Die süffige Tragödie

Im Kino Unsere Vergangenheit als schöne Lüge. "Der Krieg des Charlie Wilson" ist auf falsche Weise verführerisch

Zu den unbeantworteten Fragen der Filmgeschichte gehört jene, die sich stellt, wann immer man Ein Pyjama für zwei (oder einen anderen Film) mit Doris Day und Rock Hudson sieht: Warum, um alles in der Welt, sollte sich Rock Hudson ausgerechnet in Doris Day verlieben? Den hier geäußerten Zweifel nährte ironischerweise nicht Hudsons spät eingestandene Homosexualität, sondern allein die Tatsache, dass Hudsons Charakter so ziemlich alles ist, was der von Day dargestellte nicht ist. In Ein Pyjama für zwei: Er, ein cleverer Lebemann, der seine geschäftlichen Interesse mit skrupellosem Humor durchsetzt; sie, eine moralinsaure Streberin, an der alles, was Lust und Leichtigkeit gewesen sein könnte, sich als schimpfender Ehrgeiz äußert. Die Frau, die Doris Day hier vorstellt, lässt sich mit puritanisch und konservativ beschreiben. Moral ist ihr etwas, das die gleiche Konsistenz hat wie die steiftoupierte Frisur, die sie auf dem Kopf trägt, weshalb ein Begriff wie verführerisch oder attraktiv einem nicht in den Sinn kommen würde. Denn bei Verführung und Attraktion, die Wörter sagen es, geht es um Bewegung wie überhaupt die Liebe - jenes seltsame Spiel, bei dem sich im Kino zumeist Frau und Mann gegenüberstehen - voraussetzt, aus dem Schützengraben seiner Prinzipien zu kriechen und einen heiteren Handel darüber zu beginnen, wo denn nun die Mitte verläuft zwischen zweien. Und durch die Moral.

Diesen Handel beherrscht keiner besser als Julia Roberts in Mike Nichols´ neuem Film Der Krieg des Charlie Wilson. Roberts spielt Joanne Herring, eine Lobbyistin aus Houston, die im politischen Spektrum so "ultra right-wing" steht, dass es selbst dem republikanischen Kongressabgeordneten Charlie Wilson (Tom Hanks) zu viel der konservativen Gesinnung wird. Roberts verleiht Herring eine solch fulminante Autorität, dass man nicht eine Sekunde den Gedanken wagen könnte, sie sei nicht der Mittelpunkt der Welt, in der sie lebt. Als sich Herring und Charlie Wilson samt Assistentin das erste Mal bei einem Wohltätigkeitsabend treffen, hat die Dame, flankiert - so ironisch wie pompös - von zwei stolzen Windhunden, nur Augen für den Politiker. Die Abneigung der Assistentin gegenüber den politischen Ansichten der Gastgeberin, ihr auf den Wunsch (vielmehr: Befehl) derselben nach einem Drink tapfer vorgetragene Verweigerung, nur für Mr. Wilson und sonst niemanden zu arbeiten - das alles wird von dieser zugleich strahlend-flirtenden Frau mit dem Julia-Roberts-Lächeln in frostigster Arroganz ignoriert. Der Drink wird am Ende dennoch geholt. Natürlich.

Joanne Herring ist also nicht eine Frau, die sich nimmt, was sie braucht, sondern die weiß, was sie geben muss, um zu kriegen, was sie will. Dazu zählt auch der Einsatz ihres Körpers, was im Falle der Schauspielerin Julia Roberts im doppelten Sinne nicht ohne Pikanterie ist. Schließlich wacht Roberts als eine der höchstbezahlten Angestellten Hollywoods über jeden Zentimeter nackter Haut, den sie einer Kamera zeigt; schon in Pretty Woman soll sie ihre Beine doublen haben lassen. In Der Krieg des Charlie Wilson steigt sie einmal mit einem Bikini bekleidet aus dem Pool, ein Bild, das Regisseur Mike Nichols in Interviews als Geschenk bezeichnet hat, und ein Bild, das seine Schönheit behaupten muss gegen die eifrigen Blicke der Zuschauer, die Makel zweier Schwangerschaften oder Spuren des Alters entdecken wollen. Das ist der Hintergrund, auf dem Julia Roberts mit ihrem Körper Politik macht. Und dass sie ihn abwechselnd vorzeigt und verdeckt, sagt etwas über das Begehren im Kino. Und über die Verführungskunst dieses Films.

