der Freitag: Frau Wilke, Sie schauen im Film zu, wie Polizisten gemacht werden. War es schwierig, die Drehgenehmigung zu bekommen?
Marie Wilke: Es war ein Glücksfall. Der Direktor der Polizeischule in Sachsen-Anhalt, an der wir gedreht haben, hatte sich an die Filmhochschule in Babelsberg gewandt, an der ich Dozentin war. Die brauchten jemanden, der sie für ein Video berät. Dieser Direktor, ein Soziologe, fand die Idee für den Film sofort spannend: Wie wird man Polizist? Das war der Türöffner, weil das früh ein relativ großes Projekt von der Polizeischule wurde, da hat dann keiner mehr Nein gesagt.
Wie lang haben Sie gedreht?
Sechs Monate in der Schule, sechs Monate Praktikum auf der Straße. Am Ende waren es 70 Drehtage, von März 2012 bis März 2013.
Wie haben Sie die Protagonisten für Ihren Film ausgewählt?
Wir waren bei den Aufnahmeprüfungen dabei und haben sämtliche Bewerber vor der Kamera interviewt, die eingeladen waren – 100 Leute, beworben hatten sich 1.200. Die meisten, die ich spannend fand, wurden genommen.
Zur Person
Marie Wilke studierte Film in Bozen und in Berlin, bei Jutta Brückner, Heinz Emigholz und Harun Farocki. Seit 1999 gestaltet sie eigene Dokumentarfilme und Videoinstallationen
Foto: Privat
Blickt man von außen eher auf das Untypische? Ein Film, der das Thema an Personen erzählt, ist „Staatsdiener“ sowieso nicht, aber zu den wiederkehrenden Figuren gehören eine Frau und ein Mann mit erkennbarer Migrationsgeschichte.
Wer ist denn typisch? Ich war auf der Suche nach dem „normalen“ Bewerber. Im Laufe der Zeit merkt man dann, dass es den nicht gibt. Die Frau, Kathrin, ist spannend, weil sie Kunst studiert und dann beschlossen hat, zur Polizei zu gehen. Einige ihrer Freunde sind politisch ziemlich links eingestellt. Es war schwierig für sie.
Für Sie auch?
Zum einen hatte ich die Sorge, dass es schwer werden könnte, ein Team zu finden – was es nicht war. Zum anderen bin in einem Milieu aufgewachsen, das Polizei relativ unhinterfragt ablehnt. Die Frage, ist die Polizei gewalttätig, ist relevant. Sie spielt ja auch im Film eine Rolle, wenn die Protagonisten darüber sprechen: Schafft man es, sich immer an Gesetze zu halten? Aber das ist nicht das Thema des Films. Mich hat interessiert, wie ganz normale Menschen der Staat werden.
Es gibt so wenig Geschichten vom Drinnen, über diesen Korpsgeist, der keine Öffentlichkeit zulässt. Deswegen denkt man, es wäre interessant, wenn man drinnen ist, so etwas zu fassen zu kriegen.
Den Korpsgeist gibt es, er kommt im Film vor. Ich wollte aber nicht Polizeigewalt anprangern oder bekannte Fälle thematisieren. Mir war es wichtig, das Thema grundsätzlicher zu behandeln und nicht auf den Aspekt der Polizeigewalt zu reduzieren. Ich wollte das Bild weiter fassen. Mir ging es um die Schnittstelle zwischen Bürger und Staat, um die Frage, wie sie sich zueinander verhalten. Mein Ansatz ist es, zu beobachten und nicht investigativ zu graben. Man muss auf die Oberflächen schauen, dann zeigt sich genug.
Der zentrale Satz ist der von Kathrin, die einmal von einer Erfahrung vor ihrer Ausbildung erzählt – dass sie als Demonstrantin mitbekommen hat, welchen Anteil die Polizei an der Eskalation von Gewalt hat.
Das war ein Thema, gerade nach den Einsätzen mit der Bereitschaftspolizei bei den Nazi-Aufmärschen, dem Fußballspiel. Die Polizisten waren da zehn Stunden im Einsatz, wurden mit Bier übergossen und angepöbelt; da wurde plötzlich klar, wie das passieren kann. Die Frage, die sich die Protagonisten stellen, ist, wie sie sich selbst in den kommenden Jahren verändern werden. Manche, die mit der Ausbildung fertig sind, machen Dinge, die sie selbst jetzt noch bedenklich finden.
Das wäre dann Routine im Polizeiberuf.
Eher, dass man an diese Grenzen kommt. Emotionen, Wut – das muss komplett unten gehalten werden. Wie weit kann ich verinnerlichen, nur Polizist zu sein?
Solange geredet wird, gibt es keine Gewalt. Gewalt ist die Abwesenheit von Reden.
Mich hat eine amerikanische Journalistin interviewt, die den Film gesehen hatte. Für die war das völlig surreal, weil die immer nur reden. Die hat gar nicht verstanden, was die da machen. Sind das Polizisten? Die reden ja die ganze Zeit. Die Ausbildung hier ist darauf ausgerichtet, dass man alles verbal löst, wie bei Schauspielern. Autorität ist Stimme, Haltung, wer bin ich. Dass man eine Waffe trägt, ist das Geringste.
Das Theatergefühl ging bei mir so weit, dass ich dachte, der Naziaufmarsch in Insel hätte inszeniert sein können.
(lacht) Ich lache, weil ich einen Redakteur hatte, der dachte, die spielen ja gut, das ist alles echt. Ich kann das nachvollziehen. Sechs Monate Training, in denen alles gespielt ist, und dann kommt man in diese Realität und wundert sich, wie gut alle ihre Rollen ausfüllen. Die Aufstellung stimmt, jeder kennt seinen Platz, die Leute spielen den bösen Fußballfan.
Gibt es bei der Polizei eine Idee vom Bild – dass die wissen, dass sie mit ihren Bewegungen Nachrichtenbilder mitprägen?
Das weniger, aber die filmen selber. Da gab es absurde Situationen: Die Polizei hat den Nazi-Aufmarsch gefilmt, wir die Polizei und die Nazis uns. Und dann kam noch der MDR dazu.
Was offensichtlich ist in der zweiten Hälfte des Films, wenn es um die Praxis in den Hallenser Vierteln geht, in denen die Abgeschriebenen wohnen: dass die Polizei da Sozialarbeit macht.
Die Polizisten sind oft die Einzigen, die noch mit den Menschen in Kontakt kommen, um die sich sonst niemand kümmert. Wenn man dabei ist, ist es schwer, die Schicksale zu ertragen. Bei einer Ermittlung in einem Fall hat man das Gefühl, da passiert jetzt was und danach wird es besser. Aber dann kommt man dauernd zu Leuten, wo nie etwas besser wird. Mehrmals in einer Nacht, jede Woche wieder. Das zehrt.
Woran arbeiten Sie gerade?
An einem Film über Politik und Journalismus.
Wie offen sind die Leute da?
Journalisten haben mehr Angst, sich in die Karten gucken zu lassen, als Polizisten.
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