denken ist. Es verhält sich mit ihm, grob gesagt, wie mit den Superhelden des amerikanischen Comics: Besondere Fähigkeiten verlangen ein erhöhtes Verantwortungsbewusstsein. Um zu diesem Schluss zu kommen, muss man nicht einmal den Chaos Computer Club befragen, jenes dezentral organisierte Netzwerk von Verfechtern der Informationsfreiheit. Selbst der aktuelle, nicht immer auf Höhe der Zeit argumentierende Suhrkamp-Band über „Diven, Hacker, Spekulanten. Sozialfiguren der Gegenwart“ liefert keine andere Erkenntnis.

Die russische Hacker-Skepsis geht einher mit einer, für deutsche Ohren wiederum, relativ kritiklosen Bewunderung des Wikileaks- Gründers Julian Assange. Womöglich steckt darin eine Lehre von Putins Fernsehauftritten: Wo in Deutschland der Chaos Computer Club in seiner Außendarstellung gerade auf ein kollektives Netzwerk setzt, das zu problematischen Inhalten arbeitet, gibt es in Russland offenbar den Wunsch nach einer weithin sichtbaren, prominenten Figur, nach einem Leader. Der Staat inszeniert hier vor allem seine Autorität, während er in Deutschland eher als Gegenüber begriffen wird, an dessen Funktion als ordnendes Gebilde das kritische Hinterfragen selbst teilhat. Iwan Begtin jedenfalls, der auf der einen Seite für eine Veröffentlichung der Bezüge von Staatsdienern streitet, betont auf der anderen Seite sein grundsätzliches Einverstandensein mit dem Staat.

Womöglich ist diese Sehnsucht nach einem starken Kämpfer gegen die Macht angesichts der russischen Informationspolitik aber auch nicht unbegründet: Für das Bewusstsein der eigenen, aktiven politischen Teilhabe braucht es eine Figur, die über die Attribute von Personalisierung als Gegenspieler funktionieren kann. Dieser Figur könnte der mit den Mitteln des Internets agierende Kritiker Alexei Navalny sein, dessen Name an diesem Abend öfter fällt, der aber immer nur als zwiespältiger Charakter erscheint: Keiner kann ihn leiden, weil Navalny für einen Populisten gehalten wird – seine Verdienste um eine Aufweichung des staatlichen Informationsmonopols bestreitet aber auch niemand.

Das Dazwischen, in dem die urbane Informationselite lebt, die an den globalen Technologieprozessen mehr teilzuhaben scheint als an lokaler Politik, beschreibt Alexei Ostrouchow mit dem Wort vom „inneren Komfort“: „Der Dialog hat in Russland keine Tradition. Gegenrede artet in Geschrei aus. Die Alternative ist der innere Komfort, in dem man sich vor dem Rechner eingerichtet hat und wo man leise den Staat hasst.“

Dialog aber ist genau das, was die Bilder, die Putin im Fernsehen zeigen, ja nicht zeigen, obwohl Putin doch andauernd mit Leuten zu sprechen scheint. Insofern ist Ostrouchows Forderung nach einer „Desakralisierung der Macht“ wohl der erste Schritt zu einer Gesellschaft, in der ein Bürger zum Hacker im Sinne eines kritischen Zeitgenossen werden kann. „Die breiten Massen lieben es aber nicht, wenn die Macht weniger maskulin wird“, sagt Ostrouchow, ein schmaler Mann mit kahlrasiertem Kopf und dick umrandeter Brille. Auf dem Perwy Kanal läuft am nächsten Abend eine Diskussion über Homosexualität.

Matthias Dell ist auf Einladung des Goethe-Instituts nach Moskau gereist

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