Die Sonne scheint mir

Berliner Abende Kolumne

Flohmarktbesuche und Sonnenbrilletragen sind kulturelle Praktiken, denen ich seit je skeptisch gegenübergestanden habe. Die Sonnenbrille war mir ähnlich wie der alpine Skisport lange Zeit verhasst als Domäne der Lifestyle-Lakaien. Irgendwann habe ich aber feststellen müssen, dass sie einen Zweck erfüllt, der über das Gucci-dolce hinausgeht. Die Sonnenbrille bietet, etwa beim alpinen Skisport, notwendigen Schutz für die eigene Gesundheit. Andererseits verhindert sie, dass einem beim sommerlichen Fahrradfahren unzählige Kleinsttiere ins Auge fliegen, die man nur durch mühsames Reiben und Weinen wieder entfernen kann. Mein Unbehagen in Bezug auf die Sonnenbrille hat seine Ursache letztlich - oder vielleicht: zuerst - darin, dass ich fortwährend vergeblich nach einem Modell gesucht habe, das mir zu Gesichte stand. Es gibt Menschen wie meine Freundin E., die mit jeder Brille so aussehen, als sei diese allein für sie hergestellt worden. Aber sie kann ja auch T-Shirts tragen, die oberhalb des Bauchnabels enden. Zu diesen Menschen gehöre ich nicht.

Zum Flohmarkt halte ich Distanz, weil mir das scheinbar zweckfreie Schlendern vor den Altwaren, die ihrem werweißwievielten Besitzer entgegenfiebern, immer zu wenig ergebnisorientiert erschien, mit einem Wort: Zeitverschwendung. Mit dieser Einstellung kann man freilich auf Trouvaillen nicht stoßen wie Freund N., der seine schmucke, vom matten Gold der sechziger Jahre umfasste Sonnenbrille bei solcher Gelegenheit erwarb.

Die Aversion gegen den Flohmarkt hat einen weiteren Grund: Die Beliebigkeit der Preise. Sie macht mich orientierungslos. Der Flohmarkt lebt von dem Glauben, dass alles einen Wert hat, solange es da ist. Wie soll man aber wissen, ob 50 Cent für einen ältlichen Gasherdanzünder zuviel sind oder ein Schnäppchen - wo man noch nicht mal weiß, ob er noch funktioniert. Mag sein, dass die Preise in herkömmlichen Geschäften ebenso beliebig sind wie auf dem Flohmarkt, aber Schaufenster, Verkaufstresen und Fabrikfrische der Produkte verleihen dem Einkauf im Geschäft etwas Institutionelles, das auf die Preispolitik abstrahlt. Meine Unsicherheit über Wert und Nicht-Wert von Flohmarkt-Waren wird verstärkt durch die mir eigene Unfähigkeit zum Feilschen. So wiederholt sich das immer gleiche Ritual: Ich frage nach dem Preis, der Verkäufer nennt ihn, ich stelle stumm, um nicht zu sagen, bockig wie ein kleines Kind den Gegenstand zurück, in der Hoffnung, der Verkäufer möge mir entgegenkommen, aber das tut er nur bei der scherzenden Dame neben mir. Für einen Konsummuffel wie mich ist auf dem Flohmarkt kein Blumentopf zu gewinnen.

Der Zufall will es, dass ich nicht fern von einem Flohmarkt wohne und Gerät für die Küche brauche. Einen Gasherdanzünder etwa. Den fand ich auch (Funktionstüchtigkeit ist eher so mittel), vor allem aber entdeckte ich eine Sonnenbrille, von der ich glaubte, dass ich sie tragen könnte. Ich fragte den Verkäufer nach dem Preis, der mit allerlei Erklärungen ("Modell Dalai Lama, kostet von Markenfirmen neu aufgelegt 300, sind noch optische Gläser drin, kann man aber bei Fielmann für zehn Euro austauschen lassen") den Eindruck versierter Freundlichkeit erweckte. "30 Euro." Das schien mir verglichen mit dem Gasherdanzünder astronomisch. Um nichts zu überstürzen, legte ich die Brille stumm zurück. Der Verkäufer sagte wie immer nichts.

Eine Woche dachte ich über die 30 Euro nach und kam zu dem Schluss, dass es sich dabei womöglich um Wucher handelte, dass mir das aber egal sein könne, weil sich damit ein langjähriges Problem beheben ließe. Außerdem stand der Sommer mit seinen Kleinstinsekten bevor. So ging ich am darauf folgenden Wochenende erneut zu dem Flohmarkt und steuerte ergebnisorientiert den Sonnenbrillenverkäufer an. Ich war ein wenig besorgt, dass mein erneut gezeigtes Interesse den Händler, der mich wiedererkennen würde, auf den Gedanken bringen könnte, die Sonnenbrille sei mir so lieb, dass ich auch 40 Euro dafür zu zahlen bereit wäre. Ich probierte die Brille erneut an, der Verkäufer wiederholte, was er beim letzten Mal gesagt hatte ("Modell Dalai Lama, kostet von Markenfirmen neu aufgelegt 300, sind noch optische Gläser drin, kann man aber bei Fielmann für zehn Euro austauschen lassen"). Als ich nach dem Preis fragte, antwortete er, als ob es immer so gewesen sei: "Für die wollte ich 18 Euro haben." Aha, dachte ich freudig und erwiderte mutig: "15." Wir waren uns einig. Ich gab ihm einen 20-Euro-Schein, er bekam aber bloß 4,50 Euro an Wechselgeld zusammen. "Den Rest geb ich dir später, kannst ja ein bisschen rumgucken und dann kommst du einfach noch mal her, da kann ich dir die 50 Cent geben. Ich erinnere mich dann an dich." Da wär ich mir nicht so sicher, junger Freund, dachte ich mir und sagte großzügig: "Stimmt so."


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