59. Kurzfilmtage Die Gespenster der Geschichte wohnen in aufgeräumten Häusern oder betreiben eine Kritik des deutschen Nazi-Geschichte-Films. Ein Festivalbericht aus Oberhausen
Wenn man einmal anfängt, sieht man nur noch Gespenster. So war das zumindest in Oberhausen bei den diesjährigen Kurzfilmtagen. Dass das Kino als Ort zur Beschwörung von Untoten und Geistern taugt, mag dabei weniger überraschen als der Befund, mit dem der Amsterdamer Filmwissenschaftler Thomas Elsaesser aufwartete: Das Festival selbst sei ein Heiliger Geist, der spezifische Gründe brauche, um niederzukommen.
Das Podium, auf dem Elsaesser aus den Kurzfilmtagen derart ein Pfingsten des Films machte, trug den schönen Titel Was war Kino. Der gehört, wenn man noch einen Moment in theologischen Analogien verweilen will, zum Glaubensbekenntnis von Oberhausen, wo der intellektuell umtriebige Leiter Lars Henrik Gass seit Jahren der Gründung einer neuen Kirche i
iner neuen Kirche im Festivalbetrieb gedanklich vorarbeitet: Wenn das Kino als Schauort prekär wird, verändern sich nicht nur die filmischen Erzählungen, sondern müssen auch die Aufgaben und Angebote des Festivals andere werden.Zur diskursiven Unterfütterung der Oberhausener Bemühungen, Filmlandschaftsbeschreibungen zu liefern, diente neben der Interview-Reihe The Future of Cinema ein Programm, das auf den hübschen Namen Flatness hörte. Allerdings blieb die anregende Idee, dass zu den Folgen von Digitalisierung gehöre, Zeit nur mehr vor Bildschirmen und getaktet durch Information zu verbringen, was dann zu einer Verflachung von Bildvorstellung im speziellen und Leben im allgemeinen führe, definitorisch etwas unscharf. Der Begriff ist gut; offen bleibt, ob sich damit tatsächlich Zeitdiagnostik betreiben lässt.Grzimek für jedermannDenn Verflachung muss keinen Mangel an Tiefe bedeuten, wie der Film Wildnis von Helena Wittmann zeigte. Darin projizieren sich Schmalfilmbilder von Elefant, Zebra oder Löwe allmählich auf die Schränke und Wände der bis an die Grenzen zur Abstraktion aufgeräumten Wohnung eines älteren deutschen Ehepaares. Die Safari-Aufnahmen, privates Footage-Material aus der Wirtschaftswundergeneration, unterlegen die protestantische Akkuratesse, die Tagesabläufe und Lebensraum hier humorlos ordnet, mit einer eigentümlichen Sehnsucht nach Wildheit. Durch Exotismus allein ist das nicht zu erklären.Die Faszination sitzt tiefer, sie hat etwas mit Geschichte zu tun, so bewusstseinsverändernd langsam Wildnis schließlich über ein Tapetenmuster gleitet, das auch abstrahierte Savanne sein könnte. Der Schluss, das dem zur Routine zivilisierten Leben hier zwischen dem wohlstandsdicken „Stubentiger“, der das Bild kreuzt, und dem Mann, der mit Einkaufsnetz und -zettel auf die Jagd in den Supermarkt geschickt wird, seine vergessene Vorgeschichte erzählt wird, wäre der kürzeste. Wenn im Epilog leinwandfüllende Bilder der Wildtiere zu sehen sind, begleitet von Reisetagebuchnotaten („24. Oktober 1979“), dann steckt in dem Anschauen der Tiere und dem Angeschautwerden nicht nur freudige Erregung, sondern immer auch ein Entsetzen, das vielleicht nur durch das deutsche Trauma zu verstehen ist, das der bundesrepublikanische Cheftierfilmer Bernhard Grzimek (Serengeti darf nicht sterben) öffentlich bearbeitet hat.Die versponnenste Geisterbeschwörung kam von Julian Radlmaier von der Berliner Film- und Fernsehakademie (DFFB), die im Titel den Schlüsselbegriff schon führt: Ein Gespenst geht um in Europa stellt sich als „suprematistische Komödie“ selbst den Freibrief aus, nicht gegenständliche Mittelstandsproblemfilme drehen zu müssen, auf die deutsche Filmhochschulausbildung doch vorbereiten soll.Bilder von SchönheitBei Radlmaier regiert ein Überschuss an Eigensinn, der sich hinter Stummfilmulk tarnt, das Pathos von Großliteratur durch Berlinern bricht und den Kalauer nicht scheut: Das Gespenst, also der Kommunismus, kommt frei, indem Malewitschs Schwarzes Quadrat aus dem Museum geklaut wird, dem wiederum Wladimir Majakowski entsteigt, um das träge Leben der Berliner Jungdynamos von heute aufzumischen. Am Ende lässt sich Radlmaiers Film, bei aller Komik und allen Referenzen, als heiter-radikale Selbstbestimmung eines jungen Filmemachers lesen, der nichts mit den hackenschlagend-stiefelwichsenden Nazi-Kostümfilmen des deutschen Fernsehens anfangen kann.Gegen die kursierenden Bilder von Schönheit wendet sich Yellow Fever der kenianischen Filmemacherin Ng‘endo Mukii. Die westlich dominierte und damit weiße Vorstellung von Gutaussehen bewölkt in dem Film, der Animation und Spiel ebenso verbindet wie Essay und Interview, den Horizont von Identitätszweifeln, die Teenager in Mukiis Heimat haben; die Produktpaletten von Bleichung versprechenden Cremes und Sprays arbeitet den Zurichtungsbefehlen an die Heranwachsenden eher zu, als Abhilfe zu schaffen.Auf anderer Ebene boten die Kurzfilmtage in diesem Jahr die Möglichkeit zur Begegnung mit einem Geist. Oberhausen ist die Stadt, aus der Christoph Schlingensief kommt, und in dem Jahr, in dem die große Berliner Ausstellung im November öffnen soll, wird auch in der Geburtsstadt des 2010 gestorbenen Film- und Theaterregisseurs gearbeitet. Eine Straße ist mittlerweile nach ihm benannt, durch die der hier ansässige Medienjournalist Georg Immich auf seiner Tour („Auf den Spuren von Christoph Schlingensief durch Oberhausen“) natürlich führte.Ob Schlingensief eines Tages zum Tourismusklassiker taugen wird, ist ungewiss. Interessant war die Tour fürs Erste aber auch deshalb, weil man lernen konnte, was alles einmal Kino war in Oberhausen, als Schlingensief noch gegen die ihn ignorierenden Kurzfilmtage Gegenprogramme sendete: Im einstigen Gloria und dem gewesenen Europa-Palast unmittelbar neben dem Festspielkino Lichtburg residieren heute Cafés.
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