Seit dem Ende der DDR haben Filmemacher versucht, vom Leben im der DDR zu erzählen, denkt man sich, wenn der Abspann von 4 Monte, 3 Wochen, 2 Tage auf der Leinwand erscheint, und immer haben diese Filme Kontroversen zur Folge gehabt, ob man so vom Leben in der DDR erzählen kann oder ob das Leben in der DDR überhaupt so gewesen ist. Man denkt, während die Titel über die Leinwand ziehen, an Günter Grass und sein Wort von der "kommoden Diktatur", und man denkt auch, dass es den Filmen über das Leben in der DDR nie gelungen ist, dieses Paradoxon auszusprechen, weil sie entweder das Kommode zu sehr betont haben oder die Diktatur. Warum, denkt man sich, wenn alle Titel verschwunden sind und das Licht im Kinosaal angeht, gibt es einen Film wie 4 Monate, 3 Wochen, 2 Tage, der vom Leben in einer Diktatur erzählt, die was den Wohlstand betrifft noch weniger kommod war als die DDR, warum gibt so einen Film nicht in Deutschland. Einen Film, der das Auge des Zuschauers an manchen Stellen kapitulieren lässt vor der Härte des Lebens, das er zeigt, und dabei doch nie darauf verfällt, diese Härte als Vorwurf zu benutzen gegen das Leben.
4 Monate, 3 Wochen, 2 Tage von Cristian Mungiu, diesjähriger Gewinner in Cannes, ist ein sehr guter Film. Das ist die erste und einfachste Antwort. Der Film braucht die Umgebung der späten Ceaucescu-Ära nicht, um sich interessant machen. Das wird deutlich auch daran, dass 4 Monate, 3 Wochen, 2 Tage an Filme der belgischen Brüder Jean-Pierre und Luc Dardenne (zuletzt: Das Kind, 2005) erinnert, die mit einer etwas enervierenden Kamera von existentieller Verzweiflung der Menschen erzählen, ohne dass dafür der Rahmen eines repressiven Regimes nötig wäre. Umstandslos führt 4 Monate, 3 Wochen, 2 Tage in ein Studentenwohnheim, in dem sich Otilia (Anamaria Marinca) und Gabit¸a (Laura Vasiliu) ein Zimmer teilen, und mit verführerischem Tempo vermisst die Kamera (Oleg Mutu) die Flure und Zimmer dieses Schattenreiches, in dem Gemeinschaftssinn und Schwarzmarkthandel, die voneinander nicht zu trennen sind, das Leben am Laufen halten. Alles, was nicht funktioniert, kostet einen Weg, und so erzielt die geschäftige Verve, mit der Otilia hier nach einem Fön, da nach Zigaretten und dort nach Parfüm sucht, einen ungemein plastischeren Eindruck von dem anderen Leben, das die Mangelwirtschaft bedingt hat, als krustige Kostüme oder skurrile Warennamen es könnten.
Diese Eröffnung schürzt den dramatischen Knoten des Films, insofern die illegale Abtreibung von Gabit¸a aus der Organisation eines Lebens resultiert, das sich vorbei an staatlicher Versorgung vollzieht. In einer oberflächlichen Wahrnehmung wird 4 Monate, 3 Wochen, 2 Tage als "der Film mit der illegalen Abtreibung" firmieren, ein Prädikat der Krassheit, auf das Mungiu allerdings nicht aus ist um der Sensation willen. Dass der Eingriff in einem schwer zu besorgenden Hotelzimmer nur als unerträgliche Konsequenz des alltäglichen Schattenhandels im Studentenwohnheim erscheint, verhilft dem Film zu seinem existentiellen Ernst und macht ihn eminent politisch: Die Zwänge des Systems beschränken sich nicht auf die Frage, ob man für eine Schachtel "Kent" mehr bezahlen will als für ein Hotelzimmer; sie rühren an der Unversehrtheit des Körpers.
Der emotionalen Aufwallung, die mit dem monströsen Akt verbunden ist, entgeht der Film durch den geschickten Zug, sich Otilia zur Protagonistin zu wählen. Mit ihr bewegt er sich am Rande der Ereignisse und entfaltet ein Panorama des Lebens im rumänischen Spätsozialismus. Otilia ist Grenzgängerin zwischen nach außen abgeschlossenen Milieus, und dass sie beim Versuch der Vermittlung scheitert, bezeichnet das eigentliche Drama des Films. Für die hilflose und naive Gabit¸a sorgt sie wie eine Mutter, was einschließt, dass Otilia in der trostlosesten Szene des Films sogar in den Sex einwilligt, den der Mann, der die Abtreibung vornimmt, Herr Bebe (Vlad Ivanov), als Aufschlag für den Eingriff fordert. Später verlässt sie das Hotelzimmer, weil ihr Freund Adi (Alex Potocean) sie zum Besuch beim Geburtstag seiner Mutter gedrängt hat - eine ungewisse Abwesenheit, die Mungiu nebenbei mit Hitchcock´schem Suspense inszeniert. Die bürgerliche Sicherheit in Adis Elternhaus strahlt einen Halt und eine Wärme aus, die in Kontrast zu der verlorenen Gabita in ihrem Hotelzimmer stehen, und taugt doch nicht als Trost, weil sie sich auf die Mitglieder der Familie und deren Egoismus am persönlichen Wohlergehen beschränkt.
4 Monate, 3 Wochen, 2 Tage ist ein Film, dessen größte Qualität schon der Titel beschreibt, der auch als Countdown zu lesen ist. Darin steht die Antwort auf die bohrenden Fragen des Herrn Bebe nach dem Stadium der Schwangerschaft, das Gabita nicht zu benennen wagt aus Angst, der Schwarzarzt könnte seinen Koffer wieder packen. 4 Monate, 3 Wochen, 2 Tage ist ein Film, der vieles nicht ausspricht und gerade dadurch einen Raum gewinnt, der zwischen dem Alltag der Menschen liegt und dem System, das ihn unsichtbar bestimmt. Gerade die Abwesenheit der Autorität macht diese so bedrohlich, sie ist in jede Szene, in jede noch so kleine Nische eingeschrieben. Die zweite Antwort auf die Frage, warum ein solch präziser Film bislang keinem deutschen Filmemacher gelungen ist, lautet: Cristian Mungiu will nichts beweisen, sondern nur bezeugen, wie die Zeit gewesen ist. Und das mit einem ungerührten, aber zutiefst, wie es in der DDR geheißen hätte, humanistischen Blick auf seine Figuren.
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