Der sexy Grandezza von Herring nicht entziehen kann sich Charlie Wilson, ein den sonnigen Seiten des Lebens zugetaner Politiker, den Hanks als ewig Whiskeyglas schwenkenden, unambitionierten, aber doch recht aufrechten Mann spielt. Als der sich noch von den Anstrengungen des Beischlafs im Obergeschoss erholen muss, erklärt ihm die Lobbyistin schon, was er gegen die sowjetische Invasion in Afghanistan zu unternehmen hat. Der Krieg des Charlie Wilson basiert auf der wahren Geschichte eines Hinterbänklers, der - so zeigt es der Film - in einem Vergnügungsclub in Las Vegas in einem Whirlpool mit Stripperinnen sitzend im Fernsehen von dem Einmarsch der anderen erfahren hat. Und danach - unterstützt von der glühenden Lobbyistin und einem frustrierten CIA-Agenten, der gewohnt ist, dass seinen Namen, Gust Avrakotos (Philip Seymour Hoffman), jeder falsch ausspricht, - praktisch im Alleingang und mit abenteuerlichen Koalitionen die Mudschaheddin bewaffnet und damit schließlich die Sowjets zum Rückzug zwingt.

Erzählt wird die Geschichte in Schwung und Stimmung, die dem Whiskeyglasschwenken nahe kommt, mit pointierten Dialogen, präzisem Timing und drei herausragenden Schauspielern. Eben der hinreißenden Julia Roberts, die Standesunterschiede zwischen ihrer Figur und den allesamt gutaussehenden Mitarbeiterinnen aus Wilsons Büro, einmal klar gemacht, in denen sie ihnen beim Gehen freundlich lächelnd "Schlampen!" entgegenzischt; dem angenehm tumben Tom Hanks, der seinen Zug zum Pathos über einen nachlässigen, fast väterlichen Machismo vergisst; und dem stets aufs Neue unglaublichen Philip Seymour Hoffman, der seiner zynisch-cholerischen Agentenfigur eine ungemein lustvolle Ranzigkeit schenkt.

So könnte man Der Krieg des Charlie Wilson am Ende für seinen Witz und seine Schauspieler loben und ein wenig mäkeln, dass alles zu glatt geht, also auch das Zwischenmenschliche, das als Konflikt nicht vorkommt zwischen Herring und Wilson. Aber dann denkt man an die Bilder mit Raketenwerfern schießender Islamisten, die es heute immer noch gibt und die jubeln, wenn sie amerikanische Ziele getroffen haben; an die Szene, in der Herring den pakistanischen Präsidenten Zia (Om Puri) begrüßt, der gerade den Vater von Benazir Bhutto hat ermorden lassen, und daran, dass der Film in Amerika ins Kino kam, kurz bevor Benazir Bhutto selbst ermordet wurde. Auch wenn der CIA-Agent mahnt und auch wenn Charlie Wilson das Grundproblem der amerikanischen Außenpolitik erkannt hat, überall einzumarschieren, um dann nicht wiederaufzubauen - die Gegenwart der Vergangenheit, von der dieser Film erzählt, ist zu mächtig, als dass man sie derart einfach zu den Akten legen könnte. Der Krieg des Charlie Wilson lügt bei der Form, die er sich gewählt hat, ein Problem der filmischen Gattung. Die rhetorische Frage, die dieser Film stellt, lautet: Kann man eine Tragödie als süffige Heldengeschichte erzählen?

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