Als der kalte Krieg gewonnen war, begann der Triumphzug der Zeichen. Davon erzählen die Coca-Cola-Fahnen in Good bye, Lenin. Die Erstmarkierung eines Ortes, der über 40 Jahre hinweg kommunikationstechnische Ödnis war, ist ein historischer Glücksfall für die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit der freien Marktwirtschaft: Mehr Aufmerksamkeit kann es nicht geben als an einer solchen paradigmatischen Schwelle. Man könnte fast etwas wehmütig werden, vor allem als Werbefachmann, da im einstigen El Dorado Ostdeutschland die Abstumpfung gegenüber Plakatwänden, Schriftzügen und Fernsehspots heute längst Westniveau erreicht hat.
Der Konsument wird resistent ob der Inflation konkurrierender Signale. Das zeigt sich etwa, wenn Menschen, die am Montag von Marktforschern gefragt werden, welche Marken sie am Samstag zwischen den Bundesligaspielen gesehen haben, Zigarettenfirmen aufzählen, wiewohl Tabakwerbung im Fernsehen seit Jahrzehnten verboten ist. Aufmerksamkeit ist knapp, und das macht sie zu einem Wert an sich, was auch dadurch deutlich wird, dass eine Bundesbildungsministerin sich nicht zu blöde ist, ihre Politik, die man als ernsthafte Angelegenheit verstehen sollte, auf die parodistische Formel eines ursprünglich unsinnigen Fernsehtitels zu verkürzen ("Deutschland sucht die Spitzen-Universität").
Vermutlich wird man sich, ob der berechtigten Wellen, die solch ein Unfug schlägt, im Ministerium auf die Schultern klopfen, weil das Ziel erreicht ist, ein Thema zu lancieren und damit wahrgenommen zu werden. Willkommen in der Logik der Werbewelt.
Aus der Annahme, dass Aufmerksamkeit rar ist, aber zugleich ein hohes Gut unserer Zeit, müsste der Schluss folgen, dass die Werbung das Hauptfeld aller gesellschaftlichen Auseinandersetzungen ist. Das belegen Beobachtungen, die man in Frankreich und der Schweiz machen kann, wo in den letzten Wochen und Monaten Plakatwände zum Schauplatz unüblicher Meinungsäußerungen geworden sind.
Hierbei ist exemplarisch, dass zwei Verbände mit völlig entgegengesetzten Zielen in der Wahl des Mediums vereint sind, das ihren Protest transportieren soll. "Stopub" heißt das französische Wortspiel, das der Werbung Einhalt gebieten will und als Schlagwort eine lose, heterogene Gruppierung aus Freiberuflern, Studenten, Lehrern, Arbeitslosen oder Sprayern fasst, die sich in zivilem Ungehorsam probt. Seit Oktober haben die Rebellen in je einer monatlichen Aktion die Plakatwände von ausgesuchten Metrostationen attackiert: mit Spraydose und Magic Marker. Über eine zuweilen instabile, von der Gegenseite heftig kritisierte Homepage (http://stopub.ouvaton.org) organisiert, wurden des Nachts vorhandene Slogans karikiert und neue hinzugefügt sowie das Logo der Gegenbewegung: ein schwarzes Kreuz. Werbung lüge und stinke, konnten an den folgenden Tagen die Benutzer der Metro lesen, und dass die Widerständigen eine Vergiftung von Stadt und Kopf durch das Bombardement der kommerziellen Signale befürchten.
"Libérer nos esprits" (Unseren Geist befreien) oder "Rendez-nous les espaces" (Gebt die Freiräume an uns) lauten die naiv anmutenden Forderungen einer unsichtbaren Bewegung, deren Hintergrund die globalisierungskritische Praxis bildet, sich gegen eine zunehmende Ökonomisierung der Lebenswelt zu wenden und damit einer Unterwerfung gemeinschaftlicher Werte wie Bildung unter das Diktat des Marktes entgegenzuwirken.
Während in Paris ein Zuviel an Reklame beklagt wird, empfindet man in der Schweiz das Gegenteil. Mit geschwärzten Plakaten, auf denen allein die Internetadresse (www.stopp-werbeverbote.ch) erkennbar bleibt, suggeriert eine Allianz gegen Werbeverbote das Horrorszenario einer von staatlichen Restriktionen gemaßregelten (Werbe-)Wirtschaft. Auslöser für die ebenfalls seit Herbst laufende Kampagne war der Entscheid eines Bundesgerichts im Kanton Genf, das erlassene Werbeverbot für Tabakwaren und hochprozentige Spirituosen zu bestätigen. Die "Allianz", zu der sich Wirtschaftsverbände aller Couleur zusammengeschlossen haben, befürchtet weitere Einschränkungen eines an Einschränkung schon reichen Wirtschaftszweiges mit den üblichen Folgen: Wegfall von Arbeitsplätzen, Stagnation, Pleiten.
In ihrer Gleichzeitigkeit liefern sich die beiden so unterschiedlichen Anti-Werbefeldzüge ein Fernduell um die Frage, was Werbung bewirkt und also ist. Mit der Schweizer Allianz ließe sich den Pariser Aktivisten die Unsinnigkeit ihres Tuns vorwerfen, weil die Plakatwände nur die Windmühlen des Kapitalismus seien und deren Abschaffung höchstens zu arbeitslosen Graphikdesignern und weniger Musikfestivals führen würde. Umgedreht verhilft der betont ästhetische Widerstand in der Pariser Metro zu einem klaren Blick auf das Argumentarium der Schweizer Allianz, das in der Marktlogik verbleibt, wenn es den Einfluss der Werbung auf das Konsumverhalten bescheiden auf die Verteilung von Anteilen innerhalb eines fest abgesteckten Marktes reduziert. Da heißt es etwa: "Wir alle wissen, dass Werbung praktisch nie der Auslöser für den Konsum von Alkohol- oder Tabak-Produkten war. In den häufigsten Fällen führen sozialer Druck oder Gewohnheit im familiären Umfeld dazu." Wenn das Lebensumfeld aber von Werbung besetzt ist, wie in Paris kritisiert wird, dann ist Werbung natürlich ein Teil des sozialen Drucks.
Gefragt ist in beiden Fällen die leere Mitte, über die hinweg sich eine Opposition der Argumente konstruieren lässt: die Politik. Betrachtet man sich aber das Gebaren der Bundesbildungsministerin oder die unentschiedene Drogenpolitik der EU, die die Warnhinweise auf den Zigarettenpackungen zu Heucheleien macht, scheint die für eine Vermittlertätigkeit notwendige Unbefangenheit nicht mehr gegeben. Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, Politik selbst fände auf der Plakatwand statt.
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